(aus Hinz&Kunzt 180/Februar 2008)
Sie sind jung, und sie landen reihenweise in der Obdachlosenszene. 250 junge Menschen zwischen 18 und 25 leben in Notunterkünften, die eigentlich für Erwachsene gedacht sind. Dabei bräuchten sie eine Wohnung, eine Ausbildung – und vor allem Unterstützung.
„Und wenn du jetzt noch mal eine Lehrstelle als Koch angeboten bekämst?“ Florian zuckt richtig zusammen. „Ich würde alles tun, um sie nicht anzunehmen“, sagt der 25-Jährige. „So wie ich jetzt lebe, könnte ich das nie durchstehen.“
Dabei ist Florians großer Traum, eines Tages eine gute Ausbildung in einem gastronomischen Beruf zu haben. Aber derzeit lebt er in einer Notunterkunft in der Sportallee. Mit drei anderen erwachsenen Obdachlosen teilt er sich den Raum. Da geht natürlich jeder zu Bett, wann es ihm gerade passt. Und nach „Katzenfüßen“ rieche es da immer, sagt Florian und lacht, wie er das so gerne tut. Außerdem sei die Sportallee noch besser als das Pik As, wo er vorher war. „Dort wurde ich schon am ersten Tag beklaut“, sagt er. „Die haben mir den Spind aufgebrochen und alle Papiere und Klamotten mitgenommen.“
Ernst wird er, wenn er über seine Zukunft redet. „Unvorstellbar“ sei es für ihn, von seiner Notunterkunft aus die Anforderungen eines Jobs zu schaffen. „Wie soll ich mich hier erholen nach der Arbeit? Ich schaffe es dann nicht, pünktlich zu kommen. Das geht sicher wieder schief.“
Er hat sich schon bei der rue 66 angemeldet, einem Wohnprojekt für junge Leute. Dort kann man nicht nur leben, sondern bekommt auch Unterstützung von einem Sozialarbeiter. Aber die rue 66 hat nur 36 Plätze und eine Wartezeit von drei Monaten.
Florian lässt sich selten anmerken, dass ihm die Situation über den Kopf wächst. Humor ist seine Überlebensstrategie. „Brauchst du ’ne günstige Steuerklasse?“ Mittlerweile kann er schon gar nicht mehr sagen, wie oft er jungen Frauen diese Frage bereits gestellt hat. Wenn er dann den fragenden Blick bekommt, fügt er jedes Mal frech grinsend hinzu: „Dann heirate mich doch einfach.“ Eine Antwort erwartet er nicht.
Man spürt schnell, dass er nicht immer locker und lustig ist, dass auch Enttäuschung und Scham in ihm steckt. Sogar so viel Scham, dass er den Kontakt zu seinen jüngeren Geschwistern vor zwei Jahren abgebrochen hat. Denn er ist kein hipper junger Mann mit Studentenbude und lässigem Lebenstil. Er ist Hinz&Kunzt-Verkäufer. Und er ist wohnungslos. „Und das ist ja nicht gerade ein Vorbild, oder?“
Auch Florian selbst hätte bessere Vorbilder im Leben gebraucht. Das Verhältnis zu seinen Eltern war nie besonders gut. Aufgewachsen ist Florian mit seiner Stiefmutter und seinem Vater in Rahlstedt. Anfangs musste er sich ein Zimmer mit seinen drei Geschwistern teilen. Seine Eltern lebten von Sozialhilfe und waren die meiste Zeit zu Hause. „Gekümmert haben sie sich aber nie“, findet er. „Für meine Mutter waren Groschenromane wichtiger, für meinen Vater die Trinkerei und Talkshows.“ Mit 18, so erzählt Florian, „setzten mich meine Eltern vor die Tür“. Nur kurz klingt Florian verbittert, dann hat er das Thema abgehakt und möchte nicht mehr darüber reden. Schuld an seinem Schicksal gibt er sowieso niemand anderem als sich selbst. „Ich bin mein eigener Hirte.“
Nach seinem Hauptschulabschluss wollte er Koch werden, rasselte aber durch die Zwischenprüfung und wagte keinen zweiten Versuch. „Irgendwie konnte ich mich nicht konzentrieren, und ich hatte Angst noch mal durchzufallen.“ Stattdessen jobbte er, zuletzt als Schausteller. „Sozialschmarotzer war ich nie“, sagt er bestimmt. Nach einigen Monaten kündigte er, „weil mein Chef mich nicht bezahlte“. Die Konsequenz: „Drei Monate Geldsperre vom Arbeitsamt.“ In dieser Zeit lebte er allein vom Hinz&Kunzt-Verkauf. Rückhalt oder Motivation für eine neue Ausbildungssuche fand Florian nirgends. Keinerlei Beistand, der sicher wichtig gewesen wäre, auch wenn Florian auf seine Unabhängigkeit pocht. „Ich brauche keine Hilfe. Es steht doch alles in Büchern. Wenn ich was nicht weiß, kann ich ja nachlesen.“
Florian ist kein Einzelfall, wie Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer bestätigt. Er beobachtet den Trend, dass immer mehr junge Erwachsene zwischen 18 und 25 Jahren zu Hinz&Kunzt kommen, mit Sorge. „Früher fingen im Schnitt zehn von ihnen jedes Jahr bei uns an. Letztes Jahr waren es schon 50.“ Derzeit sind 260 „Kids“ in Notunterkünften untergebracht, gemeinsam mit den alteingesessenen Obdachlosen.
