Seine Fans feiern Kapitän Jürgen Schwandt für seine klaren Worte. Der 80-Jährige engagiert sich seit Jahren auch für Obdachlose – im Hinz&Kunzt-Freundeskreis.
Ob er heute früh schon mal bei Facebook vorbeigeschaut hat? Der konzentrierte Gesichtsausdruckvon Jürgen Schwandt weicht einem Lachen: „Joah, muss ich ja.“ Der alte Seebär ist der neueste Hype im Netz: Mehr als 135.000 Menschen folgen ihm bei Facebook. Seine Biografie „Sturmwarnung“ (Ankerherz) ist ein Bestseller. Er saß schon bei Lanz, Elstner und der Schöneberger. Sie nennen ihn „Kapitän Rückgrat“ (Stern) oder „Käpt’n klare Kante“ (Mopo).
Schwandt redet und schreibt ausdauernd an gegen die AfD und ihre Anhänger. Er schimpft alle „Flachpfeifen“, die gegen Ausländer und Flüchtlinge hetzen. Er kontert rechte Hetze mit Fakten. Seine Gegner schmähen ihn als „linksversifften Quallengrapscher“. Einer reimte: „Schwandt an die Wand!“ Manche drohen ihm Prügel und weit Schlimmeres an. Schwandt lässt sich, ganz Seemann, nicht erschüttern. „Das zeigt doch, dass ich getroffen habe. Touché!“, sagt er und lacht, seine wachen Augen blitzen auf.
Schwandt ist im zerbombten St. Georg aufgewachsen
Er kämpft diesen Kampf schon lange. Neun Jahre alt war er, als die Nazis kapitulierten. Ein Junge im zerbombten St. Georg, eine Leseratte, die Seefahrergeschichten verschlang: Joseph Conrad, Herman Melville. Später wollte er alles über den Holocaust wissen. Mit den Gräueltaten der Nazis konfrontierte er seinen Vater. Der trat schon 1933 in die NSDAP ein, diente an der Ostfront, befehligte Voraustrupps bei besonders gefährlichen Kommandos. Ein Kriegsheld, ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz 1. Klasse. „Ein Ewiggestriger“, sagt Schwandt. Sie lieferten sich harte Auseinandersetzungen. Einmal vermöbelte der Junge den Alten fast.
Mit 16 Jahren heuerte der junge Schwandt auf einem abgewrackten „Uraltsarg“ an – es war ihm egal, Hauptsache raus. Auf See. Erst die Liebe zu seiner Frau wird ihn Jahrzehnte später wieder auf Dauer anlegen lassen. Die See lässt ihn aber bis heute nicht los: Er wirbt etwa für die private Hilfsorganisation Sea-Eye, die Flüchtlinge aus dem Mittelmeer rettet.
Hinz&Kunzt Freundeskreis
Schwandt muss sich einmischen, er kennt es gar nicht anders von sich, Hörgerät hin oder her. „Man muss sich gerade machen für seine Überzeugungen.“ Ganz einfach sei das. „Beängstigend“ findet er, wenn ihm alle auf die Schulter klopfen, aber selbst keinen Mumm haben, den Mund aufzumachen. Bei Facebook drängen sie ihn schon, er solle bei der nächsten Wahl zum Bundespräsidenten kandidieren.
Neulich hat er sich erst einmal mit Olaf Scholz getroffen, natürlich in der Haifischbar, Schwandts zweitem Wohnzimmer. Da saßen sie dann, zwei alte SPDler unter sich. Es ging um die AfD und den Hass im Netz, um die Flüchtlinge und um runtergewirtschaftete Reedereien. Und: um Obdachlose. „Die werden jedes Frühjahr aus dem Winternotprogramm auf die Straßen gefegt, ohne Alternativen“, kritisierte Schwandt den Ersten Bürgermeister. Der verwies auf die „guten Beratungsangebote“. Worauf Schwandt nachlegte: Der Wohnungsbau für Obdachlose werde doch seit Jahren vernachlässigt!
Seit 1999 ist der Käpt’n im Freundeskreis
Schwandt hat sich den Gestrandeten schon immer näher gefühlt als den Etablierten. Bereits seit 1999 ist er Mitglied im Freundeskreis von Hinz&Kunzt. Natürlich hat er auch „seine“ Stammverkäuferin – eine Rumänin. „Uns Seeleuten ist bewusst, wie schnell man auf der Schnauze liegen kann. Das geht ruckzuck“, sagt Schwandt. Arbeitslosigkeit, Scheidung, Alkohol …
Letzteres kennt er nur zu gut: Bis er 37 Jahre alt war, soff er sich um Kopf und Kragen. Dann ein letztes Mal: „Drei Tage, vierkant, ohne was zu essen.“ Danach setzte er sich radikal auf kalten Entzug. Seither erlaubt er sich als Suchtmittel nur noch Zigaretten. Und Facebook.
Sturmwarnung – das aufregende Leben von Kapitän Jürgen Schwandt, Ankerherz Verlag, Hollenstedt; 192 Seiten, 29,90 Euro