Der Filmemacher Jens Huckeriede

Das Ende des Schweigens: Der Filmemacher Jens Huckeriede zeichnet in seinem jüngsten Werk die Geschichte einer Villa an der Rothenbaumchaussee nach, wo bis 1938 die jüdische Familie Guggenheim wohnte – und wo sich im Keller ein geheimnisvoller Raum befindet.

(aus Hinz&Kunzt 204/Februar 2010)

Ein verschlossener Raum im Keller einer Villa an der Rothenbaumchaussee 121. Rund acht Quadratmeter groß, ohne Zugang, entstanden vermutlich bei der Erweiterung des Treppenhauses 1938. Bis zu diesem Jahr wohnte die jüdische Familie Guggenheim in der schönen Gründerzeit-Villa im Hamburger Grindelviertel. Zum „Schnäppchenpreis“ erwarb dann die Hamburger Familie Fritsche das Gebäude. Guggenheims konnten 1941 nach Brasilien fliehen. Doch was verbirgt sich in diesem Raum?

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Immer wieder darauf hinzuweisen, dass in der NS-Zeit sechs Millionen Juden umgebracht wurden, reicht Jens Huckeriede nicht. Mit seinen Filmen will er an die SCHOAH erinnern und vor allem auch junge Menschen erreichen.

Diese Frage wird zum Ausgangspunkt des Filmes „Ab nach Rio – Die Guggenheim-Akte“ des Hamburger Regisseurs Jens Huckeriede, der am 25. Februar Premiere hat. Die Vernichtung der Juden ist das Thema des 60-Jährigen, seit über 20 Jahren macht der gelernte Kaufmann Dokumentarfilme (in der Thede Filmproduktion). 2003 zum Beispiel „Return of the Tüdelband“, die Geschichte der Hamburger Volksmusiker „Gebrüder Wolf“, die als Juden 1933 Auftrittsverbot bekamen. „Es reicht nicht, immer wieder darauf hinzuweisen, dass in der NS-Zeit sechs Millionen Juden umgebracht wurden“, sagt Huckeriede. „Man muss andere Formen finden und die Erinnerung an die Schoah neu erzählen“ – um damit auch junge Menschen zu erreichen.
Per Zufall erfährt Jens Huckeriede von der Existenz des Raumes. 2007 kauft der Verein Sternipark das Haus, um darin eine Kindertagesstätte einzurichten. Huckeriede hat beim Verein eine halbe Stelle als Kulturbeauftragter. Der Architekt erzählt ihm vom verschlossenen Raum im Keller des Hauses. In seinem Film nimmt der Regisseur seine Zuschauer mit in diesen Keller, in den Untergrund, in die Erinnerung. Das ist kein leichter Weg. Aber wer die Stufen wieder hochsteigt, sieht das Haus mit anderen Augen. Es hat, stellvertretend für viele andere Gebäude in dieser Stadt, seine besondere Geschichte zurückbekommen.

Der Film zeigt, wie Huckeriede die Akte studiert, die Beamte des NS-Staates über Guggenheims angelegt haben. Er lässt Fritsches, die späteren Bewohner des Hauses, erzählen. Und vor allem macht er Ivoné Simon ausfindig, eine Enkelin von Wilhelm und Herta Guggenheim, die in Brasilien lebt. Ihre Großeltern hätten später nichts erzählt, alles „heruntergeschluckt“, sagt Ivoné Simon. „Sie vergaßen alles. Totaler Blackout.“ Ihre Mutter sei mehrmals in Deutschland gewesen, habe aber immer Angst gehabt. „Das Trauma meiner Mutter ist auf mich übergegangen. Es ist, als ob ich kein Vaterland hätte. So wie meine Mutter und meine Familie. Als ob es uns auf dieser Erde nie gegeben hätte.“

Huckeriede sagt, es gehe ihm nicht um die Einteilung in Täter und Opfer. Er will vor allem das Schweigen zwischen den Generationen auflösen. Ein Schweigen, das er, aufgewachsen in einer Arbeiterfamilie auf St. Pauli, selbst erlebt hat. Ein Onkel von ihm hat im kommunistischen Widerstand gegen die Nazis gekämpft. Von seiner Familie hat er das nie erfahren. Erst eine Zeitzeugin, die er vor einigen Jahren interviewte, brachte ihn auf die Spur.
Mitte des Jahres soll die Kita eröffnet werden. Das Kellergeschoss wird der Erinnerung gewidmet sein: mit einer Ausstellung über die Familie Guggenheim und einer Dokumentation über Hamburger Kinder in der Schoah. Dazu sollen Schüler Installationen zu Kunst und Erinnerung zeigen.
Der Raum im Keller, Ausgangspunkt der Recherche, bleibt allerdings verschlossen. Eine Krypta, ein Geheimnis. Zugleich eine Leerstelle, ein Symbol für das verschwundene jüdische Leben.
Text: Detlev Brockes
Foto: Hannah Schuh

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