Als Ursache sieht Karrenbauer unter anderem die Hartz-IV-Regelung, nach der unter 25-Jährige keinen eigenen Wohnraum finanziert bekommen. „An sich ist es natürlich ein schöner Gedanke, dass die jungen Leute bis dahin bei ihren Eltern wohnen sollen“, so Karrenbauer. „Aber wenn es nun mal zu Hause nicht funktioniert?“
Genau wie bei Florian seien heute immer mehr Eltern froh, wenn ihr Kind spätestens mit 18 auszieht. Karrenbauer registriert immer häufiger „eine emotionale Trennung. Man kann sich von einem Ehepartner scheiden lassen – aber doch nicht von seinem Kind!“, sagt er.
Außerdem schaffen es viele junge Leute nicht, die Anforderungen von Hartz IV zu erfüllen: beispielsweise pünktlich zu Terminen zu erscheinen und Ein-Euro-Stellen durchzuhalten. „Da brauchen die Jugendlichen dringend Unterstützung.“
Wenn man ihnen einfach die Sozialleistungen streicht, landen sie auf der Straße oder eben in Notunterkünften – und diese, eigentlich ausgerichtet für 35 bis 50-Jährige, seien mit der neuen Klientel schlichtweg überfordert. „Um es mal salopp zu sagen“, so Karrenbauer, „früher reichte es, wenn wir als Freizeitaktion Skat-Turniere ausgerichtet haben. Heute bräuchten wir eine Playstation.“
Eine Unterkunft mit einem festen Ansprechpartner, das wäre für Karrenbauer beispielsweise ein sinnvolles Konzept für Jugendliche. In diesen Wohnungen sollten sie leben können, bis sie eine Ausbildung beendet haben – unabhängig von ihrem Alter. „Als Schulabbrecher und ohne Begleitung sind die meisten mit Behördengängen und Anträgen einfach noch überfordert. Auch wenn sie längst volljährig sind.“
Derartige Projekte gibt es zwar schon, allerdings hamburgweit mit nur rund 50 Plätzen und monatelangen Wartezeiten. „Hier besteht schnell Handlungsbedarf“, sagt Karrenbauer.
Wie wichtig Unterstützung für junge Menschen ist, zeigt auch das Beispiel von Hinz&Künztler Tobias, erst 19 Jahre alt. Seit vier Monaten teilt er sich mit einem Freund eine Wohnung in Billstedt. Mit Hilfe eines Betreuers vom Jugendamt bekam er vor drei Monaten eine Lehrstelle als Maler und Lackierer. Und verlor sie wieder. „Ich kam zu oft unpünktlich“, sagt er und verkriecht sich in seinen Kapuzenpulli. Aber sein Betreuer hat ihn nicht aufgegeben und ihm wieder eine Lehrstelle als Maler und Lackierer besorgt. Das ist der Beruf, den Tobias tatsächlich lernen will.
