Die Weihnachtsgeschichte 2008: Das Jahrmarkttheater bringt ein modernes Krippenspiel auf die Bühne des Schmidts Tivoli
(aus Hinz&Kunzt 190/Dezember 2008)
Eigentlich liegt die Idee auf der Hand, vor Weihnachten ein Krippenspiel zu inszenieren, doch Torsten Hammann ist der Erste, der die Idee auch umsetzt. Gemeinsam mit Regisseur Thomas Matschoß hat er die Weihnachtsgeschichte in das Hamburg von heute versetzt – mit Herbergssuche, Geschenketerror, einem zechenden Obdachlosen und einem sarkastischen Engel. Hinz&Kunzt war bei den Proben dabei.
„Ich kann mich nicht daran erinnern, dass einer der Hirten besoffen war“, lallt der sturzbetrunkene Konrad auf der Bühne des Schmidt Theater. „Jedenfalls nicht in der Lutherübersetzung.“ Regisseur Thomas Matschoß kichert leise, nicht zum ersten Mal während der Probe. Die Begegnung zwischen dem schlagfertigen Obdachlosen Konrad und der gestressten, gutbürgerlichen Einkäuferin ist saukomisch. Jutta taumelt slapstickmäßig, mit vielen Paketen im Arm, über die Bühne und weiß gar nicht, wo sie zuerst hin soll: zum Fischmann, zum Friseur, zur Familie. Sie versucht, ihren Stress und Frust an Konrad auszulassen. Der schießt kräftig zurück. Der rettende Engel tritt auf. Leider zunächst wenig hilfreich, denn Zacharias, gespielt von Autor Torsten Hammann, kommt cool und sarkastisch daher, mit seinem schwarzen Anzug und diabolischem Grinsen.
Aber der Engel ist mächtig. Er verwandelt Jutta und Konrad in Maria und Gabriel, ein junges Liebespaar. Nur zwei Mützen zeigen den plötzlichen Rollenwechsel an. Aus der unzufriedenen Frau wird ein verliebtes junges Mädchen, aus dem besoffenen Obdachlosen ein zarter Jüngling. In der nächsten Szene verwandeln sich die beiden durch Berührung des Engels und mit Hilfe eines geblümten Kittels und einer Perücke in Tante und Onkel im Altenheim. Zwischendurch immer mal wieder in die Anfangsfiguren Jutta und Konrad. Die Wechsel werden immer schneller, Perücken und Mützen werden auf- und abgesetzt, die
Dialoge rasanter. Und, oh Wunder, Maria und die alte Tante sind schwanger. Weitere Szenen und Rollenwechsel folgen: die Suche nach einem Ort für die Entbindung, der Auftritt der Heiligen Drei Könige und das Finale mit Ochsen und Schafen. Alles dargestellt mit wenigen Requisiten und vier Schauspielern im Bühnenbild des Schmidt-Dauerbrenners „Heiße Ecke“.
Fünf Wochen dauerten die Proben für dieses Stück, das in diesem Jahr nur wenige Male aufgeführt wird.
Ein wirtschaftlicher Erfolg kann das nicht werden, aber damit rechnet Regisseur Thomas Matschoß auch nicht.
Es ist ein Liebhaberprojekt, das er mit seinem kleinen Produktionsteam, dem Jahrmarkttheater, inszeniert. „Wir arbeiten mit allen Sinnen. Wir arbeiten mit allen Tricks. Wir zielen direkt auf Ihr Herz“, heißt es auf der Website des 52-jährigen Theatermanns. Eine Herzensangelegenheit ist auch das Jahrmarkttheater für Matschoß. Wie im
Mittelalter leben und arbeiten die Schauspieler hier eng zusammen. In dieser familiären Atmosphäre ist alles möglich: Improvisation, Freundschaft und die Freiheit, Theater nach eigenen Vorstellungen zu machen. Im Fall von „Stille Nacht“ heißt das, ein Krippenspiel zwischen Bacchanal und Gottesdienst zu inszenieren.
Matschoß, dessen Vater auch Schauspieler war, hat am Staatstheater gearbeitet und auf Kampnagel, und er kennt durch viele Arbeiten am Schmidt Theater auch das Unterhaltungstheater. Mit dem „Hamburger Jedermann“ und der „Heißen Ecke“ hat der Autor und Regisseur Dauerbrenner geschaffen. Nun hat er sich die „Stille Nacht“ vorgenommen. „Hier geht es darum, Dinge anzunehmen, die wir nicht verstehen“, sagt er nachdenklich. „Um spirituelle Phänomene jenseits von Religion.“ Er spricht konzentriert und man spürt, dass er lange über den Stoff nachgedacht hat und dass die Suche nach etwas, das größer ist als er selbst, ihn schon länger beschäftigt.
Autor Torsten Hammann, der als Engel so ernst und streng rüberkommt, wirkt regelrecht erleuchtet während des Gesprächs. Der 43-Jährige ist sehr gläubig und strahlt eine fröhliche Gelassenheit aus. „Ich fühle mich reich beschenkt in meinem Leben.“ Das spürt man. Das war aber nicht immer so. Hammann ist eigentlich Sänger und machte früher „düsteres Zeug“. Aber das Leben im Tourbus und in den schlechten Hotels ödete ihn irgendwann an. Er nahm Schauspielunterricht und wurde von Thomas Matschoß entdeckt. Die schlechten Hotels sind Vergangenheit, denn Hammann ist als Schauspieler längst in vielen Fernseh- und Theaterproduktionen gern gesehen. Er genießt die intensive und intime Probenarbeit mit vertrauten Kollegen. [BILD=#saeule][/BILD]„Für mich ist das der Himmel auf Erden. Andere fahren nach Südafrika, wir machen mit Matschoß Produktionen.“
Nun strahlt auch Thomas Matschoß. „Wir haben zwei Möglichkeiten, Leute zu berühren“, sagt er. „Durch Lachen oder Weinen.“ Die beiden haben sich für das Lachen entschieden.