„Musik ist meine Droge“

Wolfgang Michels hat Sehnsucht – nach einem Hit. So wie früher.

(aus Hinz&Kunzt 182/April 2008)

Der Erfolg kam schnell und früh: Als 16-Jähriger landete Michels auf Platz 2 in den englischen Charts, seine Band Percewood’s Onagram galt als Kult. Das ist verdammt lange her, heute ist sein Name nur Insidern ein Begriff. Wenn Wolfgang Michels jetzt seine CD „Zuhause“ auf den Markt bringt, „dann starte ich wie ein Newcomer“.

Dabei hat er seine Lieder recht „altmodisch“ aufgenommen: In einer Live-Situation, jeder Ton handgespielt, zum Teil auf alten Gitarren mit alten Verstärkern. Gesungen wird in ein altes Telefunken-Mikro aus den 30ern, manchmal spielt er die Akustik-Gitarre rückwärts. „Das sind Techniken, die heute wieder en vogue sind“, sagt Michels. „Jeder Ton, jede Note sind gelebtes Leben.“

Vor ein paar Jahren wäre es beinah zu Ende gewesen. Nach einer schweren Herzoperation musste Wolfgang Michels wiederbelebt werden. Nach so einer Sache muss man hart an sich arbeiten, um wieder auf die Beine zu kommen. Aber Wolfgang Michels wollte mehr: „Ich schwor mir, wenn ich das alles überlebe, dann will ich die Musik noch ernster nehmen, noch mehr machen, was ich wirklich will.“ Auf Deutsch.

Zum Glück traf er einen alten Freund wieder, der seine Musik versteht: Frank Otto, Gründer des Labels Ferryhouse. Und er lernte den Musiker Franz Plasa kennen, in dessen Studio nahm Michels jetzt seine neue CD auf, zusammen mit Plasa und jungen Musikern. „Erfahrung mischt sich da mit der Kraft der jungen Wilden“, sagt der 57-Jährige. Die CD ist irritierend, weil sie so vielfältig ist. Ein Lied düster-rockig, erinnert an die Doors, die Machart von „Langeweile“ ist „eine Verbeugung vor den späten Beatles“. Manches wiederum klingt so frisch, dass Michels glaubt, so könnte sich auch eine Scheibe von einem jungen englischen Musiker heutzutage anhören.

Dass Musik wahrhaftig sein muss, diesen Rat hat ihm Alexis Corner, der Meister des weißen Blues, gegeben. Michels hatte ihn kennen gelernt, da war er gerade mal 16. Im Internat in Berlin klebten er und seine Mitschüler förmlich am Radio, vor allem eine Sendung der BBC hatte es den Teenies angetan: Bob Dylan, The Who, die Doors und natürlich die Rolling Stones wurden rauf und runter gespielt.

Wolfgang Michels schrieb seine eigenen Songs und spielte und sang zur Gitarre. Seine Freunde waren so begeistert, dass sie fanden: Das muss unbedingt auch auf BBC gespielt werden. „Ich hätte nie eins meiner Stücke hingeschickt“, sagt Wolfgang Michels.

Das Demoband schickten schließlich seine Mitschüler ab. Das Unvorstellbare passierte: Das Stück des Teenagers aus Delmenhorst wurde neben denen der ganz Großen gespielt – „Desert Walker“ von „One plus None“, wie er sich nannte, landete in den Charts auf Platz 2 hinter seinen Idolen, den Stones. „Das war alles so unwirklich.“

Nicht nur die Teens hörten die Sendung. Auch Alexis Corner wurde auf Michels aufmerksam. „It’s a strange sound“, soll er gesagt haben, „I like it.“ Klingt merkwürdig, gefällt mir. Alexis Corner lud den Jungen nach London ein, nahm ihn mit in einen angesagten Club. „Auf der Bühne stand Miles Davis mit aufgeblasenen Backen“, sagt Michels, „und im Publikum Eric Clapton und Mick Jagger.“ Um nur ein paar Namen zu nennen. Aber doll Konversation hat Michels nicht gemacht. „Dazu war ich viel zu schüchtern. Schon damals war klar: Ich bin keine Rampensau.“

Die Begegnung mit Alexis Corner und dessen Ratschläge prägten Wolfgang Michels. Er war zwar „nicht unbedingt ein Bluestyp“, aber eins beherzigte er für seine eigene Musik: „Blues lässt sich nicht in ein Drei-Akkord-Schema pressen, Blues ist ein Gefühl. Jeder Ton, jedes Wort muss gelebtes Leben sein.“

