Alt werden ist nichts für Feiglinge, miteinander alt werden schon gar nicht. Das wird im Gespräch mit Schauspieler Walter Giller deutlich. Aber er und seine Frau Nadja Tiller nehmen’ s mit viel Humor. In der Filmkomödie „Dinosaurier“ zeigt das Paar, dass die Schwächen des Alters auch Stärken sein können.
(aus Hinz&Kunzt 204/Februar 2010)
Walter Giller kommt uns dick vermummt entgegen. Mimsey, die elfjährige Norfolk-Hündin, muss noch einmal Gassi gehen vor dem Interview. Dass seine Frau Nadja Tiller später dazukommt, sagt er, und versucht sich seine Besorgnis nicht anmerken zu lassen: Sie hatte solche Kopfschmerzen, dass sie lieber zum Arzt gegangen ist. Also sprechen wir im edlen Seniorenstift Augustinum in Neumühlen erst mal ohne seine Frau über das Leben in Hamburg, die Filmkomödie „Dinosaurier“, in denen das Schauspieler-Ehepaar mitspielt – und über das Altwerden.
„Auf den letzten 100 Metern“ will Walter Giller wieder in seiner Heimatstadt leben, deshalb haben er und Nadja Tiller zwei Apartments im Seniorenstift Augustinum gemietet. Schließlich ist der Schauspieler in St. Georg aufgewachsen.
50 Jahre lang hat das Paar allerdings in Lugano in der Schweiz gelebt. Hat er Hamburg sehr vermisst?
„Ich hatte nie ein großes Heimatgefühl. ‚Heimat und die Fahne sind mehr als der Tod‘, das haben wir jahrelang gebrüllt, aus vollem Halse. In der Ecke ist bei mir kein Blumentopf mehr zu holen“, sagt der 82-Jährige. „Es ist das Essen, die Sprache, die Straßenzüge, obwohl die Häuser alle nicht mehr stehen. Aber ich kenne mich noch aus, das ist toll. Insofern fühle ich mich als Hamburger.“
Wir sitzen gemütlich in der Bibliothek des Wohnstifts, Blick nach draußen auf die Elbe, auf der Eisschollen treiben, das ein oder andere Schiff fährt vorbei – eine wunderbare Winterstimmung. „Ich habe ein richtig schlechtes Gewissen, wenn ich jetzt erzähle, wie gut es uns hier geht. Uns wird hier regelrecht der geröstete Zucker in den Popo geblasen. Und Sie sind die Stimme der wirtschaftlich schlechtest gestellten Mitbewohner, und jetzt soll ich Ihnen berichten, wie verwöhnt wir werden. Da komm ich mir richtig ein bisschen schäbig vor“, das sagt Walter Giller ohne jede Koketterie.
Anlass unseres Gesprächs ist die Filmkomödie „Dinosaurier – Gegen uns seht ihr alt aus“. Die Hauptdarsteller sind alle über 70, und sie nehmen die Schwächen des Alters kräftig auf die Schippe. Außer dem Schauspieler-Ehepaar sind Eva-Maria Hagen, Horst Pinnow, Ralf Wolter, Ingrid van Bergen mit dabei. Und Ezard Haußmann, der Vater von Regisseur und Drehbuchautor Leander Haußmann, der seinem Vater die Rolle quasi auf den Leib geschrieben hat.
„Darf ich Ihnen eine Tasse Kaffee einschenken?“, fragt Walter Giller und dabei verschüttet er den Kaffee. „Ich hab den Tadder“, sagt er gelassen. Die Szene erinnert an eine Szene im Film: Die Alten-Clique will gemeinsam einbrechen. Einer aus der Gang soll ein Türschloss knacken, was er nicht schafft, weil er plötzlich zittert wie Espenlaub. Walter Giller als Siegfried herrscht ihn an: „Warum hast du nie etwas gesagt?“ und meint damit, dass er seine Parkinson-Krankheit verheimlicht hat. Dann fängt Siegfried selbst an zu zittern – wie jetzt sein Darsteller Walter Giller.
