Ohne Menschen wie Jacek, Rafal und Anna würde keine Spargelstange auf unserem Teller landen. Dass Technik ihnen die Arbeit erleichtert, haben sie dem Mindestlohn zu verdanken.
Der Freund des Spargelstechers ist die „Spinne“. Jacek drückt einen Knopf, und das wuchtige Gefährt setzt sich langsam in Bewegung. Vor sich hebt die Maschine die Plane in die Luft, hinter sich deckt sie den Damm wieder ab. Und unter der Spinne sticht Jacek den Spargel. Also: Bücken, mit der linken Hand den oberen Teil der Stange freigraben, mit der rechten Hand das Messer ansetzen und schneiden, die Erde zurückschieben, aufrichten, die Stange in die Ablage der Spargelspinne legen, ein paar Schritte weitergehen, bücken … „Das ist nicht anstrengend!“, sagt der Spargelstecher.
Genau 99 Reihen umfasst das Feld nordwestlich von Buchholz in der Nordheide. Weil die Nacht kühl war, glitzern überall weiße Planen in der Vormittagssonne. Sie verschaffen dem Spargel die nötige Wärme zum Wachsen. Bis vor drei Jahren musste Jacek die Planen noch eigenhändig abheben. Dann kam die Spinne. „Die Maschine ist gut“, sagt der 48-jährige Pole, der kein Freund vieler Worte ist.
Gut 1000 Kilometer hat er zurückgelegt, um diese Arbeit zu machen. Zweieinhalb Monate währt die Saison, dann fährt er zurück in seine Heimat, eine 70.000-Einwohner-Stadt im Südosten Polens. Gelernt hat Jacek den Beruf des Malers. Meist gibt es aber keine Arbeit für ihn, erzählt er. Und wenn es welche gibt, ist sie schlecht bezahlt: 450 Euro im Monat. „Zu wenig“, sagt Jacek. Hier kann er in kurzer Zeit einige Tausend verdienen.
Der Mann, der für den relativen Reichtum sorgt, heißt Heiner Bartels. Der 46-Jährige hat den Hof von seinen Eltern übernommen, „als Kind habe ich noch selbst Spargel gestochen“. Was klein anfing, wird zunehmend größer: 60 bis 70 Tonnen des beliebten Gemüses wachsen heute auf den Feldern des Bauers, außerdem Kartoffeln, Kürbisse, Tomaten, Gurken, Zucchini, Getreide und Blumen. 27 Helfer sind allein bei der Spargelernte im Einsatz, die meisten kommen seit vielen Jahren immer wieder. Die Männer arbeiten auf dem Feld, die Frauen sortieren oder schälen Bruch, den die Schälmaschine nicht verarbeiten kann: „Frauen sind etwas filigraner“, sagt Heiner Bartels.
Anna ist wegen ihres Mannes auf den Hof gekommen. Der hatte vor zehn Jahren sein Studium der Agrarwissenschaften in Polen beendet und suchte eine Zukunft. Was als Saisonjob begann, wurde bald zu einer festen Stelle. „Mein Mann ist ein guter Arbeiter“, sagt die 32-jährige Pädagogin stolz. Bei ihr selbst dürfte das nicht anders sein, denn heute arbeiten beide das ganze Jahr über auf dem Hof und sind zufrieden: „Der Chef sorgt immer für guten Kontakt, organisiert gut – und bezahlt anständig.“
Manche Bauern umgehen den Mindestlohn
Das sollte selbstverständlich sein, ist es aber nicht. Zwar hat die Einführung des Mindestlohns die Situation der Erntehelfer verbessert. Doch gibt es weiter Bauern, die die Lohnuntergrenze umgehen, berichtet Sozialberaterin Eliza Yankova von Arbeit und Leben Lüneburg: „Manchmal stimmen die Abrechnungen nicht oder es gibt keine, manchmal werden für Unterkunft und Verpflegung höhere Summen vom Lohn abgezogen als erlaubt.“ In einem besonders krassen Fall schliefen bis zu sechs Arbeiter in einem Container, hatten nicht mal Strom – und mussten 250 Euro Miete pro Kopf und Monat dafür zahlen. Und das sind nur die Fälle, die der Beraterin bekannt werden. Oft, so Yankova, nehmen Arbeiter miese Bedingungen auch zähneknirschend in Kauf – schlecht bezahlte Arbeit ist besser als gar keine.
Bei 8,84 Euro die Stunde liegt der allgemeine Mindestlohn in Deutschland. Heiner Bartels zahlt seinen Helfern dieses Geld, egal wie viel oder wie wenig sie ernten. Er weiß, wie hart die Arbeit ist, deshalb findet er den Lohn „gerechtfertigt und fair“. Weniger Spargel verkauft er wegen des Mindestlohns nicht – obwohl er die Preise hat erhöhen müssen, weil die Hälfte seiner Kosten Lohnkosten sind. Heiner Bartels hat einen weiteren Weg gewählt, um nicht ins Minus zu rutschen: „Wir haben in Technik investiert.“
Im ehemaligen Schweinestall stehen fünf Frauen und ein Mann an den Stationen einer großen, laut brummenden Sortiermaschine. Der Mann hebt den Spargel kistenweise zur Grobwäsche in ein Wasserbad, die erste Frau legt sie anschließend aufs Fließband. Die zweite bringt die Stangen in Linie für Feinwäsche und Schnitt, die dritte prüft, ob die Maschine die Stangen in die richtigen Fächer geschickt hat. Zwei weitere Arbeiterinnen schließlich packen den Spargel in Kisten. 80.000 Euro hat Heiner Bartels für die Maschine bezahlt, die jede einzelne Stange fotografiert, vermisst und nach seinen Vorgaben sortiert. Rund 300 Stangen pro Minute finden so die für sie passende Bezeichnung. „Das rechnet sich“, sagt Heiner Bartels.
Auch für Rafal rechnet sich die Spargelernte. Neun Monate im Jahr arbeitet der gelernte Elektromechaniker in seiner Heimat als Automechaniker, für 500 Euro pro Monat. Hier kommt er auf den drei- bis vierfachen Lohn. „Am Anfang war die Arbeit schwer“, sagt Rafal. Während seiner ersten Spargelsaison hatte er einen Monat lang Rückenschmerzen. Aber das ist lange her, „und da gab es auch noch keine Spinne“. Mit dem Geld, das der 35-Jährige hier verdient, will er mit seiner Frau die Wohnung renovieren, „wir leben in einem alten Haus“. Während der Spargelsaison schläft er wie die meisten Erntehelfer (für einige hat Heiner Bartels Zwei-Bett-Container gekauft) in der ausgebauten Scheune, für 2,60 Euro die Nacht.
12 Uhr. In drei großen, mit Styropor umfassten Behältern dampfen Kartoffeln, buntes Gemüse und Fleisch. „Eine warme Mahlzeit am Tag ist wichtig“, sagt Heiner Bartels. Damit seine Leute die nicht selbst kochen müssen, lässt er das Essen von der Kantine eines nahe gelegenen Autohofs liefern. Zwei Frauen reichen die Mahlzeit, damit die Männer nicht streiten über die Größe der Portionen. Mit vollen Tellern in der Hand ziehen sich Jacek, Rafal und ihre Kollegen in die Unterkünfte zurück. In zwei Stunden geht es weiter. Der Tag der Spargelkönige ist noch lang.