Eigentlich steht die Schiller-Oper auf St. Pauli unter Denkmalschutz. Trotzdem will die Eigentümerin das Gebäude abreißen und einen Neubau errichten lassen. Anwohner streiten für den Erhalt des Zirkusbaus – gemeinsam mit dem Denkmalschutzamt.
Im nördlichen St. Pauli steht an der Lerchenstraße dieses rumpelige Gebäude. Viele Fenster sind mit Brettern vernagelt, „Einsturzgefahr“ steht auf gelben Schildern rundherum. Dass die weiße Farbe großflächig von den Mauern abblättert, können auch die zahlreichen Graffiti nicht verbergen. Eigentlich kann das doch weg, oder?
Was man auf diesem Filetgrundstück alles bauen könnte, wäre die Schiller-Oper erst einmal weg! Ziemlich konkrete Vorstellungen davon hat nach jahrelangem Leerstand die Schilleroper Objekt GmbH. Die antwortet zwar nicht auf Anfragen von Hinz&Kunzt, schildert aber auf ihrer Webseite ihre Pläne für das Gebäude. „Wir möchten wieder einen Ort zum Wohnen, einen Raum zum Arbeiten und einen Platz zum Leben schaffen“, steht dort in kumpeligem PR-Sprech.
Die Schilleroper soll abgerissen werden und einem Neubau weichen. Genauer: drei Neubauten. Der Entwurf des Schweizer Architekten Max Dudler zeigt drei Backsteingebäude („norddeutsche Bautradition“), eines davon wie die Schilleroper als Rundbau konzipiert. Mit Platz für dringend benötigten „bezahlbaren Wohnraum“. Die Investoren schreiben: „Der Entwurf ist eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Tradition und dem Viertel.“
Also her mit dem Backsteinbau, den bezahlbaren Wohnungen und dem Platz zum Leben? So einfach ist das nicht. Denn die Schiller-Oper steht teilweise unter Denkmalschutz, aus vielen guten Gründen. Und diese Gründe sprechen dafür, dem verfallenen Gebäude einen neuen Anstrich und etwas mehr Standfestigkeit zu verpassen, um es zu erhalten.
Da ist zunächst mal die Architektur. Das von 1889 bis 1891 errichtete Zirkusgebäude bestand ursprünglich komplett aus Metall – und lag damit damals voll im Trend. Bis heute ist das Stahlskelett erhalten geblieben, das man auch von der Straße aus erkennen kann. So ein Gebäude gibt es in ganz Deutschland nicht mehr, vermutlich sogar in ganz Europa nicht. „Die Schiller-Oper ist damit ein besonderes Beispiel für den Beginn des modernen Stahlbaus, aber auch für die Unterhaltungsarchitektur und die Zirkusarchitektur des 19. Jahrhunderts“, sagt die Hamburger Stadt- und Kulturforscherin Anke Rees, die dem Gebäude ein ganzes Buch gewidmet hat (erhältlich im St. Pauli-Archiv).
Darin kann man nachlesen, dass der Zirkusdirektor Paul Busch am 15. August 1889 bei der Stadt Altona den Bauantrag für seinen „Circus mit Stallgebäuden und Restauration“ gestellt hat. In den Jahren darauf fanden darin prunkvolle Shows für die Arbeiter St. Paulis und Altonas statt. Als Busch 1899 dann mit dem Zirkusbetrieb auszog, stand dem Gebäude die Hochzeit noch bevor: 1905 eröffnete das Schiller-Theater an der damaligen Zirkusstraße und wurde mit der Zeit zum Mittelpunkt des Viertels. Künstler aus dem ganzen Land kamen, um hier aufzutreten. 1932 folgte dann der Umbau zur Oper.
