Lothar Weber ist seit 12 Jahren HIV-positiv. Er klärt Jugendliche über die Krankheit auf, denn die Infektionsrate mit dem Virus steigt wieder, genau wie die Angst vor einem Outing
(aus Hinz&Kunzt 190/Dezember 2008)
Es begann in einem Traumurlaub in Südafrika. Lothar Weber fuhr mit einem Jeep durch einen Nationalpark, wollte mehr von der Natur sehen und wich vom Weg ab. Ein Nashorn rammte sein Auto, das sich überschlug, Lothar Weber wurde schwer verletzt. Er verlor viel Blut und wurde von Rangern entdeckt, die ihn ins Krankenhaus brachten.
Das war 1996. Die Narben an Stirn und Arm sind heute noch zu sehen. Im Besprechungszimmer der Aids-Hilfe an der Langen Reihe in St. Georg, zeigt Lothar Weber auf die Wunden von damals. Seine Krankheit ist unsichtbar. Im Krankenhaus hatte er eine HIV-infizierte Blutkonserve bekommen. Ein Jahr später stellte ein Arzt in Hamburg das fest, nachdem Lothar Weber einen Ausschlag bekommen hatte, der nicht wegging. „Ich habe ein paar Tage gebraucht, um das zu verdauen, aber geschockt war ich nicht“, sagt der 55-Jährige. Denn er wusste: Jeder kann mit Aids leben. Jahrelang war er mit einem Mann zusammen, der HIV-positiv ist. Lothar Weber schützte sich und machte regelmäßig Aids-Tests, die immer negativ waren, bis er von der Reise wieder nach Hause kam. Das hat sein Leben verändert. Aber es ist nicht zu Ende. „Ich war acht Jahre lang Rettungssanitäter, dadurch gehe ich bewusster mit der Krankheit um.“
Dieses Bewusstsein fehlt vielen. „Aids ist unsichtbarer geworden“, sagt Jörg Korell, Leiter der Aids-Hilfe Hamburg. In den 80er-Jahren war ein Outing als HIV-Positiver ein politischer Akt. Heute führt die erfolgreiche Medizin, die mit Medikamenten seit Mitte der 90er-Jahre die Ausbreitung des Virus im Körper in Schach hält, oft dazu, dass HIV und Aids nicht mehr als Herausforderung für die Gesellschaft, sondern als Problem von Risikogruppen gesehen werden. Tatsächlich sind 50 Prozent der Infizierten schwule Männer. Die andere Hälfte ist es aber nicht. Nach 25 Jahren Aids haben sich viele an das Lebensrisiko gewöhnt, ohne bewusst damit umzugehen. Das hat Konsequenzen – für jeden Einzelnen und die Gesellschaft.
In Deutschland infizieren sich jeden Tag durchschnittlich mehr als acht Menschen mit HIV. Täglich sterben hierzulande zwei Menschen an den Folgen von Aids. Die Zahl der HIV-Neudiagnosen liegt zurzeit rund 50 Prozent höher als zwischen 1999 und 2001. Da viele Infizierte länger leben können, vergrößert sich die Wahrscheinlichkeit, dass sich Menschen anstecken. In Deutschland leben rund 63.500 Menschen mit HIV und Aids, etwa 6000 in Hamburg.
Diese Tatsache wird von vielen verdrängt. Sobald sie damit konfrontiert werden, reagieren einige panisch. Ein Mann mit HIV erzählte Pastor Detlev Gause von der Hamburger Aids-Seelsorge der evangelischen Kirche, wie ein Kollege die Tastatur des Computers mit Sagrotan abputzte, nachdem er sie benutzt hatte. Einer Frau wurde nach ihrem Outing eine separate Toilette zugeteilt. „Gesellschaftlich sind wir nicht aidsfähig“, sagt Gause. Wenn erkrankte Menschen bei ihm anrufen, wollen sie sich oft an einem anderen Ort treffen als im Büro der Aids-Seelsorge: „Viele haben Angst vor Entdeckung.“
Lothar Weber geht in die Offensive. Für die Aids-Hilfe Hamburg macht er Jugendarbeit und geht dreimal im Monat an Schulen. Er nimmt Kondome mit und Dildos, damit jeder üben kann, wie das geht mit der Verhütung. „Besonders bei Jungs ist die Hemmschwelle hoch. Mädchen sind da aufgeschlossener.“ Wenn er gefragt wird, ob er HIV-positiv ist, bejaht er und erzählt davon. Die Jugendlichen reagieren offen und unaufgeregt. Aufklärung hilft offenbar.
