Spurensuche :
Wieso starb Olaf S. auf der Parkbank?

Polizist Dirk Matthies zeigt die Parkbank am Venusberg, auf der Olaf starb. Foto: Mauricio Bustamante

Der Obdachlose Olaf S. starb vor einem Jahr auf einer Parkbank beim Michel. Gemeinsam mit Hinz&Kunzt versuchen zwei alte Freunde, seinen Absturz zu begreifen. Eine Spurensuche in Hamburg.

Hinz&Kunzt Randnotizen

Freitags informieren wir per Mail über die Nachrichten der Woche:

Die letzte Nachricht von Olaf S. kommt im Oktober 2013 per Facebook-Chat. „Hab hier nen neuen tollen job und eine tolle frau, ein haus und endlich ein schönes leben“, schrieb er seiner Patentochter. „hamburg ist so anders und so geil. Und die arbeit ist einfach perfekt.“

Die letzte Nachricht über Olaf S. erscheint im Dezember 2016 auf der Homepage von Hinz&Kunzt. Sie war überschrieben mit „Obdachloser stirbt auf Parkbank“.

Was ist in den drei Jahren dazwischen geschehen? Ute (57) und Klaus (58) Müller, die mit Olaf einst zur Schule gegangen sind, wollen das gemeinsam mit dem Hinz&Kunzt-Reporter herausfinden. Jetzt stehen wir vor der Parkbank oberhalb des Portugiesenviertels, auf der Olaf gestorben ist. Durch die Bäume sehen wir die Turmspitze der Michaeliskirche. Wie war das hier vor einem Jahr?

„Wir hätten ihm so gerne geholfen.“– Ute Müller

„Ein Spaziergänger mit Hund hatte eine leblose Person gemeldet“, erzählt Dirk Matthies. Er ist Polizist und saß in dem Streifenwagen, der daraufhin zum Venus­berg gerufen wurde. Für die ­Müllers nimmt er sich die Zeit, noch einmal hierhin zurückzukommen. Er war sofort dazu bereit – weil es ihm wichtig ist, Olafs Freunden zu helfen.

Neben der Bank am Venusberg liegen die kleinen Schnapsflaschen, die Polizist Dirk Matthies schon an Olafs Todestag dort gefunden hatte. Foto: Mauricio Bustamante

Es war der 20. November 2016, nachts um eins. Olaf, 58 Jahre alt, saß auf der Bank und war zur Seite umgekippt. Um ihn herum lagen einige kleine Schnapsflaschen. „Dort liegen sie ja noch“, sagt Polizist Matthies und zeigt auf ein Boonekamp-Fläschchen im Gebüsch. Olafs Tod wird für seine Freunde greifbar, Ute Müller weint. „Wir hätten ihm so gerne geholfen“, sagt sie.

Die Behörden interessiert nicht, woran Olaf gestorben ist

Woran Olaf gestorben ist, weiß ­niemand so genau. „Es ist keine Obduktion erfolgt, weil keine Hinweise auf eine Straftat vorlagen“, erklärt ein Polizeisprecher. „Wahrscheinlich“ sei die Todes­­ursache multiples Organversagen ge­wesen. Staatsanwältin Nana Frombach hatte vor einem Jahr noch andere Worte gefunden: „Mutmaßlich ist der Mann nach extremem Alkoholabusus verstorben“, schrieb sie Hinz&Kunzt.

Wahrscheinlich, mutmaßlich: So genau will man es nicht wissen, wieso ein Obdachloser auf offener Straße verstorben ist. Gerade im Winter ist es oft die verhängnisvolle Mischung aus Kälte und Alkohol, die Menschen auf der Straße das Leben kostet, nachdem sie durchs soziale Netz gefallen sind. „Er war wetterfest gekleidet, aber nicht ausreichend, um stundenlang draußen zu sein“, erinnert sich Dirk Matthies. War Olaf also ein Kältetoter? Ist das nicht von öffentlichem Interesse? Es gab keine Pressemitteilung der Polizei, niemand außer Hinz&Kunzt berichtete darüber. Olaf starb für sich allein.

Sein Leben begann im Juni 1958 in ­Osnabrück. Olafs Kindheit sei „ganz normal“ gewesen, erzählt Ute Müller: der Vater ziemlich streng, die Mutter dafür umso lieber. Seine Wünsche hätten sie ihm immer erfüllt.

„Olaf wollte immer im Mittelpunkt stehen.“– Ute Müller

Die Müllers kannten Olaf seit den frühen 1970ern. Damals kam er in dieselbe Schule wie Ute und Klaus. Er war begeisterter Basketball-Spieler, die beiden gingen oft in die Sporthalle und schauten seine Spiele an. Anschließend feierten sie die Siege ausgiebig gemeinsam in der Kneipe. Die Aufmerksamkeit durch den Sport genoss Olaf: „Er wollte immer im Mittelpunkt stehen“, sagt Ute. „So war er immer schon.“

Es war kein Leben, bei dem ein ­Ende auf einer Parkbank absehbar gewesen wäre. Nach seiner Schlosserlehre blieb Olaf noch eine Zeit lang bei ­seinen Eltern wohnen. 1983 lernte er Margarete kennen, seine große Liebe. Drei Jahre später heirateten die beiden. Finanziell war es anfangs knapp, denn als Schlosser verdiente Olaf nicht viel. „Aber sie haben sich durchgekämpft“, erzählt Ute Müller.

