Extra-3-Moderator und Autor Tobias Schlegl im Interview
(aus Hinz&Kunzt 187/September 2008)
Mit 17 war Tobias Schlegl der jüngste Moderator beim Musiksender Viva, dann wurde der Punk-Fan Moderator beim Satiremagazin Extra 3 und Mitglied im Rat für Nachhaltigkeit, der die Bundesregierung berät. Jetzt will der 30-Jährige seine Generation dafür begeistern, kritisch zu konsumieren oder wenigstens ein schlechtes Gewissen zu haben. Birgit Müller (Text) hat ihn getroffen und festgestellt: Siezen geht gar nicht.
Hinz&Kunzt: Du hast ein Buch über Nachhaltigkeit geschrieben und dich als Erstes von diesem Wort verabschiedet. Warum?
Tobias Schlegl: Das ist halt einfach ganz stumpf eingedeutscht worden. Und jeder Politiker verwendet das in seinen Reden, alles ist plötzlich nachhaltig. Das Schlimme ist, dass es auch noch falsch verwendet wird. Denn nachhaltig kann nur etwas sein, das drei Punkte beachtet: Es muss ökologisch sein, es muss sozial gerecht sein, und es muss sich auch irgendwie rechnen. Im Buch hab ich’s halt immer mit Zukunftsfähigkeit übersetzt, weil es ja darum geht: Können wir in Zukunft leben, wenn wir so weitermachen wie jetzt?
H&K: Was ist eigentlich das Zukunftsunfähigste, das du trägst, besitzt oder machst?
Schlegl: Das Schlimmste sind meine Flugreisen, die ich sehr gerne mache. Also nach Bangkok kommt man halt nur mit dem Flieger, und ich glaube, damit habe ich mir dieses Jahr schon die gesamte CO2-Bilanz versaut. Ansonsten steh ich auch noch zu meinem alten Golf, den ich mal von meinen Eltern geerbt hab. Da komm ich nicht von los. Außerdem trage ich seit einem Jahr meine Lieblings-Nike-Schuhe, und die werd ich tragen, bis sie mir vom Fuß fallen. Meine Jeans ist auf keinen Fall sauber. Das wären jetzt auf jeden Fall vier Sünden, die ich begangen hab und zu denen ich auch jetzt noch stehe.
H&K: Wonach bemisst du deine Bilanz?
Schlegl: Es gibt im Internet einen Test, wie viel „Erden“ du verbrauchst (zum Beispiel www.footprint.ch; Anmerkung der Redaktion) Im Schnitt verbraucht der Deutsche so 2,5 Erden im Leben. Ohne meinen Bangkok-Flug war ich bei 1,8 Erden, also eigentlich ganz guter Durchschnitt. Mit dem Bangkok-Flug bei 2,2, also Gott sei Dank noch unterm Durchschnitt, aber nicht wirklich gut und sauber.
H&K: Hast du dann überhaupt was verändert?
Schlegl: Was sich geändert hat, ist: Ich hab jetzt wenigstens ein schlechtes Gewissen. Und 100 Prozent zukunftsfähig kannst du nicht sein. Dann bist du entweder verrückt, langhaarig oder nackt, wahrscheinlich alle drei Punkte zusammen.
H&K: Aber das Ziel, deine Erden-Skala zu verbessern, hast du schon, oder?
Schlegl: Ich will auf 1,5 Erden kommen, dann wäre ich schon sehr stolz. Das hieße aber, ich dürfte mal ein Jahr nicht in Urlaub fliegen oder halt nur mit dem Zug nach Holland oder an die Küste. Das krieg ich auch mal hin. (Tobias seufzt) Ja. Aber ich seh so gerne die Welt!
H&K: Was erwartest du von den Konsumenten?
Schlegl: Wir verteufeln keine Produkte oder Verhaltensweisen. Ich bin ja auch keiner, der die Leute bekehren möchte und der irgendwie sagt: Mach dies oder das! Ich will erst mal den ersten Schritt schaffen: Dass man, egal was man konsumiert, dem Braten einfach nicht trauen darf. Sei ein kritischer Konsument! Das ist meine Botschaft. Was du dann machst, wie du handelst, das liegt bei dir selbst.
H&K: Du willst nichts mit erhobenem Zeigefinger fordern. Aber es gibt schon Dinge, die du empfiehlst, wenn jemand fair leben will.
Schlegl: Na klar. Zum Ökostrom zu wechseln, das ist das Erste – und das verlang ich wirklich von jedem. Das ist das Allereinfachste, was du machen kannst. Du musst nicht mal deine Wohnung verlassen, brauchst nur online drei Zeilen zu verfassen, und das Ganze kostet nur ein paar Euro mehr im Monat. Also da kann ich echt keinen verstehen, der Atomstrom unterstützt.
H&K: Was ist für dich persönlich das Einmaleins des nachhaltigen Konsums?