Michels wusste sofort, wovon der Altmeister sprach. Er war sowieso längst infiziert. „Musik war meine Droge.“ Schon seit er elf war. Damals wollte er sich von seinem Taschengeld ein Transistorradio kaufen. Für 50 Mark. Also eigentlich unerschwinglich. Aber der Delmenhorster Elektroladen hatte eine hübsche Chefin, „Typ Sophia Loren“, sie erkannte seine Leidenschaft. „In Raten zu 50 Pfennig durfte ich das Radio abstottern“, sagt Michels. Das Transistorradio war seine Flucht aus dem Mief der Anfang-60er-Jahre, die er als einen „langen Schwarz-Weiß-Film“ in Erinnerung hat. Die Musik rettete ihn aus der Tristesse. „Nachts hörte ich heimlich unter der Bettdecke Radio.“

Sein Zimmer tapezierte er mit Fotos seiner Idole: Jimi Hendrix, den Stones, Jim Morrison und natürlich den Beatles. Regelmäßig riss der Vater die Bilder wütend wieder ab. Er wollte nicht, dass sein Sohn rumgammelt und ein verlotterter Langhaariger wird, der „irgendwann in der Gosse landet“. Dass er diese „Teufelsmusik“ hörte, wollte der Vater schon gar nicht. Aber die Sehnsucht, die Energie und die Musik in ihm drin mussten einfach raus.

Eigentlich wollte er die Songs seiner Idole nachspielen. „Dazu reichte es natürlich nicht. Aber so viele Sehnsüchte und Verletzungen steckten in mir drin, deshalb schrieb ich eben eigene Stücke“. Da war er 14.

Mit 18 gründete er die Band „Percewood’s Onagram“, ging auf Tournee, brachte Platten raus. „Eine Zeitlang habe ich wie ein Bettler gelebt“, sagt Wolfgang Michels. „Ich hatte ein kleines Zimmer, lebte wochenlang von Haferflocken mit Milch oder Nudeln mit Ketchup.“ Eine glückliche Zeit. Er war jung und lebte ganz intensiv. Er hatte ja noch alles vor sich. Ging nach San Francisco, arbeitete mit amerikanischen Musikern.

Die Musikpresse war begeistert. Der Ritterschlag: Ein Magazin nannte Percewood’s Onagramm in einem Atemzug mit Neil Young und Bob Dylan. Irgendjemand schrieb, er sei „Germanys best kept secret“. Deutschland bestgehütetstes Geheimnis. 1978 bekam er den Deutschen Schallplattenpreis (Vorgänger vom Echo).

Er war das geworden, was sein Vater verhindern wollte: eine Art Hippie. „Und ich bin es heute noch“, sagt Michels. Allerdings nicht im „dümmlich-heiligen“ Sinne, sondern von seinen Werten her. „Es war eine Kulturrevolution, in der es um Mitmenschlichkeit, Liebe und Frieden auf der Welt ging“, sagt Michels ernst. „Das sind Werte, für die es sich heute noch zu kämpfen lohnt.“

Der Liebe wegen kam er Ende der 70er Jahre zurück nach Deutschland. In Zukunft, so hatte er sich vorgenommen, wollte er seine Musik, die anglo-amerikanische mit Westcoast-Einschlag, auf Deutsch singen. Ernüchterung: Seine Fans zogen nicht mit. Auch die Musikpresse wandte sich ab. „Deutsch ging zu der Zeit gar nicht“, so Michels. Jedenfalls nicht, wenn man weder Liedermacher noch Schlagersänger sein wollte.

Immerhin: Er arbeitete mit Rio Reiser zusammen, Fettes Brot coverte einen Song. Es ging schon weiter, aber es ging nicht mehr richtig los. Auch finanziell wurde es eng. Einmal drehte ihm seine Bank den Geldhahn zu. Dabei hatte Michels einen Plattenvertrag. Als Michels den Scheck endlich einreichte, kassierte die Bank das Geld und gab ihm keinen Kredit mehr. „Dabei musste ich ja die Platte noch produzieren.“

Ein anderes Label blockierte ihn über mehrere Jahre. Die Platte „Dancin’ On The Edge Of Life“ war schon produziert. Aber der Chef der Plattenfirma wurde ausgetauscht, und der neue wollte die Scheibe vor der Sommerpause an den Start bringen ohne Werbung. „Das Todesurteil für jede Platte!“, sagt Michels. Dann sollte „Dancin’ On The Edge Of Life“ lieber gar nicht rauskommen. Es dauerte ewig, bis er zu einer anderen Plattenfirma wechseln konnte. Dort wurde der Titel allerdings ein Hit.

Der ein oder andere Song der neuen CD, so glaubt er, hat auch das Zeug zum Hit. Ein Internet-Musiklexikon wünscht Michels, dass er endlich die Anerkennung bekommt, die er verdient. Rückendeckung eines großen Musikerkollegen hat Wolfgang Michels schon bekommen.Udo Lindenberg hat „Zuhause“ als „geil“ bezeichnet.

Birgit Müller

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