Gerold (46) verkauft Hinz&Kunzt vor dem Hofladen an der S-Bahn-Station Kornweg.
Unfassbar aufgeregt war Gerold vor seiner Zahn-OP. „Ich bekomme in drei Tagen ein neues Gebiss“, erzählte der 46-Jährige Anfang Juni. „Ich hoffe, ich packe das.“ Einen Tag später stand er wieder in der Redaktion, berichtete von seinen Sorgen, seiner Angst.
Dass ihm das Reden guttat, merkte man dem Hinz&Kunzt-Verkäufer deutlich an. Panikattacken und Angstzustände sind Gerolds großes Problem. „Jahrelang habe ich nur auf dem Sofa gesessen“, erzählt er. Er habe sich um nichts gekümmert, sei niemals zum Amt gegangen, habe kein Geld erhalten und keine Krankenversicherung mehr gehabt.
Mir hat Hinz&Kunzt das Leben gerettet– Gerold
Seine Freundin habe das irgendwann nicht mehr ausgehalten und ihn verlassen. Er blieb alleine zurück in der Wohnung. „Danach ging es mir noch beschissener“, erinnert er sich. Drei Jahre ist das jetzt her. Seine Lethargie und Selbstmordgedanken habe er nur durch den Zeitungsverkauf überwunden. „Mir hat Hinz&Kunzt das Leben gerettet“, sagt Gerold oder auch „Alex“, wie er bei einigen Freunden aus der alten Zeit noch heißt.
Mit den Eltern gab es nur Ärger
Und er hat sich aufgerafft, um sich psychische Betreuung zu suchen. Seitdem arbeitet er kontinuierlich auf, was in seinem Leben alles schief lief. Und das ist eine Menge. „Ich hatte eine Scheißjugend“, sagt Gerold, der in Ostfriesland aufwuchs. Mit den Eltern gab es nur Ärger. Auf Schule und Ausbildung ließ er sich nie richtig ein. Mit Anfang 20 hatte er genug.
Es zog ihn nach Hamburg. Er jobbte mal hier, mal da. Schlief bei Bekannten, teilweise auch auf der Straße. Dadurch kam er mit Hinz&Kunzt in Kontakt und begann, die Zeitung zu verkaufen. 20 Jahre ist das jetzt her. Das war auch die Zeit, in der erstmals die Angstzustände auftraten, die ihn seither begleiten. Die Panikattacken hat er inzwischen weitgehend im Griff.
Die Zustimmung zu der Gebiss-OP hat ihn trotzdem noch sehr große Überwindung gekostet. Doch sein Mut hat sich gelohnt. Unglaublich stolz war Gerold, als er Mitte Juni schließlich seine neuen Zähne präsentierte. Dieses Mal hatte er keinen Rückzieher gemacht. Er war stärker als seine Angst.
Stammkundin unterstützt ihn
Unterstützt hat ihn dabei Zahnärztin Birgit Horschler-Fricke, die Gerold seit Langem kennt. Eine Stammkundin, die den fast zahnlosen Mann behutsam unterstützte, Termine vereinbarte und ihn auf die bevorstehende Operation vorbereitete. Schritt für Schritt. So soll es jetzt auch weitergehen.
Bewerbungsfotos könne er endlich mal machen, sagt Gerold. Mit seinem alten Gebiss habe er sich gar nicht mehr getraut, sich irgendwo vorzustellen. „Und ich muss wohl mal kochen lernen“, sagt er lachend. „Jetzt kann ich ja wieder richtig kauen und muss nicht aus der Dose essen.“