Giller nimmt Ausfälle dieser Art mit Humor. „Meine Frau sagt immer: Zitter dir doch noch ein bisschen Kaffee in die Tasse!“ Humor, so glaubt er, „ist vielleicht im Alter noch wichtiger als in der Jugend“.
Denn wenn man älter wird, klappt nichts mehr auf Anhieb. „Alles dauert länger. Ein Gang zum Einwohnermeldeamt, zum Schuster, alles ist eine Riesensache. Kleinigkeiten werden Großigkeiten.“ Aber die Hauptsache sei, dass es mit den „Ersatzteilen“ noch klappe. Er zählt auf: „Bei mir sind beide Augen operiert, die Esswerkzeuge erneuert, die Lunge, der Schrittmacher wird noch erneuert … und so weiter. Die Hüfte ist auch montiert. Neue Knie habe ich nicht, aber Ar-throse bis zum Gehtnichtmehr, und zwei Mal bin ich hingefallen in letzter Zeit, weil ich Mimsey hinterhergelaufen bin. Schreiben kann ich nur mit der Maschine, meine Handschrift sieht aus, als seien es Aufzeichnungen eines Seismografen.“
Der Film zeigt alle diese Schwächen des Alters: Gebisse werden geklaut und einem anderen eingesetzt, es werden Gags mit Parkinson und Demenz gemacht. Man könnte „Dinosaurier“ auch als Manifest sehen, nach dem Motto: Nur weil viele ältere Leute Gebrechen haben, sind sie noch lange nicht aus dem Rennen. Schließlich heißt ja auch der Untertitel: Gegen uns seht ihr alt aus. „Ich glaube nicht, dass der Film wirklich eine Aussage hat“, sagt Walter Giller. „Aber einige wunderbare Geschichten sind wahr: dass es in einem Altersheim eine Busstation gibt, an der nie ein Bus hält – als Therapie. Das ist eine wahre Geschichte aus England.“
Es gab auch Szenen, die Walter Giller schwer fielen, allerdings andere, als man als Laie in Sachen Alter denken würde. „Ich lass da ein paar Worte raus, die habe ich unter Männern in Gefangenschaft nicht gesagt“, so der Schauspieler. Welche, will er erst gar nicht verraten. Vielleicht in der Szene, als er mit Ezard Haußmann Pornos austauscht? Schließlich rückt er damit heraus: „Es ging um Ausdrücke, das weibliche
Geschlechtsorgan betreffend.“ Später bei den Dreharbeiten habe er sich dann doch überwinden können. „Wir haben
darüber geredet, wie man über Brötchen beim Frühstück redet, wie ja heute die Jugend redet. Da hat mich der Leander hingetrieben, er hat mich auch dahin getrieben, den Clown von der Leine zu lassen.“
Komödiantentum, das ist auch etwas, was ihn mit seinem Lieblingskollegen im Film, Ezard Haußmann, verbindet. „Ein fabelhafter Kerl, bei ihm kommt das Komödiantum aus allen Knopflöchern raus, im Osten hatte er zehn Jahre Berufsverbot, weil er das Maul aufgemacht hat. Und er hat eine wunderbare Kodderschnauze – und gescheit dabei.“
Der Humor lässt Walter Giller ein bisschen im Stich, wenn er an Ezard Haußmann denkt. Der hatte eine Krebsdiagnose bekommen – und drehte trotzdem. Die „Dinosaurier“-Filmcrew wusste nichts vom Tumor. „Es ging Ezard manchmal nicht gut, das war alles.“ Kurze Zeit später bekam Walter Giller eine ähnlich bedrohliche Diagnose: Mutation eines
verkalkten Tuberkuloseherdes. Kaum zu unterscheiden von Krebs. Nachwirkungen des Krieges. „In Verbindung mit Bier, Zigaretten und Schnaps … Aber damit habe ich vor 20 Jahren aufgehört.“ Giller war von seinem eigenen Röntgenbild schockiert: „Es sah aus wie eine Luftaufnahme des Güterbahnhofs von Leipzig.“
