Gratulation der Rock-Legende

Sie wurden mit „La La La“ und „The Witch“ zur Legende. Am 7. November rocken die Rattles beim Hinz&Kunzt-Geburtstagsfest in der Fabrik

(aus Hinz&Kunzt 189/November2008)

Große Vergleiche haben die Rattles nie gescheut.
„Wenn wir ’ne Oldies-Band sind, dann sind die Stones es auch“, sagt Rattles-Drummer Dicky Tarrach selbstbewusst. Die Hamburger Kultband und die britischen Superstars haben viel gemeinsam: Ihre ersten großen internationalen Erfolge hatten beide Bands in den 60ern, und beide sind heute noch gut im Geschäft. „Aber wir sehen besser aus“, feixt Tarrach.

Diese entspannte Haltung kommt nicht von ungefähr. Zum einen ist Tarrach ein optimistischer Mensch, zum anderen können die Rattles mehr als zufrieden sein mit dem, was sie in über 45 Jahren auf der Bühne erreicht haben. Dass sie es trotz bester Chancen nicht bis ganz oben in den Rock-Olymp, zusammen mit den Beatles und Stones, geschafft haben, bedauern die Rattles nicht – oder nicht mehr. „Wir hatten als Band die gleiche Chance“, sagt der 63-Jährige im Rückblick ohne Groll.

Wie bei den Fab Four begann die Karriere der Rattles im legendären „Star-Club“. Dort spielte die 1960 von Achim Reichel und Herbert Hildebrandt gegründete Band bald als Hausband und sorgte für einen vollen Club. Harte Zeiten seien das gewesen. Der Club öffnete nachmittags um 16 Uhr und schloss morgens um 6 Uhr. „Die Bands mussten in dieser Zeit vier-, fünfmal auf die Bühne, das war nur schwer auszuhalten. Entweder man verbrachte praktisch das ganze Wochenende auf dem Kiez, oder man nahm kleine Wachmacher mit der Cola ein: Preludin und Captagon, das Kokain für Arme.“

Aus den Erfahrungen haben die Rattles ihre Lehren gezogen, heute herrschen in der Band strenge Regeln – keine Drogen, kein Alkohol. „Es ist kein Gag, stoned auf der Bühne zu stehen. Nur nüchtern hat man einen direkten Draht zum Publikum.“

Der „Star Club“ brachte damals den Erfolg: Hits wie „La La La“, „Come on and sing“ und „Cauliflower“ wurden international gespielt. Die Rattles gingen mit den Beatles auf Tour, spielten bei den Stones im Vorprogramm und waren die erste deutsche Band mit einem Fanclub in England. „Wir sind sogar von einem der größten englischen Konzertveranstalter in England angefragt worden, der uns bei unserem deutschen Management für 300.000 Mark rauskaufen wollte, das war 1964 eine Riesensumme.“ Allerdings hätte die Band nach London umsiedeln müssen, „in so typische englische Doppelhaushälften, die kennst du doch aus den Beatlesfilmen!“ Für Tarrach, der 1963 zur Band gestoßen war, kein Problem. Aber Achim Reichel und Herbert Hildebrandt waren in Deutschland verheiratet und hatten Kinder, „die wollten nicht weg.“

Als der populäre Frontmann Achim Reichel dann auch noch zum Bund musste, war die Luft raus, die Band fiel in ihrer ursprünglichen Formation auseinander. „Dabei ist Achim nur durch Zufall unser Frontmann geworden“, erinnert sich Tarrach ein wenig schadenfroh. „Unser englischer Coach meinte damals, jede Band brauche einen Frontmann. Da haben wir eben Achim genommen, der war blond, das mochten die Mädels. Einen anderen Grund gab’s nicht.“ Achim Reichel ist immer noch ein heikles Thema bei der Band, weil er sich später vehement von seiner Rattles-Vergangenheit distanzierte – das schmerzt. „Freundliche Gespräche, aber keine Geschäfte mehr mit Achim“, ist Tarrachs Devise.

Mit „The Witch“ von Herbert Hildebrandt schafften die Rattles 1969 mit Frontfrau Edna Béjarano noch einmal einen Welthit, der ihnen eine Goldene Schallplatte einbrachte. Da hatte Tarrach bereits die Band verlassen, um eigene Projekte zu verfolgen. Eine Zeit, über die er nicht gern spricht: „Das war hart, und klar hab ich mich gefragt, ob ich nicht besser Beamter geworden wäre. Aber Einschnitte und Kurven gehören nun mal zum Leben dazu.“ Tarrach, heute einer der begehrtesten deutschen Studio-Drummer, fing sich und brachte mit gutem Trend-Gespür seine neuen Projekte „Randy Pie“ und „Moti Special“ weit nach vorn. Er war es auch, der die Band 1988 wieder zusammenbrachte. „Damals rollte die Oldie-Welle, und wir waren schnell wieder gefragt.“ Auch Herbert Hildebrandt, der mit „Mademoiselle Ninette“ einen Riesenhit komponiert hatte, ist seither wieder mit dabei.

Klar sei es nicht einfach, gegen die eigene Legende anzuspielen und immer nach den alten Hits gefragt zu werden. Doch da muss man durch, und so spielt die heutige Rattles-Formation Herbert Hildebrandt, Eggert Johannsen, Manne Kraski und Dicky Tarrach nicht nur ohne Reichel, sondern auch ihre neuen Stücke. „Wir schaffen es immer wieder, Menschen zum Rocken zu bringen, egal wo“, schwärmt Tarrach von den Live-Auftritten der Band, rund hundert im Jahr. „Da reißen sich auf ’ner Gala schon mal verklemmte Ärzte die Anzüge auf. Das ist harte Bühnenarbeit, das ist Kunst! 1500 Teenies zum Kreischen zu bringen ist dagegen einfach.“

Ob die Rock-Opas als Rollenmodell für Generation 50 plus taugen? „Wenn ich richtig esse, mich bewege und mir den Spaß an dem erhalte, was ich mache, kann ich das Verfallsdatum gut nach hinten verschieben“, sagt Tarrach gewohnt

entspannt. Weitere 20 Jahre? Gut möglich. Allerdings sei Trommeln Hochleistungssport: „1800 Kalorien verbrauche ich pro Auftritt, da muss ich fit sein.“ So macht er seit fünf Jahren regelmäßig Nordic Walking: „Mein Rekord sind 46 Kilometer in acht Stunden!“

Natürlich hätten sie sich mit 20 nicht vorstellen können, mit über 60 noch auf der Bühne zu rocken. „Im Rückblick haben wir sogar mehr geschafft als die ganz Großen“, sagt Tarrach. „Keiner ist süchtig geworden, wir haben alle keine Steuerschulden und sind stolze Familienväter. Vor allem aber hatten und haben wir mehr kreative Freiheiten. Im Grunde konnten wir immer machen, was wir wollten, und haben durch die Bank was auf die Beine gestellt. Dafür kann man dankbar sein.“

Dass es auch anders hätte laufen können, haben sie bei vielen Kollegen gesehen. „Für uns Selbstständige ist die Gefahr des Abrutschens groß“, sagt Tarrach. Deshalb engagieren sich die Rattles auch für Hinz&Kunzt: „Ich finde es supertoll, dass Menschen hier eine Aufgabe kriegen und damit wieder ein Stück Würde. Wenn sie abends mit ihrem eigenen Geld nach Hause gehen können, sind sie stolz – und das Gefühl ist Gold.“

Misha Leuschen

Mehr: www.rattles.de

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