„Manche sagen, es gibt ja Medikamente“, sagt Lothar Weber. „Aber die haben Nebenwirkungen.“ Morgens muss er neun Tabletten nehmen, abends vier. Seine Niere ist inzwischen so stark geschädigt, dass er befürchtet, in nächster Zeit zur Dialyse zu müssen. Damit seine Wohnung in Eimsbüttel in Ordnung bleibt, braucht er eine Haushaltshilfe, die einmal in der Woche kommt und von der Behörde gezahlt wird. Von seiner Erwerbsunfähigkeitsrente könnte der gelernte Außenhandelskaufmann das Geld nicht aufbringen. Von den 899 Euro im Monat muss er alleine 380 Euro Miete bezahlen. Aber Lothar Weber will nicht klagen: „Finanziell ist alles okay – aber nur, weil ich jahrelang gearbeitet habe und deshalb Rentenbeiträge einzahlen konnte.“
Tatsächlich haben es die jüngeren Infizierten finanziell schwerer. So war 2007 fast ein Drittel der Menschen, die bei der Aids-Stiftung einen Antrag auf finanzielle Unterstützung stellten, zwischen 30 und 39 Jahren alt. Nur 2,7 Prozent dagegen sind 60 Jahre und älter. Deshalb sammelt die Hamburger Aids-Seelsorge Spenden, damit kranke Hartz-IV-Empfänger im Monat 20 bis 50 Euro zusätzlich bekommen.
Macht HIV arm? „Krankheit macht arm“, sagt Aids-Hilfe-Leiter Korell. „Wer vorher finanziell auf wackeligen Beinen stand, wird durch Erkrankung aus der Bahn geworfen.“ Insgesamt, stellt Korell in der Beratungsarbeit fest, hat die wirtschaftliche Not zugenommen. Auch der Bedarf an psychischer Betreuung steigt, wie Pastor Gause von der Aids-Seelsorge feststellt: „Viele sind vereinzelt und leiden unter der Angst vor Entdeckung.“
Lothar Weber trifft sich einmal in der Woche für drei Stunden mit einem Betreuer von Leuchtfeuer Hamburg. Gemeinsam unternehmen sie etwas, laufen an der Alster, wo er so gerne ist, oder gehen gemeinsam ins Kino. „Ich albere gerne herum. Im Grunde bin ich immer noch ein Kind“, sagt er. Lothar Weber weiß, HIV ist immer nur ein Teil von ihm, genau wie es ein Teil der Gesellschaft ist. Das ist nicht immer leicht: „Mit der Krankheit müssen beide Seiten umgehen, die Kranken und die Gesellschaft.“
Joachim Wehnelt
ZUM 20. WELT-AIDS-TAG AM 1. DEZEMBER gibt es in der Hansestadt zahlreiche Infostände in Einkaufszentren, Theatern und Schulen, an denen 10.000 rote Schleifen verteilt werden, um unter dem Motto „Hamburg vereint gegen Aids“ solidarisch mit HIV-Kranken zu sein. Das ist auch nötig: Alleine im vergangenen Jahr steckten sich in Deutschland rund 3000 Menschen mit HIV an – fünf Prozent mehr als 2006. Weltweit leben 33 Millionen Menschen mit HIV und Aids, die Hälfte davon sind Frauen. In Deutschland sind dagegen 80 Prozent der etwa 59.000 Erkrankten Männer.
In Deutschland zeichnet die staatliche Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung für die bundesweite Präventions-Kampagne verantwortlich (www.gib-aids-keine-chance.de). Die Deutsche Aids-Hilfe bietet in eigenständigen Vereinen vor Ort Beratung und Selbsthilfe, die als eine breit vernetzte Bürgerbewegung organisiert ist (www.aidshilfe-hamburg.de). Die Deutsche Aids-Stiftung befasst sich mit der sozialen Dimension der Krankheit und hilft in Notlagen (www.aids-stiftung.de).