Schlegl: Wir haben recherchiert: Gibt’s überhaupt 100 Prozent saubere T-Shirts? Und zwar nicht nur aus Bio-Baumwolle, sondern auch fair produziert und fair gehandelt und mit fairen Löhnen. Und das war echt schwer, da irgendwas zu finden. Die T-Shirts, die ich jetzt trage, sind sauber. Von denen habe ich mir einen ganzen Schwung über das Hamburger Label „fairliebt.“ bestellt.
H&K: Wie teuer ist dann ein T-Shirt?
Schlegl: 18 Euro, das find ich okay. Das ist natürlich teurer als bei H&M, da kriegst du für sechs, sieben Euro eins. Aber das ist halt der Punkt. Es gibt nur eine Lösung: Wer wirklich fair leben will, muss diese Konsumgier runterfahren. Vor allem, wenn du weißt, dass du überall verarscht wirst.
H&K: Wer war für dich der größte Umweltsünder, dem du begegnet bist auf deiner Inspektionsreise?
Schlegl: Ikea hat mich besonders geärgert. Die pflegen überall dieses Happy-Image, und auf jedem Preisschild steht hinten drauf: „Kommt aus intakten Wäldern“. Aber ob das Holz von Billy, meinem Lieblings-Regal und altem Kumpel, nicht doch aus illegaler Rodung kommt, kann man nur ausschließen mit dem FSC-Siegel. Und bei Ikea gibt es kein Produkt, das dieses Siegel trägt. Das ist kompletter Etiketten-Schwindel. Und das ist mir auf der ganzen Reise begegnet: Es steht nie das drauf, was wirklich drin ist. Da steht auf einem T-Shirt „Made in Poland“, aber es ist vorher durch China und Bangladesch gerauscht. Auch die McDonald’s-Nummer hat mich empört: Dass du einen Burger isst und nicht mal erfährst, dass die Rinder mit Gen-Soja gefüttert wurden. Dass du nicht mal die Wahl hast, einen Burger zu essen, der nicht mit Gentechnik hergestellt worden ist.
H&K: Aber du bist nicht nur der stille, kritische Konsument, du hast ja selbst Aktionen gemacht, um etwa auf die Gen-Burger aufmerksam zu machen. In einem anderen Fall hast du an einer Baumpflanzaktion teilgenommen.
Schlegl: Ich hab mir meinen Alltag angeguckt. 24 Stunden. Was ess ich da? Wo kommt der Strom her? Was steht bei mir im Zimmer? Den Fragen bin ich nachgegangen. Erst den Experten befragt und dann konkret gehandelt. Und das war schon anstrengend bis sehr ernüchternd. Auf der anderen Seite hat’s mich gepackt, herzblutmäßig: Du hast gemerkt, du bist für eine gute Sache unterwegs, das baut einen auf.
H&K: Hat man als Konsument überhaupt Einfluss und Macht?
Schlegl: Man muss Druck machen. Man kann ja immer auf die Straße gehen, weil zwei Mann noch keine Demo sind. Super Gesetzeslücke! Man kann das, was verschwiegen wird, im Internet anprangern. Das ärgert die Konzerne schon. Das kriegen die auch mit. Und du kannst dich dem Konsum verweigern und bestimmte Produkte nicht mehr kaufen.
H&K: Du hast auch engagierte Leute getroffen, die dir imponiert haben.
Schlegl: Ja, die kleinen Alltagshelden haben mich begeistert, zum Beispiel Ronny und Friederike vom Bund für Umwelt und Naturschutz. Mitte 20, studieren und opfern 25 Stunden in der Woche für das Gute, unentgeltlich. Friederike hatte ein Loch im T-Shirt und meinte, sie habe nicht viel Geld und auch kein Privatleben mehr. Das finde ich schon hart. Also so kämpfen kann ich nicht. Das bewundere ich einfach nur.
H&K: Wie sah das mit dem Thema Konsum in deiner Familie aus? Deine Schwester und deine Eltern kommen im Buch ja auch vor.
Schlegl: Meine Familie ist gutbürgerlich, der Vater Betriebswirt, die Mutter Kindergärtnerin. Wir hatten immer alles, aber nicht in üppigen Massen. Das war, um auf dem Boden zu bleiben, genau das Richtige. Wir mussten immer sparen, wenn wir uns irgendwas leisten wollten. Ich habe schon in der Schule gemerkt: Um zu gewissen Kreisen zu gehören, musst du auch die entsprechenden Marken-Klamotten haben. Dieses System hab ich aber nie verstanden. Dem hab ich mich dann aber auch ganz schnell verweigert.
H&K: Du fühlst dich der Punkbewegung verbunden. Warst du da auch richtig in der Szene drin?
