Bruno Schrep erzählt von Schicksalen, die zu schlimm sind, um erfunden zu sein. Vier Bücher mit seinen Sozialreportagen sind bereits erschienen.
(aus Hinz&Kunzt 206/April 2010)
„Nun beginnt ein neuer Lebensabschnitt“, prophezeit munter der Zivildienstleistende, der Herrn Lipowschek in den Krankenwagen hievt. „Davor habe ich Angst“, entgegnet der 86-Jährige. Er zieht heute ins Altersheim.
Autor Bruno Schrep begleitet Herrn Lipowschek. Er ist am Tag des Umzugs dabei, hat ihn vorher in seiner Wohnung besucht und wird ihn später im Heim treffen, wo der alte Mann es „viel schlimmer als befürchtet“ findet, obwohl es objektiv dort viel besser für ihn ist.
(Foto: Benne Ochs)
Schreps Artikel „Die letzte Station“ erschien 2005 im Nachrichtenmagazin Der Spiegel und bei Hinz&Kunzt. Herrn Lipowschecks Geschichte und 19 weitere seiner Spiegel-Reportagen hat Schrep 2009 im Sammelband „Nebenan“ veröffentlicht. Die Geschichte vom Umzug ins Altenheim ist die, die Schrep „am meisten beeindruckte“.
Dabei drehen sich andere Erzählungen dieses Bandes um durchaus drastischere Ereignisse: Da ist die 76-jährige Anna D., die ihre schwerst behinderte Tochter nach 52 Jahren Pflege erstickt. Da sind Martina und Elisabeth, die acht- und sechsjährig den Tod ihres Vaters mit ansehen müssen. Und da ist Arne Buckenauer, der – einst erfolgreicher Macher – durch alle sozialen Netze fällt und einsam in einem Zelt stirbt.
Alle Geschichten verbindet für Bruno Schrep, „dass sie vor unseren Augen passieren, eben nebenan“. Der Autor stellt anhand von Einzelschicksalen aktuelle soziale Themen dar und kann für jede seiner Geschichten ein Stichwort nennen: Alter, Sterbehilfe, Vernachlässigung von Kindern, sozialer Abstieg.
Jede Erzählung ist so besonders wie bezeichnend, „im persönlichen Schicksal einzigartig, dabei typisch für eine gesellschaftliche Entwicklung“, so Schrep. Seit 1980 schreibt der gelernte Bankkaufmann für den Spiegel. Für seine Bücher hat der 64-Jährige Artikel aktualisiert und weiter ausgeführt. Anstoß zu den Veröffentlichungen gaben stets Verlage. „Ich freue mich über die Anerkennung“, sagt Schrep. „Ich nehme das als Bestätigung und als Ansporn.“
Wie er selbst zu den Problematiken steht, die er aufzeigt, lässt Schrep in den Büchern nur dezent durchblicken: „Der Leser soll eine Haltung entwickeln und nicht vorgekaut bekommen, was er für eine zu haben hat.“ Leichter gesagt als getan, denn nicht nur gehen die Schicksale dem Leser gehörig an die Nieren, auch dürfte den meisten ihre Einordnung schwer fallen. Denn Schrep ist kein Schwarz-Weiß-Maler. Hier Opfer, dort Täter, hier Problem, dort Lösung – das gibt es für ihn nicht. „Für mich liegt der Reiz einer Geschichte auch in der Möglichkeit, Vorurteile zu überprüfen und zu hinterfragen.“ Im Klappentext von „Nebenan“ heißt es über Schreps Schilderungen, sie seien karg, nie würde Sentiment ausgestellt. Da widerspricht der Autor: „Unsentimental ist es nicht. Aber es ist doch so: Die Realität ist erschütternder als jede Phrase darüber, wie schrecklich alles ist.“
Beatrice Blank
Lesen Sie weiter!
„Die letzte Station“– Schwerer Abschied: der Umzug vom eigenen Zuhause ins Altersheim. SPIEGEL-Reporter Bruno Schrep und Fotograf Jörg Modrow begleiteten zwei Hamburger auf ihrem Weg (erschienen in Hinz&Kunzt 148/Juni 2005)
und
Aufopfern als Lebensinhalt – „Spiegel“-Reporter Bruno Schrep u ber eine 76-jährige Mutter, die 52 Jahre lang ihre schwerbehinderte Tochter pflegte – und sie dann tötete (erschienen in Hinz&Kunzt 194/April 2009)