Seinen Job am Theater hat Olaf geliebt

Und es ging weiter bergauf, Olaf landete beim Theater. Ein Bekannter hatte ihm einen gut bezahlten Job als Bühnentechniker verschafft, später wurde er dort Orchesterwart. „Er brauchte Leute um sich, sonst wäre er zugrunde gegangen“, erzählt Ute. Deswegen habe er den Job am Theater so geliebt: wegen der vielen Menschen! „Das fand er richtig toll!“

„Er war wirklich ein guter Freund.“– Ute Müller

Die Freundschaft mit den Müllers war intensiv. Sie fuhren gemeinsam in den Urlaub und übernahmen gegen­seitig Patenschaften für die Kinder. „Er war wirklich ein guter Freund“, sagt Ute. „Immer sofort da, wenn man Hilfe brauchte.“

20 Jahre lang. „Und irgendwann ging das dann kaputt.“ 1995 starb Olafs Ehefrau Margarete. Die große Wende in seinem Leben. Danach fing er an, immer mehr zu trinken und seinen Freunden Geschichten zu erzählen, die sich später als unwahr erwiesen. „Er war nur noch sich selber wichtig“, sagt Ute. Immer wieder habe er sich über Kontaktanzeigen und das Internet neue Frauen gesucht, doch die Beziehungen zerbrachen wieder. Und auch die Freundschaft zu Ute und Klaus zerbrach über die Jahre. Beruflich lief es letztlich auch schlecht für Olaf, er verlor seine Anstellung beim Theater.

Neustart in Hamburg

Dann der Neustart in Hamburg. Olafs neuer Job hier sollte im Januar 2013 beginnen. Er schrieb, dass er eine Anstellung in der renommierten Staatsoper gefunden hätte: „Nur noch büro, keine schlepperei mit instrumenten.“

„Vielleicht hat er etwas erzählt, das er sich wünschte, aber nicht der Realität entsprach.“– Michael Bellgardt

Eine Spur. Vielleicht wissen seine früheren Kollegen, wieso Olaf auf der Straße gelandet ist. Michael Bellgardt, Pressesprecher der Staatsoper, schaut für uns in die Personalakten. Ergebnis: Olaf hat dort nie gearbeitet. „Vielleicht hat er etwas erzählt, das er sich wünschte, aber nicht der Realität entsprach“, sagt Bellgardt.

Ein Schwindel also. Passt das zu Olaf? Früher habe er zwar immer gerne dick aufgetragen: „Er wollte immer besser dastehen, als er war“, sagt Ute Müller. Einmal habe er sogar einen Kredit aufgenommen, um den Müllers zu zeigen, dass er auch in den Urlaub fliegen kann. „Aber Lügen? Nein!“, sagt sie. Vielleicht hat er sich geschämt, dass er keinen Job mehr hatte, vermuten seine Freunde. Vielleicht brach Olaf den Kontakt zu ihnen ab, weil sein Lügengebäude einzustürzen drohte. Denn seine Patentochter Nadine, die Tochter von Ute und Klaus, fragte Olaf, ob sie ihn in Hamburg besuchen könnten. Anfang 2014 war das. Eine Antwort kam nie.

Im Januar 2015 hat Olaf drei Wochen lang in der Not­unterkunft Pik As übernachtet. Foto: Mauricio Bustamante

Warum hat Olaf nicht im Winternotprogramm geschlafen?

Das Thermometer zeigte keine drei Grad, als Olaf im November 2016 starb. Das Winternotprogramm kann man von der Bank am Venusberg fast sehen, so nah ist es. Hier hätte er ein Bett für die kalte Nacht bekommen können. Manchmal hat er dort übernachtet. Auch in der Notunterkunft Pik As war er mal drei Wochen lang. Wieso in dieser Novembernacht nicht? Man kann nur spekulieren. „Vielleicht hat er nicht mehr klar gedacht und mitbekommen, wie gefährlich es war, draußen zu sein“, glaubt sein Freund Bruno, der mit ihm ein halbes Jahr lang Platte gemacht hat. Denn Alkohol hat Olaf auch in Hamburg viel getrunken.

Inzwischen antwortet Olafs Freund nicht mehr auf Nachfragen, aber ein paar Informationen haben wir von ihm bekommen. Die beiden seien jeden Tag in der Alimaus gewesen, einer Essensausgabe für Obdachlose nahe der Reeper­bahn. „Vielleicht wissen sie dort ein wenig mehr“, schrieb Bruno.

