Die Sozialbehörde lässt nach zehn Jahren wieder die Zahl der Obdachlosen in der Stadt erheben. Hilft das den Betroffenen? Wir haben Dirk Hauer von der Diakonie um Einordnung gebeten.
Vom 19. bis zum 25. März findet in Hamburg eine Zählung von obdach- und wohnungslosen Menschen statt. Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) will „gesicherte Informationen, um das bestehende Hilfesystem zu überprüfen“, wie sie sagt.
Was aber bedeutet das konkret für Hamburgs Obdachlose und warum wird ein besonderes Augenmerk auf osteuropäische Obdachlose gelegt? Wir haben dazu Dirk Hauer befragt, den Fachbereichsleiter Migration und Existenzsicherung bei der Diakonie Hamburg.
Hinz&Kunzt: Erstmals seit zehn Jahren zählt die Stadt nun die Obdachlosen in Hamburg. Eine sinnvolle Maßnahme?
Dirk Hauer: Sicherlich ist es nicht verkehrt, wenn man weiß, wovon man beim Thema Obdachlosigkeit spricht. Aber aus unserer Sicht hätte es dafür keiner aufwendigen Zählung bedurft. Das Elend der Betroffenen und die Lücken im Hilfesystem sind einfach offensichtlich.
Ein besonderes Augenmerk soll dabei auf „Personengruppen ohne deutsche Staatsangehörigkeit“ gelegt werden, so Sozialsenatorin Melanie Leonhard. Finden Sie diese Unterteilung in deutsche und nichtdeutsche Obdachlose richtig?
„Es besteht die Gefahr, dass die Zählung instrumentalisiert wird.“– Dirk Hauer
Wenn man zählt, ist es auch richtig, die Zusammensetzung der Obdachlosen zu untersuchen. Das ist auch 2009 geschehen. Allerdings besteht die Gefahr, dass die Fokussierung der Zählung in der momentanen Situation instrumentalisiert wird, um eine harte Linie gegen nicht-deutsche Obdachlose zu legitimieren
Gefahr, dass die Ergebnisse instrumentalisiert werden
Mit Verweis auf eine Unterkunft in den Herkunftsstaaten wurde bislang rund 124 Osteuropäern der Zugang zum städtischen Winternotprogramm verwehrt. Befürchten Sie, dass die Ergebnisse der Zählung sich nachteilig auf diese Personengruppe auswirken könnte?
Erklärte Hamburger Linie ist, osteuropäische Obdachlose aus der Stadt zu drängen. Es ist zu befürchten, dass diese Linie im Anschluss an die Zählung nicht revidiert wird. Es wird entscheidend darauf ankommen, wie die Ergebnisse der Zählung interpretiert werden. Die Freie Wohlfahrtspflege kann da leider nur beratend mitdiskutieren, aber nicht mitentscheiden.
„Wir brauchen gesicherte Informationen um unser bestehendes Hilfssystem zu überprüfen“, so die Senatorin. Welche Maßnahmen halten Sie für dringend erforderlich, damit das Hilfesystem verbessert wird?
Es ist bereits jetzt offensichtlich, wie das bestehende Hilfesystem verbessert werden kann: Wohnungslose brauchen in erster Linie eine eigene Wohnung. Hier versagt der Wohnungsmarkt dramatisch. Es müssen deshalb deutlich mehr preiswerte richtige Wohnungen als bisher für vordringlich wohnungssuchende Menschen zur Verfügung gestellt werden.
Obdachlosen-Zählung 2009
Obdachlose Menschen müssen schneller von der Straße in Unterkünfte vermittelt werden. Die Qualität der Unterkünfte muss verbessert werden, damit diese auch angenommen werden. Das Winternotprogramm muss wirklich für alle Betroffenen zugänglich sein. Und last but not least müssen die Einrichtungen des Winternotprogramms auch tagsüber genutzt werden können.
Vielen Dank für das Gespräch!