Auch er hat eine harte Kindheit hinter sich. Als er vier Jahre alt war, trennten sich seine Eltern, der Vater zog aus der Wohnung in Osdorf aus. Tobias‘ Mutter war arbeitslos und drogenabhängig – gerade acht Jahre alt war Tobias, „da hat sie mich einfach rausgeschmissen“. Wieso, kann er sich bis heute nicht erklären. Erziehung, Fürsorge, Geborgenheit – für Tobias, der anschließend in zwei Heimen des DRK in Lüchow-Dannenberg aufwuchs, alles Fremdwörter. Er begann zu trinken und zu kiffen, bald kamen härtere Drogen dazu. Zur Schule kam er oft zu spät oder er ging gar nicht erst hin; kurz vor seinem Hauptschulabschluss flog er. Mit kleinen Jobs „vom Holzhüttenbauen über Stallausmisten“ hielt er sich eine Zeit lang über Wasser.
Mit knapp 18 Jahren kam er zurück nach Hamburg. Arbeitslos. Wohnungslos. Ohne Perspektive. Vor C&A und Karstadt machte er Platte und schnorrte. Gleichzeitig nahm er aber auch Kontakt zum Jugendamt auf und ließ sich einen Betreuer zuweisen. Außerdem zeigte er eiserne Disziplin, um die Alkoholsucht zu besiegen: „Ich bin stattdessen Laufen gegangen und habe den Alkohol ausgeschwitzt.“
Es war dann ein Hinz&Kunzt-Verkäufer, der Tobias einmal beim Betteln ansprach und auf die Möglichkeit aufmerksam machte, ebenfalls Zeitungen zu verkaufen. Für Tobias eine gute Möglichkeit, um sich auf das „richtige“ Arbeitsleben vorzubereiten: Er leidet an Schlafstörungen und hat deswegen Probleme mit dem Pünktlichsein. „Da ist das Verkaufen bei Hinz&Kunzt zu festen Zeiten für mich wie ein Trainingscamp.“
Auch für Sandra ist Hinz&Kunzt eine wichtige Zwischenstation[/F] auf dem Weg zurück in ein geregeltes Leben. Die zurückhaltende 19-Jährige kommt aus Essen, wo sie zusammen mit ihrem sechs Jahre älteren Bruder bei ihrer Mutter, einer Lehrerin am Gymnasium, aufwuchs. Ihre Probleme hören sich vergleichsweise harmlos an: Schon als kleines Kind habe sie häufig mit ihrem Bruder gestritten. Richtig schlimm wurde es, als sie in die Pubertät kam. „Wir haben uns wegen jeder Kleinigkeit richtig gefetzt.“ Von ihrer Mutter fühlte Sandra sich dabei im Stich gelassen:
„Mein Bruder war ihr Lieblingskind, sie stand immer auf seiner Seite.“
Als Sandra 18 wurde und es wegen der Streitereien zu Hause kaum noch aushielt, beschloss die Mutter, dass einer von beiden gehen müsse, sagt Sandra. „Und da war ja klar, dass ich gehe.“
Auch sonst lief nichts rund in Sandras Leben: Kurz zuvor hatte sie eine sogenannte berufsvorbereitende Maßnahme vom Arbeitsamt beendet, nachdem sie eine Lehre zur Friseurin abgebrochen hatte. Dabei war dieser Beruf nach ihrem Hauptschulabschluss eigentlich ihr Traum gewesen. „Aber während der Ausbildung habe ich gemerkt, dass es mir überhaupt nicht liegt.“
Mittellos und ohne Aussicht auf einen Job, zog Sandra erst mal zu ihrem arbeitslosen Freund nach Duisburg. Als er die Wohnung nicht mehr halten konnte, machten sie gemeinsam Platte, schnorrten sich Geld fürs Überleben und landeten schließlich in Hamburg. Hier trennte sich Sandra von ihrem Freund, doch in der Stadt wollte sie bleiben. „Ich finde es so schön hier, viel schöner als in Essen.“ Dabei stand sie anfangs völlig allein da und hatte keine Ahnung, an wen sie sich wenden könnte. „Ich war nirgendwo gemeldet, ich hatte nicht mal eine Versicherung oder so was. Im Grunde war ich ja nichts.“
Doch genau wie Tobias hatte Sandra Glück, dass andere Obdachlose auf sie aufmerksam wurden und Hilfe anboten. So kam sie vor fünf Monaten auch zu Hinz&Kunzt.
