Helgoländer Allee :
Obdachlose müssen weg

Krysztof muss am Montag seine Platte an der Helgoländer Allee räumen. Wo er hin soll, weiß er nicht. Foto: BELA

Monatelang hat der Bezirk Mitte die Obdachlosen an der Helgoländer Allee geduldet – doch heute müssen sie ihre Zelte abbauen. Das Bezirksamt hat ihnen einen Räumungsbescheid zugestellt. Wo sie hinsollen, wissen die Polen nicht.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Hamburgs gerade meistdiskutierte Platte liegt an der Helgoländer Allee. Polnische Obdachlose haben zwischen Landungsbrücken und Reeperbahn einige Zelte aufgebaut, weswegen die „Bild“-Zeitung von einer „Camping-Meile“ gesprochen hatte, die „einfach nur noch ekelhaft und peinlich für unsere Stadt“ sei.

Dabei ist die Platte ordentlich, es liegt kaum Müll herum. „Wir machen hier immer sauber und bringen Müll weg“, sagt Bewohner Krysztof und zeigt beim Besuch am Samstagnachmittag einen Besen vor. In einem Zelt lagern der Hinz&Künztler und seine Freunde ihr Hab und Gut in Plastikkisten und in einer kleinen Kommode, sie sind gut organisiert. Eine Toilette haben sie allerdings nicht. Sie hätten einen Polizisten gefragt, ob sie ein Dixi-Klo bekommen könnten, aber eine Absage erhalten, berichtet Krysztof. „Obwohl beim Schlagermove 20 Stück dort standen. Hätte man nicht eine stehen lassen können?“, fragt er. „Jetzt müssen wir in die Büsche gehen. Das ist nicht schön.“

Bezirksamt Mitte: „Wir können das nicht alleine lösen“

Wohin sollen wir denn?– Krzyzstof
Bis Montag um 17 Uhr müssen die Obdachlosen den Grünstreifen ganz räumen. Eine entsprechende Aufforderung des Bezirksamts Mitte hatten Polizisten ihnen am Freitag ausgehändigt. Krysztof versteht die Welt nicht mehr. „Acht Monate wohnen wir schon hier, es gab nie Probleme!“, sagt er. „Jeden Tag kommt ein Polizist vorbei, der war immer zufrieden mit uns. Und plötzlich müssen wir weg. Wohin sollen wir denn?“

Für die Campingplätze, die ihnen das Amt neben der Notunterkunft Pik As als Alternative vorgeschlagen hatte, fehle ihnen das Geld. Reno Buchholz, Betreiber eines der aufgezählten Campingplätze, sagt zudem auf Hinz&Kunzt-Nachfrage: „Nichts gegen die Obdachlosen, aber wir sind ein reiner Touristenplatz und nehmen keine Obdachlosen auf.“ Davon, dass sein Campingplatz vom Bezirk den Obdachlosen vorgeschlagen wurde, wusste er nichts.

Monatelang hatte der Bezirk die Platte geduldet. Warum plötzlich nicht mehr? „Es ist einfach nicht erlaubt“, begründet Bezirkssprecherin Sorina Weiland das Vorgehen zunächst. Das stimmt: Laut städtischer Grünanlagenverordnung ist Zelten und nächtliches Lagern in Parks verboten. Bislang hatte der Bezirk Mitte trotzdem auf eine Räumung verzichtet, aus Verständnis für die Situation der Obdachlosen. „Wir können es aber nicht zum Standard machen, dass jeder sein Zelt auf der grünen Wiese aufschlägt“, sagt Weiland jetzt. „Da müssen andere Lösungen gefunden werden.“ Ihr Problem: Für die Unterbringung von Obdachlosen ist nicht der Bezirk, sondern die Sozialbehörde zuständig. „Wir können das als Bezirksamt nicht alleine lösen“, sagt die Pressesprecherin.

Vertreibung
Katz & Maus mit Obdachlosen
Die Bezirke vertreiben Obdachlose aus Parkanlagen: In Altona mit Platzverweisen und Polizeieinsätzen, in Eimsbüttel obendrein mit einem Zaun. Das eigentliche Problem: Der Senat hilft den Menschen kaum und duckt sich weg.

Hätte Krysztof Anspruch auf eine Unterkunft?

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Die Obdachlosen kochen jeden Tag selbst. Foto: BELA

Eigentlich wollen Krysztof und seine Freunde natürlich in eine Wohnung – aber das können sie sich erst recht nicht leisten. Schon beim Gedanken daran, eine Kaution zahlen zu müssen, verdreht Krysztof die Augen. „Woher sollen wir das nehmen? Das geht nicht“, sagt er. Krysztof verkauft Hinz&Kunzt und sammelt Flaschen auf dem Kiez. „Das reicht für Essen und Trinken“, sagt er. Stolz ist er darauf, die Essensausgabestellen für Arme in der Nähe nicht in Anspruch zu nehmen, sondern immer selbst zu kochen. Gerade steht die polnische Sauerkrautsuppe auf dem Gaskocher, dazu will er noch Hackfleisch anbraten.

Eigentlich ist Krystof Schlosser. Er erzählt, dass er fast zehn Jahre lang in Deutschland gearbeitet habe – bis zu einem Arbeitsunfall vor einigen: „Arbeitgeber hat mich sofort entlassen. Keine Entschädigung, gar nichts.“ Somit hätte er aber eigentlich Anspruch auf Sozialleistungen – und auch auf eine städtische Unterkunft. Er war auch schon bei der Arbeitsagentur, aber die komplizierten Formulare hat der Pole nicht verstanden, obwohl er eigentlich gut deutsch spricht.

Einer seiner Freunde erzählt, dass ihn das Jobcenter gleich ganz weggeschickt hätte, weil er keinen festen Wohnsitz hat. Also haben sie es sich an der Helgoländer Allee eingerichtet – bis heute. „Wo sollen wir jetzt hin?“, fragt Krysztof. Ihre Sachen packen werden sie jedenfalls. „Wir wollen keinen Streit mit der Polizei und suchen uns einen neuen Platz.“

Hinz&Kunzt: „Wir brauchen dauerhafte Lösungen“

Auch unter der nahen Kersten-Miles-Brücke soll am Montag ein Zelt von Obdachlosen geräumt werden, sagt Bezirkssprecherin Weiland – wegen Brandgefahr. Im März 2013 war die Brücke bei einem Feuer stark beschädigt worden. Isomatten und Schlafsäcke sollen aber bleiben dürfen, sagt Weiland. „Es ist alles keine Lösung“, räumt sie ein. „Wir wollen uns aber auch nicht daran gewöhnen, dass Menschen auf der Straße schlafen.“

„Wir wollen uns daran auch nicht gewöhnen“, kommentiert Hinz&Kunzt Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer den Fall. Er erinnert daran, dass im November das Winternotprogramm für Obdachlose startet. „Dann verschwinden die Menschen zwar aus den Parks. Damit ist das Problem aber nicht gelöst“, sagt er. „Im Frühjahr landen sie dann alle wieder auf der Straße.“ Um den Obdachlosen wirklich zu helfen, müsse die Stadt ihnen allen feste Unterkünfte zur Verfügung stellen: „Wir brauchen dauerhafte Lösungen.“

Autor:in
Benjamin Laufer
Benjamin Laufer
Seit 2012 bei Hinz&Kunzt. Redakteur und CvD Digitales.