Deutschland steht vor der größten Kältewelle dieses Winters: Dauerfrost und Temperaturen bis zu minus 9 Grad werden zum Wochenende erwartet. Für Obdachlose besteht Lebensgefahr.
Ab dem Wochenende soll es bitter kalt werden: Ein Tief aus Sibirien bringt Polarluft auch nach Hamburg. Die Temperaturen sollen in der Nacht bis auf minus 9 Grad fallen, am Tag ist Dauerfrost angesagt. Hinz&Kunzt fordert daher erneut mit Nachdruck, das Winternotprogramm für alle unabhängig von ihrer Herkunft zu öffnen. Auch am Tage müssen die beiden Notunterkünfte in der Friesenstraße und am Schaarsteinweg geöffnet bleiben.
„Die Obdachlosen tagsüber in die Kälte zu schicken, ist gefährlich“, so Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer. „Für den geschwächten Körper eines Obdachlosen kann das den Tod bedeuten. Besonders bei der grassierenden Grippewelle.“ Bei Wind und Wetter müssen bislang täglich rund 600 Obdachlose zwischen 9.30 und 17 Uhr die Unterkünfte verlassen.
Osteuropäer werden abgewiesen
Bisher wurden sogar nachts Menschen an den Türen des Winternotprogramms abgewiesen. Rund 100 Obdachlose aus Osteuropa wurde der Zugang verwehrt, weil sie im Herkunftsland eine Unterkunftsmöglichkeit haben sollen. „Das ist unmenschlich, ihnen bei diesen Temperaturen ein Bett zu verweigern,“ so Stephan Karrenbauer.
Auch die Linke fordert die Tagesöffnung des Winternotprogramms:
Der Winter schlägt in #Hamburg erbarmungslos zurück! Temperaturen bis zu -15 Grad werden erwartet. Die Obdachlosen müssen um ihr Leben kämpfen, weil das #Winternotprogramm tagsüber nicht öffnet! Wir fordern die ganztägige Öffnung, bevor die Menschen erfrieren! pic.twitter.com/Qocfv1UZg1
— DIE LINKE. Wandsbek (@LINKEWandsbek) 22. Februar 2018
Seit Jahren setzen sich Fachleute für die Öffnung der Notunterkünfte auch tagsüber ein. Zuletzt forderten der ehemalige Obdachlose Jörg Petersen und Hinz&Kunzt in einer Online-Petition einen Zugang für alle – auch am Tage. Fast 102.000 Menschen haben sich inzwischen dieser Forderung unter change.org/winternotprogramm angeschlossen.
„Die Dringlichkeit, das Winternotprogramm tagsüber und für alle zu öffnen, ist jetzt noch größer“, sagt Petersen. „Das kann jeder selbst spüren, der bei dieser Kälte auch nur kurz draußen ist. Und nun stelle man sich vor, dass man den ganzen Tag über draußen bleiben muss.“
Platte machen bei eisiger Kälte
So wie Mike (60) und Martin (32) – die beiden Hinz&Künztler schlafen auch bei Minustemperaturen weiter draußen. Mike hat seine Platte in Rothenburgsort, gemeinsam mit seinem Hund Joey (1). „Der ist mein Ein und Alles und mit Hund kommst du nichts rein ins Winternotprogramm“, sagt er und zuckt mit den Schultern.
Auch für Martin ist das Winternotprogramm keine Alternative: „Seitdem sie mir im Pik As vor zwei Jahren meinen Laptop geklaut haben, habe ich mir geschworen, dass ich nie wieder in eine Unterkunft gehe“, sagt er trotzig. Auch die Aussicht auf einen Platz in der Friesenstraße mit abschließbarem Schrank kann ihn nicht überzeugen. „Ich mache Platte, seitdem ich 15 Jahre alt bin“, sagt Martin. Auf die Kälte bereitet er sich mit Isomatte, mehreren Lagen Schlafsäcken und einer dicken Bundeswehrdecke vor. „Das hält bis minus 15 Grad.“
Jörg Petersen weiß, dass nicht alle Obdachlosen den Weg ins Winternotprogramm finden. „Dieses ‚Ich will weiter draußen bleiben!‘ ist aber oftmals nicht ganz freiwillig“, sagt er, „viele machen weiter Platte aus Resignation. Es ist eine Entscheidung, die aus der Not geboren ist.“
Heiße Suppe für Obdachlose
Hinz&Künztler Jens organisiert unterdessen ganz praktische Unterstützung für all jene, die weiter draußen schlafen: am Montagabend (26.02.) will er mit weiteren Freiwilligen der Gruppe „Zwischenstopp Straße“ heißen Kaffee und Suppe an die Obdachlosen in der Innenstadt verteilen.
Bereits am Samstag lädt die Mobile Bullysuppenküche mit Hanseatic Help und der Hamburger Tafel Menschen mit und ohne Obdach in die Schanze zum Hoffest in die Bartelsstraße beim 3001 Kino: Neben Pizza, Suppe und Würstchen sowie heißen Getränken werden dort auch warme Kleidung und Hygieneartikel an Obdachlose ausgeteilt.
Am Freitag und Samstag organisieren die Bergedorfer Engel eine mobile Ausgabe mit heißen Getränken und Schlafsäcken in der Innenstadt. Am Sonntag (25.02.) steht ab 12 Uhr das Arztmobil sowie das Dogmobil an der Reeperbahn 100 – auch hier gibt es warmes Essen und warme Kleidung.
Behörde: Können „flexibel“ reagieren
Sollten die Temperaturen weiter sinken, könne man an einzelnen Tagen das Winternotprogramm womöglich auch früher öffnen – das signalisierten sowohl die Sozialbehörde als auch Betreiber fördern&wohnen. Man könne „flexibel reagieren“ so f&w-Sprecherin Susanne Schwendtke auf Hinz&Kunzt-Nachfrage. Konkretere Angaben machte Schwendtke jedoch nicht. Eine ganztägige Öffnung stelle sie bislang nicht in Aussicht.