„Olaf hat mit seinen Geschichten gerne mal ­einen ganzen Tisch unterhalten.“– Christiane Hartkopf

Und tatsächlich: Alimaus-Leiterin Christiane Hartkopf kann sich noch gut an Olaf erinnern und lädt die Müllers ans Nobistor ein. „Er war einer, der mit seinen Geschichten gerne mal ­einen ganzen Tisch unterhalten hat“, sagt sie. „Ja, Geschichten erzählen, das hat er gerne gemacht“, pflichtet ihr Klaus Müller bei. Früher schon, wenn sie mit den Basketballern in der Kneipe waren. Olaf konnte aber auch ganz anders: „Sobald wir draußen im Park gesessen haben, war er ein ganz ruhiger und ernsthafter Mensch“, erzählt Hartkopf. Dann habe er von seinem Alltag auf der Straße berichtet, „wie beschissen er das alles findet“.

Die Alimaus am Nobistor besuchte Olaf regelmäßig. Leiterin Christiane Hartkopf erinnert sich noch gut an ihn. Foto: Mauricio Bustamante

Manchmal habe er auch versucht, vor seinem Alltag zu fliehen. „Er war an guten Tagen bemüht, sich abzu­grenzen“, sagt Hartkopf. Dann sei er in ­einen anderen Stadtteil gefahren, raus aus St. Pauli, weg von seinen Trinkerfreunden. Manchmal sei er aber auch so betrunken gewesen, dass er sich aus Scham nirgends habe blicken lassen.

Wie Olaf auf der Straße landete

Olaf hatte Christiane Hartkopf auch eine Geschichte dazu erzählt, wie er ­angeblich auf der Straße gelandet ist: „Eine Frau hat ihn aus der Wohnung geschmissen und er kam dann an seine Sachen nicht mehr ran“, sagt sie. „Auch an seine Finanzen nicht.“ Seiner Patentochter hatte Olaf geschrieben, dass „sein Schatz“ Bankkauffrau sei und wisse, „was richtig ist“. Deswegen wolle er sein angelegtes Geld mit nach Hamburg nehmen. Gab es diese Frau wirklich? Hat sie ihn tatsächlich um sein Erspartes gebracht? „Das wäre ja Wahnsinn. Dann hätte er von heute auf morgen nichts mehr gehabt“, sagt Klaus. „Abgestürzt“, sagt Ute.

„Vielleicht brauchte er das Gefühl, nicht ganz unten angekommen zu sein.“– Ute Müller

Die beiden gehen über die Reeperbahn, vorbei an vielen Obdachlosen, die vor den Häusern liegen. Dass ihr Freund Olaf am Ende auch so gelebt hat, kann sich das Ehepaar kaum v­orstellen. Beim Cafée mit Herz, einer Obdachloseneinrichtung am anderen Ende vom Kiez, fragen wir nach Olaf. Ein tätowierter Mann namens Locke erkennt ihn auf dem Foto, das wir dabeihaben. „Er ist mal hier gewesen, aber das ist lange her“, sagt Locke. ­Damals habe Olaf Hilfsangebote abgelehnt. Sogar eine Wohnung wollten sie ihm organisieren, doch Olaf habe das nicht gewollt: „Da hat er ’ne Mauer ­gemacht.“ Ute Müller wundert sich. „Das passt doch gar nicht“, sagt sie.

Platte machen neben Luxuswohnungen

Olafs Zuhause ist in den letzten ­Jahren offenbar die Hafencity gewesen. Hier hat die Polizei mal hier, mal dort seine Personalien überprüft, meist weil es Streit gab. Alimaus-Leiterin Hartkopf hat er erzählt, dass er an den Magellan-Terrassen Platte gemacht habe. Von dort blicken Ute und Klaus Müller nun auf die Elbphilharmonie, rechts und links die Luxuswohnungen der ­Hafencity. „Vielleicht ist Olaf hier hingegangen, um dahinten mal rauszukommen“, sagt Klaus. Und Ute vermutet: „Vielleicht brauchte er das Gefühl, nicht ganz unten angekommen zu sein.“

Auf dem Friedhof in Öjendorf liegt Olaf begraben. Mit vielen Hundert anderen, die dort „von Amts wegen“ bestattet sind, weil sie keine Angehörigen hatten. Foto: Mauricio Bustamante

Näher kommen wir an Olaf nicht heran. Gerne hätten die Müllers noch mehr über das Schicksal ihres Freundes erfahren. Zum Beispiel, was er in den letzten Monaten seines Lebens gemacht hat. Denn in der Alimaus wurde er ­zuletzt im Sommer 2016 gesehen. „Ein bisschen fehlt noch“, sagt Ute.

Im November will sie mit ihrer ­Familie noch einmal nach Hamburg kommen, dann wird an Olafs Tod bei einem Gottesdienst für verstorbene Wohnungslose gedacht. „Es tut richtig gut, dass sich Leute an ihn erinnern können“, sagt Ute Müller. Olaf starb zwar allein, aber vergessen ist er nicht.

Autor:in
Benjamin Laufer
Benjamin Laufer
Seit 2012 bei Hinz&Kunzt. Redakteur und CvD Digitales.

Weitere Artikel zum Thema