Schlegl: Ich will mich jetzt nicht als Punk bezeichnen, höchstens als Wohlstands-Punk. Ich komm schließlich nicht aus den schlechtesten Verhältnissen und hab auch nie die zerrissensten Klamotten angehabt. Aber ich hab die Musik gehört und hatte die Einstellung in meinem Herzen. Die Texte fand ich immer gut, obwohl sie natürlich arg platt sind. Aber die haben mir so ein bisschen geholfen, den Blick auf das Politische zu richten. Man weiß halt, wie man nicht werden will: wie jeder andere, wie der Nachbar und wie der Politiker.
H&K: Was ist denn so schlimm an den Nachbarn oder Politikern?
Schlegl: Es ging um Leute, die ohne Leidenschaft leben, ihr Geld verdienen, indem sie Leute betrügen und belügen. Der Hauptpunkt war: eine Welt, in der Statussymbole mehr zählen als innere Werte. Das war mir immer suspekt.
H&K: Als 17-jähriger Schüler bist du Moderator beim Musiksender Viva geworden …
Schlegl: Da ist meine Schwester dran schuld. Bei Viva suchten sie einen Moderator. Da hat sie mich einfach in den Keller gezerrt und ein Video gedreht. Da hab ich die Moderatoren, die es schon gab, parodiert. Das kam dann wohl gar nicht so schlecht an. Ich war der jüngste Viva-Moderator aller Zeiten. Parallel dazu hab ich noch das Abi gemacht. Das war echt ’ne schwierige Nummer.
H&K: Aber wie ein Punk sahst du nicht aus.
Schlegl: Ich hatte ’ne ganz schlimme Frisur, so eine Popper-Frisur, danach kamen Rastas, und dann hab ich ja auch noch alle Farben durchgemacht. Also Haare waren immer ganz schlimm. Ich habe natürlich auch gerne provoziert. Aber ich bin mittlerweile so weit, dass ich das nicht mehr mit dem Aussehen provozieren muss. Ich finde es viel intelligenter, das System zu unterwandern. Ich trag ja selber jetzt Anzug bei Extra 3. Satire kommt ja fein daher.
H&K: Du willst aber mehr als provozieren. Immerhin warst du von 2004 bis 2007 Mitglied im Rat für Nachhaltigkeit, der die Bundesregierung berät. Was genau habt ihr da gemacht?
Schlegl: Du kannst ja keine Gesetze erlassen als Rat, kannst höchstens die Politiker immer in die Pflicht nehmen und ihnen auf die Füße treten. Ein Beispiel: Zubetonieren der Natur. 2006 wurden deutschlandweit täglich rund 114 Hektar zubetoniert. Wir haben empfohlen, das auf 30 Hektar zu reduzieren, und diese Empfehlung wurde immerhin als Richtlinie übernommen. Generell ging’s um Unternehmensverantwortung, um die CO2-Werte und natürlich um die Energiefrage. Es gab wilde Diskussionen im Rat: Die Öko-Seite und die Wirtschaftslobbyisten in der Energiefrage zusammenzubringen ist fast unmöglich. Immerhin hat sich der Rat auf ein CO2-freies Kohlekraftwerk geeinigt.
Und wir haben die Zahl auf den Tisch bekommen, wie teuer der Klimawandel in den EU-Ländern wirklich wird: um die 1,1 Billionen Euro. Und das hat auch deutlich gemacht: Es rechnet sich wirtschaftlich, jetzt etwas zu tun. Das überzeugt dann sogar die Industrie. Das ist natürlich der Idealfall, wenn sich Umweltschutz und Industrie einigen können.
H&K: Seitdem bist du politisch richtig aktiv geworden …
Schlegl: Mit dem Buch und bei Extra 3, was für mich der schönste Job der Welt ist, kann ich mich jede Woche mit Großkonzernen und Politikern anlegen. Und Leute aufklären – auch mit Satire. Beispielsweise haben wir vor ein paar Wochen in der Fußgängerzone Atommüll verteilt. Wir haben ausgerechnet: Wenn jeder 120 Gramm Atommüll dezentral bei sich zu Hause lagert, dann ist das Problem der Endlagerung geklärt. Und da man ja Atomstrom bezieht, sollte man auch sein Päckchen tragen. Wir haben noch gelockt mit Strom zum halben Preis. Und die Leute sind drauf eingegangen, das glaubst du gar nicht. Das war ganz schlimm, die haben den vermeintlichen Atommüll mit nach Hause genommen.
H&K: Und wo wollten sie ihn lagern?
Schlegl: Ich hab ihnen gesagt: nicht zu feucht und nicht im Kinderzimmer, aber im Keller, wenn der eben nicht so feucht ist, neben den Skiern oder neben den Kartoffeln. Eine ältere Dame hat ihn auf dem Dachboden neben der Puppenstube verstaut. Unfassbar! Deswegen ist es so wichtig, dass man mit solchen Aktionen die Menschen aufrüttelt.