Sozialarbeiterin Isabel Kohler begleitete sie zur Arge, half Anträge auszufüllen und unterstützte sie bei den Behördengängen. Mittlerweile ist Sandra sogar dabei, den Realschulabschluss nachzuholen. Anschließend möchte sie Kindergärtnerin werden. Und später eine eigene Familie haben. „Mit meinen Erfahrungen kann ich meinen Kindern viel erzählen und für sie da sein, damit sie es besser machen.“
Auf der Straße lebt sie nicht mehr. Über die Organisation Offroad-Kids kam Sandra vor zwei Monaten an einen Platz im Marianne-Döll-Haus. In dieser Übergangseinrichtung für wohnungslose Frauen kann sie sechs Monate lang bleiben, bevor sie sich etwas Eigenes suchen muss. Einmal die Woche ist Sprechstunde im Marianne-Döll-Haus. Eine Pflichtveranstaltung, zu der Sandra aber gerne geht. „Die wollen nur wissen, ob es einem gut geht. Es ist ein schönes Gefühl, wenn sich mal jemand um dich sorgt.“
Ihr größter Traum ist es, wieder regelmäßig Kontakt zu ihrer Mutter zu haben, ihr Verhältnis zu verbessern. Dafür hat Sandra jetzt nach über einem Jahr sogar einen Brief an sie geschrieben. „Nur um zu sagen, wo ich bin, und dass es mir gut geht.“
Nico, 20, hat ebenfalls keinen Kontakt mehr zu seiner Mutter. „Ich könnte auch sagen, ich hab keine Mutter mehr.“ Nico zuckt selbst kurz zusammen, als er diesen Satz sagt, aber er nimmt ihn nicht zurück. Als er drei war, zog die Mutter mit ihm weg vom gewalttätigen Stiefvater zu den Großeltern in die Nähe von Schwerin; seinen Vater hat Nico nie kennengelernt. „Erst wurde ich verprügelt, dann bei meinen Großeltern verhätschelt. Diese Extreme habe ich nicht klar bekommen.“
Vermeintlichen Rückhalt fand Nico bei Jugendlichen in seiner Siedlung, kam dort schon früh mit Drogen in Berührung. „Ich hab mit elf angefangen zu kiffen“, erinnert er sich. Als seine Mutter mit ihrem neuen Freund wegzog und seine Großmutter starb, blieb er bei dem Großvater. Immer öfter trieb er sich mit seinen „Kollegen“ auf der Straße rum, klaute, prügelte sich. „Das hat sich halt alles so aufgebaut.“ Bis er schließlich mit 15 von der Schule geschmissen wurde.
Erst daraufhin holte die Mutter ihn wieder zu sich. „Sie hat den Ernst der Lage einfach nicht erkannt.“ Ein halbes Jahr lang schien alles ganz gut zu laufen: Nico machte seinen Hauptschulabschluss und blieb clean. Dann rutschte er wieder in die Drogenszene ab. Gleichzeitig gab es zu Hause öfter Krach, Nico fühlte sich vom Freund seiner Mutter unterdrückt und als „Arbeitstier“ missbraucht, das ständig „Rasenmähen oder so was“ machen musste.
Als seine Mutter ihn einmal wegen Rauchens zu vierwöchigem Hausarrest verdonnerte, sprang er filmreif aus dem Fenster und haute ab – da war er gerade 16. In Schwerin kam er zunächst bei einem Freund unter, ging aber von sich aus bald zum Jugendamt. Er bekam dann auch einen Platz in einer Jugend-WG, begann sogar eine überbetriebliche Ausbildung als Tischler. Doch die Drogensucht war stärker, auch einen Anlauf an der Handelsschule sowie mehrere Entzugstherapien brach Nico erfolglos ab. Eine dieser Therapien fand in Hamburg statt, nach dem Abbruch blieb Nico in der Stadt. Um an Geld ranzukommen, klaute er, kam für anderthalb Monate in den Knast. Anschließend bekam er einen Platz in einem Heim in der Niendorfer Straße – eigentlich ein Heim für Asylbewerber, das aber zur Notunterkunft für Wohnungslose ausgeweitet wurde.
