Von wegen grüne Mode ist nur was für Alternative und Modemuffel. In Bio-Baumwolle und Öko-Mode machten sich unsere fünf Laien-Models richtig gut
(aus Hinz&Kunzt 188/Oktober 2008, Das Modeheft)
Soll noch einer sagen, Männer seien Modemuffel. Unsere vier männlichen Models haben stundenlang Hosen, T-Shirts und Pullover ausgesucht, anprobiert und sich dann auch noch fotografieren lassen. Schade ist nur, dass den meisten herzlich egal ist, ob die Mode grün oder fair ist.
„Es ist toll, mal wieder im Mittelpunkt zu stehen“, sagt Hinz&Künzt-Verkäufer Sascha Hanff. Mode war ihm immer wichtig. „Du benimmst dich ganz anders, je nachdem, ob du in einem Anzug steckst oder in einer löchrigen Jeans“, sagt der 37-Jährige.
Vor hessnatur am Alstertor will Sascha aber erst mal streiken. „Da kaufen doch nur Erdkundelehrer und Birkenstockträger“, lästert er. Später wird er ganz anders klingen.
Kaum drinnen, nölt auch unser zweites Model: Günther Janssen. Der hat sowieso seinen eigenen Stil: „Schon in der Schule wollte ich nie aussehen wie die anderen“, sagt der 37-Jährige, die Haare zu einem Pferdeschwanz gewurschtelt, Lederhut drauf, Lederjacke, so bikermäßig halt. Sein Markenzeichen ist sein Hut: „Er schützt vor Regen, und gleichzeitig braucht man keine Sonnenbrille mehr“, sagt der St. Paulianer, der lange im Sicherheitsgewerbe gearbeitet hat.
Dass er überhaupt mitmacht bei unserer Tour durch Hamburgs grüne Modewelt, ist vor allem dem Spaß geschuldet, gemeinsam mit den anderen Hinz&Künztlern etwas Außergewöhnliches zu erleben: ein Shooting, wie man auf Neudeutsch einen anstrengenden, aufwändigen und langen Fototermin nennt.
„Das kratzt ja“, sagt Günther Janssen vorwurfsvoll über eine dicke Jacke, die man sowieso niemals auf nackter Haut tragen würde. Greift sich einen Pullover und verzieht das Gesicht. „Kratzt alles“, sagt er und sieht richtig unglücklich aus.
Wir reden alle auf ihn ein, jeder schleppt etwas an für Günther, der immer wieder betont, dass er nichts von alldem jemals „privat“ anziehen würde. Frau Meier von hessnatur betreibt Krisenintervention – in Form einer ruhigen Beratung mit wenigen zielsicheren Darreichungen.
Sascha dagegen ist einer Ohnmacht nahe. Herrliche Wollpullover, Jacken aus gewalkter Schurwolle, Pullis aus Alpaka. Vergessen die Sprüche von vorhin. „Man spürt die hochwertige Qualität förmlich in den Fingerspitzen”, sagt Sascha. Er greift sich einen Tweed-Blazer und streift ihn über. „Voll mein Stil!“, sagt er inbrünstig.
Als seine Welt noch in Ordnung war, hatte er schränkeweise modische Klamotten. Er arbeitete in der Gastronomie und auf Schiffen, außerdem hatte er geerbt. 20 Armbanduhren besaß er, „passend für jede Gelegenheit“.
Geld spielte bei ihm so lange keine Rolle, bis er keins mehr hatte. „Wenn mir jemand 2004 gesagt hätte, dass ich ein Jahr später auf der Straße landen würde, hätte ich denjenigen nur ausgelacht“, sagt der Linzer. „Wahrscheinlich wäre ich gerade in einem In-Lokal gewesen und hätte eine Magnum-Flasche Champagner dagegen gewettet.“
2005 war er finanziell am Ende. „Aber statt meine Familie um Hilfe zu bitten, habe ich den Kopf in den Sand gesteckt“, sagt er. Er ist sich selbst gegenüber misstrauischer geworden. „Ich kann nicht mit Geld umgehen“, sagt er. „Nach wie vor kaufe ich zu teuer ein.“ Sein Geld gibt er deshalb oft einem Freund, der dann für ihn mit einkauft. Nur negativ findet er das Obdachlossein nicht: „Früher war ich arrogant und habe auf Bettler und Obdachlose heruntergeschaut“, sagt er. „Ich glaube, ich bin menschlicher geworden, weil ich hier viel Menschlichkeit erfahren habe.“
Irgendwann will er den Weg raus aus der Obdachlosigkeit schaffen. Er hat auch einen Anreiz, er hat sich verliebt. Wenn schon nicht für sich selbst, so doch für seine Freundin will er etwas erreichen. „Ich finde, einer Frau muss man etwas bieten.“
Unser Gastmodel Matthias Junge hat sich in eine hintere Ecke verzogen. Genüsslich probiert der bürgernahe Beamte einen Pullover nach dem anderen an, dann T-Shirts und Jacken. „Das fühlt sich toll an“, sagt der 46-Jährige. „Das Hemd ist leicht und liegt gut am Körper, den Pullover spürst du kaum – und die Kapuzenjacke ist ein Traum.“ Die Preise sind hoch, aber man kann ja mal auf das ein oder andere Stück sparen, findet er. „Auf jeden Fall macht es Spaß, mal so etwas anzuhaben.“
Richtig cool. Günther kommt aus der Umkleidekabine und ist kaum wiederzuerkennen: Die Haare offen, eine Bio-Cotton-Hose, ein gestreiftes Shirt und eine dunkle Kapuzenjacke, dazu eine dunkelblaue Wollmütze. Günther lächelt, entspannt. Krise überwunden.
