Hinz&Künztler Michael :
Von Punks aufgenommen

Dass er noch aufrecht gehen kann, verdankt Michael vor allem seinem starken Willen - und hartem Training. Foto: Mauricio Bustamante

Das Leben als Punk zog Michael (47) den Schlägen seiner Mutter vor: Als er zwölf war, zog er Zuhause aus und in ein besetztes Haus ein. Heute verkauft er Hinz&Kunzt auf dem Gänsemarkt.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Berlin, 1981. Ein Junge klingelt an der Tür eines besetzten Hauses. Im Rucksack sein Geburtstagsgeld, er ist gerade zwölf geworden. Die Tür geht auf. „Ich brauch ein Zimmer, einen Iro und das, wovon ich neulich ziehen durfte“, sagt der Junge. Der Punker drinnen lacht, lässt ihn rein, kauft Essen, Getränke und etwas Hasch. Der Junge bekommt einen Irokesenschnitt und einen Schlüssel. „Dein Zimmer. Und jetzt feiern wir deinen Geburtstag.“ Da fühlt sich Michael zum ersten Mal zu Hause.

Es hat auch mit diesem Tag zu tun, dass er heute so ein sozialer Typ ist. Einer, der gern mitmacht, auch ohne im Mittelpunkt zu stehen. Der nach einer Kochaktion mit Hinz&Kunzt nachts durch Hamburg fährt, um das Essen mit Freunden zu teilen. Dabei hat Michael es selbst nie dicke gehabt.

Ich hatte keinen Bock mehr, schon auf dem Schulweg zu überlegen, warum ich später wieder auf die Fresse kriege– Michael

Morgens Schule, nachmittags Schnorren – das fühlte sich für den Zwölfjährigen besser an als das Leben bei seiner Mutter. „Ich hatte keinen Bock mehr, schon auf dem Schulweg zu überlegen, warum ich später wieder auf die Fresse kriege“, sagt er. Fast täglich prügelten Mutter oder Stiefväter auf ihn ein. ­Michael schmiss den Haushalt, putzte, kochte und gab seiner kleinen Schwester die Flasche. War die Arbeit nicht geschafft, durfte er nicht zur Schule.

Als er 17 war, meldete sich die Mutter nicht mehr. Es war ihm recht. „Ich habe schon immer für mich selber gesorgt“, sagt er. Was ihn neugierig machte, probierte er aus, eben auch Drogen. Mit 18 zog er mit einer Freundin nach Kiel. Sie kamen zurecht – bis zu dem Tag, an dem Michael die Wohnungstür aufschloss und sah, wie einer das Mädchen misshandelte. „Sechseinhalb Stunden lang habe ich den verhauen“, sagt er. Die Polizei fand Kokain, LSD, Speed und rund drei Promille Alkohol in seinem Blut. Michael musste in den Knast, zum ersten Mal in seinem Leben.

Nach zwei Jahren riss er aus. Sagte, er wolle sich eine Therapiestelle ansehen, und entwischte auf dem Weg dorthin. Unterschlupf fand er schnell. „Ich komme aus der Punkszene“, sagt Michael lächelnd. Er nahm wieder Drogen, nun auch Heroin. „Gleich durch die Pumpe“, sagt er. Jahrelang setzte er sich Spritzen. Er wurde aufgegriffen und saß seine Strafe ab, dann ging es „sofort wieder rein in die Szene“.

Seit 1994 ist Michael bei Hinz&Kunzt

Als Streit aufkam, wollte er auch da weg. Sein Geld reichte für ein Zugticket nach Hamburg. Eine Sozialwohnung fand er Ende der 80er schnell, tagsüber bettelte er am Gänsemarkt. ­Dann nahm ihn ein Freund mit zu Hinz&Kunzt. Sein Ausweis hat die Nummer 642, ausgestellt im Mai 1994, da gab es Hinz&Kunzt erst sechs Monate. „Ich hatte kaum ausgepackt, da wurde ich schon gefragt, ob das die neue Obdachlosenzeitung ist“, erzählt er. Menschen, die ihm zuvor Geld in den Becher geworfen hatten, wurden Kunden. Auch dass er nicht mehr fixte, brachte ihm Respekt. Es lief gut. Wenn nur sein Rücken ausgehalten hätte.

Dass er ständig am Rücken operiert werden musste, war für Michael fast normal. Doch 2013 traf es ihn hart. Als er nach Monaten aus der Klinik kam, gab es seine Wohnung nicht mehr. Seine Mitbewohnerin hatte so viel Schäden verursacht, dass der Vermieter sie hatte räumen lassen. Michaels Sachen waren weg oder kaputt. „Ich hatte praktisch nur noch das, was ich anhatte.“

Nach Monaten fand er eine Bleibe in einem Wohnprojekt. Doch dann die nächste Hiobsbotschaft: Michaels Rückenmark ist unheilbar zerstört, ihm droht eine Querschnittslähmung. Seine Ärzte boten ihm eine Operation an, doch die würde das Rückenmark durchtrennen, sagt Michael. „Dann müsste ich freiwillig in den Rollstuhl. Das ­ist nicht mein Weg.“ Lieber kämpft er gegen den Schmerz an. Dann geht es oft sogar ohne Rollator.

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Autor:in
Annabel Trautwein
Annabel Trautwein
Annabel Trautwein schreibt als freie Redakteurin für Politik, Gesellschaft und Kultur bei Hinz&Kunzt - am liebsten über Menschen, die für sich und andere neue Chancen schaffen.