„Das Gebäude ist auch eines der letzten Zeugnisse der Hochzeit der Unterhaltungskultur jener Zeit.“– Anke Rees
Auch daran erinnert bis heute das Gebäude an der Lerchenstraße: „Das Gebäude ist auch eines der letzten Zeugnisse der Hochzeit der Unterhaltungskultur jener Zeit“, sagt die Forscherin Anke Rees, „also für die damals in St. Pauli ausgeprägte Populärkultur mit Varietés, Volkstheatern, Operettenhäusern und artistischen Darbietungen.“
Mit dem Zweiten Weltkrieg begann der Niedergang des Gebäudes. Jedenfalls war vom schillernden Kulturleben nichts mehr übrig. 1943 zerstörte eine Brandbombe das Bühnenhaus und Teile des Dachs, danach nutzten die Nazis die ehemalige Oper erst als Soldatenunterkunft, dann als Lager für italienische Kriegsgefangene. Nach dem Krieg folgte ein Hotel, dann ein Heim für Arbeitsmigranten, damals „Gastarbeiter“ genannt. In den 1990ern zogen Asylbewerber in das „marode Gebäude“ (H&K Ausgabe 53). Und während es mehr und mehr verfiel, stritten sich Eigentümer und Politiker jahrzehntelang über die künftige Nutzung. Ein Park mit Bolzplatz, ein Hochhaus oder doch wieder ein Veranstaltungszentrum? Abreißen oder renovieren? Einig wurden sich die Beteiligten bis heute nicht.
Tim Lessner schaut ungläubig drein, als er gefragt wird, warum man die Schiller-Oper nicht zugunsten eines Neubaus abreißen sollte. „Das ist ein Zeitzeuge, der unglaublich viel erzählen kann!“, sagt er, ein bisschen empört. Ein Stück des Gebäudes kann der Softwareentwickler sogar aus dem Fenster seiner Wohnung am Neuen Pferdemarkt sehen. Als direkter Nachbar hat er sich vor zwei Jahren der Initiative Schiller-Oper angeschlossen und streitet seither für den Erhalt. „Wir haben den Eindruck, dass wir einen breiten Rückhalt in der Bevölkerung auf St. Pauli haben“, sagt Lessner. Zu einer Veranstaltung der Initiative kamen im März 120 Menschen, die dort erarbeitete Resolution haben mehr als 2000 Personen unterschrieben, davon 500 aus der Nachbarschaft. Lessner sagt, es sei „wichtig, die Kultur und Geschichte einer Stadt zu erhalten“.
Damit spricht er einen wunden Punkt an: Hamburgs Umgang mit seinen Denkmälern. Der hat in letzter Zeit keinen besonders guten Ruf. Die Stadtregierung „opfert das Erbe Hamburgs“, schrieb zum Beispiel im August die Hamburger Morgenpost. Der gewollte Abriss etwa des City-Hofs und anderer Gebäude mit historischer Bedeutung bringt regelmäßig Denkmalschützer auf die Palme.
Tag des offenen Denkmals
Wird es bei der Schiller-Oper anders sein – oder setzt sich auch hier ein Investor mit dem Abrissbagger durch? „Für das Denkmalschutzamt ist das relativ klar“, sagt ein Sprecher der Kulturbehörde. Ein Gutachten habe ergeben, dass ein Erhalt des Gebäudes der Eigentümerin zumutbar wäre. Punkt.
„Relativ klar“ war die Lage eigentlich auch schon, als die Schiller-Oper das letzte Mal den Besitzer wechselte. Beziehungsweise die Besitzerin, die aber ungenannt bleiben möchte. „Der Denkmalschutz war ja schon da, als sie das Gebäude gekauft hat“, sagt Tim Lessner und schüttelt mit dem Kopf. Dass der im Juli vorgelegte Bauentwurf die Vorgaben des Denkmalschutzes einfach ignoriert, findet er „absurd“.
Die Schilleroper Objekt GmbH will die Aufhebung des Denkmalschutzes für das Gebäude erreichen und begründet das mit einem eigenen Gutachten, nachdem ein Erhalt des geschützten Stahlgerüsts „technisch unmöglich“ sein, soll. Stimmt das? „Nach erster Prüfung so nicht richtig“ seien die Annahmen der Gutachter, heißt es aus dem Denkmalschutzamt. Klärung soll ein weiteres Gutachten bringen, das die Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen erstellen soll.
Eine langjährige Tradition wird derweil weiter gepflegt: Das Gebäude wird sich selbst überlassen. Zwar müsste die Eigentümerin die Stahlkonstruktion eigentlich „in denkmalgerechtem Zustand“ erhalten, bekräftigt der Senat in einer Drucksache. Dem sei sie jedoch „bislang nicht nachgekommen“.