Seit 15 Jahren sind Nadja Tiller und Walter Giller Mitglieder in der Gesellschaft für humanes Sterben, aber an Sterbehilfe wollen er und seine Frau nicht denken. Wie gesagt: Die Ersatzteile funktionieren. Und vielleicht ändert sich auch die Wahrnehmung? „Der Grad des Begreifens und Verstehens wird auch kleiner“, sagt Giller – und der Clown in ihm meldet sich wieder. „Nadja hört nicht mehr so gut. Das ist auch eine Gnade. Ich quassel doch so viel und gern. Das macht sie meistens auch mit, aber ich kann mir vorstellen, dass sie manchmal auch die Nase voll davon hat.“
Die Geschichte mit den Kleinigkeiten, die zu Großigkeiten werden, und mögliche schwerere Krankheiten, sind der Hauptgrund, warum das Paar ins Augustinum gezogen ist. „Hier gibt es Ärzte, und wenn man klingelt, ist in fünf Minuten ein Pfleger da“, sagt Walter Giller. „Frauen, die ihre Männer jahrelang pflegen, die Scheiße wegkratzen – da geht jede Freundschaft oder Liebe zu Ende. Die Menschen, die ich
liebe, will ich nicht damit belasten.“
Trotz des Themas bleibt das Gespräch heiter – und driftet noch einmal in eine ganz andere Richtung. Es geht um Mimsey. „Unser letztes Kind hat ein Fell!“, sagt Walter Giller und fragt, wo man am besten Hundewurst kaufen kann. Fotografin Antonina Gern hat eine Adresse: Seilerstraße. Die kennt Walter Giller. Weil sie so nah am St. Pauli Theater liegt, das er so liebt. Und dessen Gründer und Großvater des jetzigen
Inhabers er noch kannte. Manchmal träumt er davon, dort vielleicht noch mal als „Zitronenjette“ aufzutreten, „wenn ich die Kraft dazu hätte“. So wie damals Ohnsorgstar Henry Vahl. Giller erzählt, dass Vahl, weil er etwas tüdelig war, unter seiner blonden Perücke mit den langen Zöpfen einen Knopf im Ohr hatte, damit ihm die Texte souffliert werden konnten. „Und plötzlich brüllt Henry Vahl: ‚Peter zwölf, bitte kommen!‘, da war die Batterie wohl zu Ende gegangen. Statt der Souffleuse hörte er den Polizeifunk.“ Walter Giller könnte sich über die Anekdote kaputtlachen.
Nadja Tiller kommt herein. Die 80-Jährige sieht blendend aus und gar nicht krank. Ist bester Dinge. Obwohl es eine gute und eine schlechte Nachricht gibt. Die Kopfschmerzen kamen nur von den neuen Augentropfen. Aber bei dieser Gelegenheit wurde festgestellt, dass das andere Auge noch mal operiert werden muss. „Aber es ist kein Tumor“, sagt Walter Giller und man hört förmlich den Stein plumpsen, der ihm auf der Brust lag. „Wir sind etwas panisch momentan“, erklärt Nadja Tiller. „Bei all den Menschen um uns herum, die gerade etwas haben – wie etwa Ezard.“
Der liegt nämlich inzwischen wieder im Krankenhaus. Bei dem Telefonat mit Ezard Haußmann neulich hatte Giller ihn gefragt, wie es ihm so gehe und ob er auch gut behandelt würde. „Schon“, habe der geantwortet, „aber eine Schwester ist zickig.“ Ezard Haußmann hatte einen anzüglichen Witz gemacht, die Krankenschwester wohl nicht. Und Walter Giller will ihn auch nicht in der Zeitung lesen. Da lenkt er lieber ab. „Übrigens wird diese kleine Bibliothek, in der wir gerade sitzen, von einer Frau geführt, die auch schon über 90 ist“, sagt er und lächelt süffisant: „Dass wir uns hier so lange halten, liegt sicher daran, dass das Augustinum früher einmal ein Kühlhaus war.“