Zu Hinz&Kunzt kam er im vergangenen Oktober wegen der Zehn-Gratis-Zeitungen. „Eigentlich wollte ich gar nicht verkaufen. Aber dann habe ich gemerkt, wie gut es tut, sein Geld ehrlich zu verdienen und nicht mehr Angst haben zu müssen, in den Knast zu kommen.“ Auch in Zukunft möchte Nico am liebsten mit Geld zu tun haben, wenn auch auf ganz andere Weise: Sein Traum ist es, Realschulabschluss und Abitur nachzuholen und dann Bankkaufmann zu werden. Während seiner Zeit auf der Handelsschule haben ihm alle Fächer rund um Bilanzierung, Buchhaltung und Inventur „richtig Spaß gemacht. Da brauchte ich nicht mal lernen, ich hatte immer Einsen und Zweien.“
Sascha, 24, ist eher handwerklich orientiert. Mit seiner Totenkopfjacke und der tief ins Gesicht gezogenen Kapuze wirkt er auf den ersten Blick nicht gerade so, als würde er sich besonders für seine Umwelt interessieren. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn er beispielsweise am Jungfernstieg entlang geht, fallen ihm sofort die Statuen und kleine Figuren an den alten Häusern auf. „Die finde ich toll. So etwas muss erhalten bleiben.“ Darum will Sascha Steinmetz oder Tischler werden – auch wenn es noch ein langer Weg bis dahin ist.
Einen Schulabschluss hat Sascha nämlich nicht. Aufgewachsen ist er bei seinem Vater in Steilshoop. Eine Bekannte, die anfangs gelegentlich zu Besuch kam, wurde ihm als Tante vorgestellt. Erst mit 14 Jahren erfuhr Sascha, dass es seine Mutter war – in der Beziehung änderte das nichts. „Für mich blieb sie immer die Tante.“ Saschas Vater verdiente gut als Kaiarbeiter bei der HHLA, war aber mit der Erziehung anscheinend überfordert. „Er hat halt Geld auf den Tisch gelegt“, sagt Sascha. Außerdem habe der Vater oft auf ihn „eingeprügelt“. Noch heute siezt Sascha darum jeden Älteren reflexartig. „Wenn ich jemanden geduzt habe, gab’s gleich was auf den Hinterkopf.“ Mit Drogen versuchte Sascha, seine Probleme zu verdrängen. „Ich habe mich einfach zugekifft, danach ging’s mir besser.“ Als Sascha 14 war, „meldete mich mein Vater einfach von der Hauptschule ab und auf einer Förderschule an“. Sascha hat nur eine Erklärung dafür: „Weil das eine Ganztagsschule war. Mein Vater wollte nicht, dass ich nachmittags alleine zu Hause bin und Mist mache.“
Jetzt fing Sascha erst recht an zu rebellieren. Statt zur Schule zu gehen, ging er nach dem Frühstück zu einem Freund. Erst als die Zeugnisse kamen, merkte Saschas Vater, was los war. „Der hat natürlich getobt.“ Um von ihm wegzukommen, klaute der damals 16-jährige Sascha sein Auto und wurde ins Heim Feuerbergstraße gesteckt.
Rein ins Heim, raus aus dem Heim, zurück zum Vater, Drogensucht. Das volle Programm.
Seit zwei Jahren sei er clean, sagt er. Er habe einen Job bei einer Zeitarbeitsfirma. Gelegentlich telefoniert er mit seinem Vater. Obdachlos ist Sascha trotzdem geworden. Er konnte die Miete nicht mehr bezahlen, nachdem seine damalige Zeitarbeitsfirma im Dezember 2006 Insolvenz anmeldete. „Und dann habe ich eben Platte gemacht.“
Über die Arge bekam Sascha genau wie Nico einen Schlafplatz in der Niendorfer Straße. Fast genau ein Jahr wohnt Sascha mittlerweile in dem Heim, nimmt Dreck, Prügeleien und Lärm durch dünne Wände – „man hört sogar, wenn jemand Tee umrührt“ – gelassen hin.
Wie es weitergeht, wenn das Gebäude wie beschlossen im März abgerissen wird, weiß Sascha noch nicht. Er hofft, dass er vorher eine Wohnung findet. „Bitte wenigstens eine Sache, die klappt.“