Auch für Hinz&Künztler Jahn ist „absolut wichtig“, was und wie er sich anzieht. Als er noch Lkw-Fahrer in Rotenburg/Wümme war, konnte sich sein Schrank sehen lassen: „Ich hatte nur ausgewählte Stücke“, sagt der 36-Jährige. „Du hättest jedes beliebige Oberteil mit jeder Hose kombinieren können, alles hat zusammengepasst.“ Ob ein Kleidungsstück von einer teuren Marke ist oder vom Flohmarkt, ist ihm egal. „Wichtig ist, dass es sich gut anfühlt.“
Seinen Stil bezeichnet er als sportlich-leger, aber auch strenge klassische Anzüge mag er, „dann allerdings aufgepeppt mit einer witzigen Krawatte mit Smileys oder Motorrädern drauf“. Im Oktober bezieht der Obdachlose eine Kirchenkate. „Dann geht es sicher auch mit der Arbeit wieder bergauf“, sagt er. 14 Jahre hat er bei einer Spedition gearbeitet, bis er durch eine Frauengeschichte, die unglücklich ausging, aus dem Gleis geriet. Seit drei Monaten ist er obdachlos, was man ihm nicht ansieht. Darauf legt Jahn auch großen Wert. „Das äußere Erscheinungsbild verrät viel über deinen Charakter und dein Wohlbefinden“, sagt er. „Die richtige Kleidung ist ein wichtiger Bestandteil, um sich Respekt zu verschaffen.“
Nicht dabei beim Klamottenaussuchen ist unser Topmodel Gesa Claussen. Die 28-jährige Vertriebsmitarbeiterin muss arbeiten. „Aber ich vertrau euch“, sagt sie noch. „Ihr werdet für mich schon das Richtige aussuchen.“ Wir kommen mit Bergen von Sachen zurück, natürlich auch für die 1,74m-große Gesa, die eine Kleidergröße zwischen 34 und 36 hat und blond ist.
Das ist deshalb an dieser Stelle der Rede wert, weil am nächsten Tag das Undenkbare passiert. Gesa ist krank, kann nicht zum „Shooting“ kommen. Panik. Wir können den Termin nicht verschieben. Wir haben die meisten Klamotten nur für einen, höchstens zwei Tage ausgeliehen. Morgen soll es schon wieder regnen. Wir haben Glück: Redaktionsassistentin Sonja Conrad springt ein. Allerdings: Sie ist nur 1,63 groß, trägt Größe 36 und ist rothaarig.
Auf einmal ist alles gut. Die Sonne scheint wie verrückt, so stark, dass Sonja einen Sonnenbrand bekommt. Wir haben einen tollen Platz zum Fotografieren gefunden, den 15. Stock eines Parkhauses in Altona. Und wir haben zusammen einen Mordsspaß. Auch unser Zivildienstleistender Nico Schollmeyer ist mit von der Partie. Eigentlich sollte der 20-Jährige uns nur fahren und beim Aufbauen helfen. Aber dann schnappt er sich einen coolen Kapuzenpulli von fein und will den gar nicht mehr hergeben. Aber 109 Euro sind ihm doch zu viel. „So viel würde ich nie für ein Kleidungsstück ausgeben.“
Auch Polizist Matthias Junge muss am Mittag alle Klamotten wieder abgeben. Aber er hat sich Anregungen geholt: Die Weste aus Bio-Baumwolle von H&M will er sich kaufen, vielleicht nachher noch …
Glücklicher dran sind da die Hinz&Künztler. Die Models dürfen nämlich eine Ausstattung von C&A behalten. Den Rest können wir an andere Kollegen von der Straße verschenken, hat uns C&A-Geschäftsführer Frank Middendorf noch gesagt. Gesamtwert: 1000 Euro. Und das Tollste: keine Bestechung. Wir stellen ja sowieso nur Mode vor, die uns von unseren Experten Fred Grimm und Kirsten Brodde „genehmigt“ worden war.
Birgit Müller
Wie fair ist wer?
C&A und H&M: Die Bio-Cotton-Collection ist ökologisch hergestellt, die Lieferanten werden kontrolliert. Aber die Produkte sind nicht fair gehandelt.
Fein Conceptstore: Alle Produkte sind aus Bio-Materialien und fairer Produktion.
hessnatur: Die Produkte sind aus zertifiziertem und fairen Anbau.
Fairliebt: Die T-Shirts werden in Hamburg entworfen und ökofairhergestellt.