Als Veronika Rotfuß beim Hinz&Kunzt-Schreibwettbewerb den 2. Platz erreichte, erkannte der Carlsen Verlag ihr Talent. Jetzt erscheint ihr erster Roman
(aus Hinz&Kunzt 186/August 2008)
Hinz&Kunzt hat Veronika Rotfuß Glück gebracht: Die junge Autorin gewann den zweiten Platz in unserem Schreibwettbewerb 2006. Dadurch wurde auch der Carlsen Verlag auf die 28-Jährige und ihre Protagonistin Mücke aufmerksam.
Veronika Rotfuß ist zierlich, fast zerbrechlich und zurückhaltend. Bevor sie auf Fragen antwortet, nimmt sich die 28-Jährige Zeit zum Nachdenken. Besonders, wenn sie die Figuren aus ihrem Erstlingsroman „Mücke im März“ beschreibt, wählt sie die Worte mit Bedacht. „Mücke ist klug, selbstbewusst und nicht selbstbewusst, braucht Platz, denn sie verkümmert.“
Das ist auch kein Wunder, denn die 15-jährige Heldin hat eine schwer an Demenz erkrankte Mutter, einen mitunter nervigen kleinen Bruder und einen beruflich sehr eingespannten Vater – und sie kämpft um ihre erste Liebe Jurik. Eher lakonisch, aber sehr einfühlsam erzählt die Autorin aus Mückes Perspektive von Herzklopfen, ersten Küssen, familiären Reibereien, Abgrenzung und dem Spiel zwischen Distanz und Nähe. Und wie schwierig es ist, Gefühle gegenüber anderen zu zeigen. Ein Problem, ds der Autorin vertraut ist. „Gefühle rauslassen ist ein Zeichen für Selbstsicherheit.“
Viel Selbsterlebtes steckt in ihren Figuren. „Eine Bekannte ist mit 50 Jahren an Demenz erkrankt“, sagt Veronika Rotfuß. Auch die Erlebnisse ihrer eigenen Pubertät hat sie in ihrem Buch verwendet. „Ich hätte mehr Ermunterung gebrauchen können zu der Zeit. Manche Dinge hole ich heute nach, bin manchmal immer noch pubertär“, gesteht sie.
Aber gleichzeitig ist sie sehr analytisch, liebt das genaue Beobachten, „vor allem von Männern, wie sie mit Schwierigkeiten umgehen“. Und sie fragt sich, was passieren muss, damit Menschen gegen Regeln verstoßen. Mücke lernt das Rebellieren im Buch jedenfalls und schafft es auch, sich ihren Gefühlen zu stellen. Ihre Schöpferin ist noch dabei.
Geboren und aufgewachsen ist sie in Pforzheim. Eine hässliche Stadt, findet sie, zu 98 Prozent im Krieg zerstört. „Manchmal habe ich mir gewünscht, jemand würde wieder darüber fliegen und ein paar Bomben abwerfen.“
Ihre Eltern kommen ursprünglich aus Russland, haben ihre Heimat aber aus Glaubensgründen verlassen. Veronika ist ein introvertiertes Kind und macht viel mit sich selbst und ihrem Tagebuch ab. Sie ist eine brave Tochter und absolviert eine Ausbildung zur Goldschmiedin – „Hier wirst du entweder Goldschmied oder Bürokauffrau“ – und anschließend eine Münchner Schauspielschule.
„Aber schon während der Ausbildung habe ich gemerkt, dass ich eigentlich lieber schreiben will.“ Sie schreibt Kurzgeschichten und „Übungen“ und verdient ihren Lebensunterhalt in einer Promotion-Agentur. „Meine Eltern haben gesagt, wir zahlen dein Scheitern nicht“, sagt sie ohne Anklage.
Auf Anraten einer Hamburger Freundin reicht die in München lebende ausgebildete Schauspielerin ihre Geschichte 2006 beim 10. Hinz&Kunzt-Schreibwettbewerb ein und gewinnt den 2. Platz. Carlsen-Chef Klaus Humann, seit Harry Potter einer der bekanntesten Talentscouts im Verlagswesen, liest die Geschichte im Straßenmagazin und bittet eine Lektorin des Verlags um Kontaktaufnahme. Anderthalb Jahre später ist aus zwei DIN-A4-Seiten ein knapp 200 Seiten starker Roman geworden, der genau dort weitergeht, wo die Kurzgeschichte endet.
Ihre Figuren hat die Autorin dabei „sehr lieb gewonnen. Vor allem Jurik“. Die Figuren entwickeln beim Schreiben ein Eigenleben. Sind nicht mehr kontrollierbar, wie Kinder, die erwachsen werden. Mücke, Jurik, der Vater und sogar die kranke Mutter haben sich entwickelt und Entscheidungen getroffen. Genau wie Veronika Rotfuß, als sie sich entschied, Gefühle rauszulassen und zu schreiben.