Die zunehmende Gewalt – auch unter Obdachlosen – verdeutlicht, dass Obdachlosigkeit lebensgefährlich ist. Ein Kommentar zu den aktuellen Vorfällen von Hinz&Kunzt-Chefredakteurin Birgit Müller.
Wir haben es in diesem Jahr schon vier Mal erlebt: ein Feuer auf einer Obdachlosenplatte. Damit nicht genug. In der Mönckebergstraße verprügelten Passanten einen Obdachlosen. Während des G20-Gipfels wurden Obdachlose der Gewalt auf der Straße schutzlos ausgeliefert. Und jetzt wird bekannt: Eine Obdachlose wurde geschlagen und sexuell missbraucht.
Nur durch Glück ist bislang niemand gestorben. Aber Menschen wurden schwer verletzt. Das ist eine neue Dimension der Gewalt auf der Straße. Es macht noch deutlicher: Obdachlose sind jeden Tag in Lebensgefahr.
Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht nehmen das sehr ernst. Ein mutmaßlicher Täter ist zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt worden. In zwei Fällen sollen die Täter selbst Obdachlose sein. Vermutetes Motiv: Neid auf einen besseren, trockeneren Schlafplatz. Das ist schockierend, denn es bedeutet: Obdachlose werden zu Opfern, weil sie keinen sicheren Schlafplatz haben. Und Obdachlose werden zu Tätern, weil sie keinen sicheren Schlafplatz haben. Im Fall der obdachlosen Frau sollen es zwei junge Flüchtlinge sein.
Es erscheint logisch, dass die Zahl der Straftaten steigt. Derzeit leben geschätzt 2000 Menschen in Hamburg auf der Straße. Viele von ihnen seit Jahren. Sie verelenden immer mehr. Die Behörde schafft es ebenfalls seit Jahren nicht, den Menschen ein Obdach zu bieten. Und das, obwohl derzeit 150 Wohncontainer eingelagert und weitere 300 Containerplätze wegen rückläufiger Flüchtlingszahlen frei sind.
Stattdessen sollen Obdachlose ins Notasyl Pik As gehen. Was keine Dauerlösung ist – und auch nur für Obdachlose mit einem sogenannten Rechtsanspruch gilt. Seit der EU-Osterweiterung stranden aber auch viele Polen, Rumänen und Bulgaren auf der Straße. Und die haben nichts – nicht mal die Hoffnung auf einen Schlafplatz.