Der Streifen „Das Ende vom Lied“ der jungen Filmemacherin Julia Küllmer erzählt von ihrem Großvater. Und davon, wie souverän ein Leben auch am Ende gelebt werden kann.
Lange war ihr Großvater rüstig, fit, sehr darauf bedacht, dass er alleine klarkam. Er bewohnte sein Haus, puzzelte im Garten herum, kochte für sich, fuhr Fahrrad und das so gut wie an jedem Tag. „Aber dann fing er plötzlich an, vom Altersheim zu reden; wann er da wohl hin müsste“, erzählt die Filmemacherin Julia Küllmer. „Natürlich war mein Opa alt – aber für mich war er das nicht wirklich.“ Er zählte da 88 Jahre.
Sie hatte gerade angefangen, Film zu studieren. Und drehte einen kurzen, zehnminütigen Interviewfilm mit ihrem Großvater, der vom Altsein erzählt. „Ich stellte ganz brav nacheinander meine Fragen.“ Ihrem Dozenten gefiel der Film, sehr sogar. Nur eines störte ihn: Er sei viel zu kurz geraten!
Erste Fassung zum 90. Geburtstag
Am Ende wurden es fünf Jahre, in denen sie immer wieder ihren Großvater mit der Kamera besuchte. „Meistens brachte ich Kuchen mit, wir redeten erst mal und dann fingen wir an zu drehen.“ Wie er in aller Langsamkeit mit seinem Treppenlift in den ersten Stock seines Hauses fährt, wie er im Halbdunkeln gegen seinen Schachcomputer spielt, wie er laut überlegt, ob er ins Altersheim ziehen sollte oder besser doch nicht. Und ihr Großvater fand langsam Gefallen am Filmen. „Als ich ihm zu seinem 90. Geburtstag eine erste Fassung schenkte, war er sehr stolz und meinte: ‚Aus uns wird noch was!‘“
Auch Ideen, wie der Film enden könnte, hatte er: „Er schlug mir vor, er könnte ja die Treppe herunterfallen, dann tot liegen bleiben, so würde alles mit einem großem Gepolter enden.“ Oder sie sollte aus dem Sarg heraus eine letzte Einstellung machen, dann fiele der Deckel zu und aus wär’s. Aber das war ihm dann doch selbst zu traurig.
Ehrlich, aber nie zu privat
Entstanden ist mit „Das Ende vom Lied“ ein berührender Dokumentarfilm, ehrlich, aber nie zu privat. Wobei Julia Küllmer zugibt, dass sie immer wieder neu überlegen musste, was sie filmte, was nicht; wann sie an die Kameraperspektive denken oder ob sich lieber im Haushalt engagieren sollte, besonders als ihre Mutter immer öfter helfend eingreifen musste: „Ich war ja zugleich Enkeltochter, Tochter und Filmemacherin.“
Dokumentarfilmwoche
Schwierig der Moment, als die Familie mit ihm besprach, ob es nicht an der Zeit sei, ins Altersheim zu wechseln. „Ich saß da mit der Kamera, wollte die wichtigen Momente nicht verpassen, dachte zugleich: ‚Warum muss ich nur diesen doofen Film machen!‘“ Schwierig der Tag, als er tatsächlich umzog. „Als ich diese Sequenz später geschnitten habe, habe ich am Schneidetisch nur geheult.“ Aber das sei gut gewesen – um das Erlebte zu verarbeiten.
Heute freut sie sich noch immer über ihren mal kauzigschroffen, mal sanften Großvater. Der sich nicht unterkriegen ließ: „Er wollte zum Beispiel nie bettlägerig werden, und am Ende waren es nur zwei Tage, wo er das Bett nicht mehr verlassen konnte.“
Beim letzten Besuch ließ sie die Kamera zu Hause: „Die Familie hat ihn noch mal gesehen, dann hat er uns gesagt, wir müssten ihn jetzt mal in Ruhe lassen, er müsse jetzt sterben.“ Und das tat er dann.