Hristo Toshev bei Dersimspor :
Hinz&Künztler jetzt Torwarttrainer

Hinz&Künztler Hristo Toshev war früher Fußball-Torwartprofi. Heute trainiert der gebürtige Bulgare die Torhüter des Landesligisten Dersimspor Hamburg – und blüht auf dem Platz auf.

Er steht wieder auf dem Platz. So wie früher. Nur nicht mehr zwischen den Pfosten. Dafür ist Hristo Toshev mit seinen 55 Jahren dann doch etwas zu alt. Stattdessen sammelt der ehemalige Profitorhüter jetzt Fußbälle ein und feuert sie mit platzierten Schüssen auf das Tor. Aufwärmtraining für Fitra Rijono, der gleich das Tor von Dersimspor Hamburg hüten wird. Hristo Toshev ist sein Trainer. Deswegen bin ich heute zu Gast auf dem Sportplatz Baererstraße im Harburger Phoenix-Viertel. Nicht wegen der gleich beginnenden Landesliga-Partie, sondern wegen Hristo.

Ein kurzer Blick über den Platz genügt, um festzustellen: Hier fühlt sich der Bulgare sichtlich wohl. Das ist seine Welt. Wenige Worte reichen für seine Anweisungen, einige Übungen macht er vor. Hristo, der eigentlich nur radebrechend Deutsch spricht, blüht auf dem Rasen auf. Es ist nicht lange her, da sah Hristos Welt längst nicht so strahlend aus. In Bulgarien hatte sich der einstige Profitorhüter mit einem Bekleidungsgeschäft selbstständig gemacht. Dann kam 2008 die Wirtschaftskrise. Die Schulden wuchsen ihm über den Kopf. Hristo spricht nicht gerne darüber. Es war die Zeit, in der er alles verlor. Erst sein Geschäft, seine Arbeit, später dann auch seine Frau. Nicht nur die Ehe ging in die Brüche. Über Jahre hatte er überhaupt keinen Kontakt mehr zu seinem Sohn.

Nichts hielt ihn mehr in seiner Heimat. Nur: Wohin sollte er gehen? Hamburg hatte er in guter Erinnerung. Dort trat er 1989 während eines Trainingslagers gegen den großen Hamburger SV an. Zu der Zeit war Hristo auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Ein altes Foto von der Partie zeigt ihn, wie er neben den HSV-Spielern Uwe Bein und Richard Goltz im alten Stadion am Rothenbaum hockt.

Damals verbrachten Hristo und seine Teamkollegen die Nächte auf Einladung des Sponsors in noblen Hotelbetten. Als er nach fast einem Vierteljahrhundert nach Hamburg zurückkehrte, stand ihm niemand zur Seite. Hristo hatte weder Kontakte noch Arbeit – nicht einmal eine Krankenversicherung. Und vor allem: Er sprach kein Deutsch. Das letzte Geld war schnell verbraucht. Hristo landete Ende 2013 auf der Straße, er verbrachte den Winter in einer Notunterkunft. Tagsüber verkaufte er Hinz&Kunzt, am Wochenende sammelte er Flaschen, gerne vor den beiden großen Fußballarenen in Hamburg. Das war der Moment, an dem sich unsere Wege kreuzten. Hristo war zusammen mit anderen Bulgaren auf dem Weg in den Volkspark. „Ihr geht Fußball gucken?“, fragte ich naiv. Die Gruppe fing lauthals an zu lachen. „Nein, nein, sammeln Pfand“, erklärte einer der Bulgaren in gebrochenem Deutsch. Dann zeigte er auf Hristo: „But he was a famous goalkeeper in Bulgaria.“

Hinz&Kunzt-Verkäufer war früher Fußball-Profi

Ich war überrascht. Hristo ein ehemaliger, gar berühmter Torhüter? Der Hinz&Kunzt-Verkäufer, der Zähne verloren hatte und nur noch Altkleider trug? Zugleich wirkte er mit seinen 1,90 Metern tatsächlich ziemlich imposant und sportlich. Konnte die Geschichte stimmen? Meine Neugierde war geweckt. Im Internet suchte ich nach Hinweisen. Tatsächlich, Hristo Toshev hatte in den 1980ern und 1990ern das Tor einiger bulgarischer Erst- und Zweitligisten gehütet. Sogar im Ausland hatte er sein Geld verdient: In der südkoreanischen K-League. Und nicht nur das. Auch sein Sohn war jahrelang Profitorhüter in der Hauptstadt Sofia.

Wir berichteten über sein Leben, über den Weg „vom Stadion auf die Straße“. Hier in Hamburg war Hristo bis dato ein Unbekannter. In Bulgarien hingegen erschienen gehässige Berichte über den Absturz des Ex-Profis. Ein weiterer Rückschlag für Hristo. Doch dann wendete sich das Blatt. Denn zum Glück gibt es Menschen wie Cengiz Sevinc, Zahnarzt und Vereinsboss des kurdischen Fußballvereins Dersimspor in Harburg. Dank ihm hat Hristo ein eigenes Zuhause und im Verein durch seine Tätigkeit als Torwarttrainer wieder Halt gefunden.

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Im Kreis seiner neuen Kollegen fühlt sich Hinz&Kunzt-Verkäufer Hristo Toshev sichtlich wohl.

Sevinc macht um seine Unterstützung kein Aufheben. „Für uns Kurden aus der Region Dersim gehören Leid und Vertreibung zur Geschichte, und wir helfen deswegen gerne“, sagt der 43-Jährige. Er verfolgt die Partie vom Grill aus, wendet die Köfte und versorgt die Besucher mit Essen und Getränken. Es sei gut, dass der Verein jetzt einen Torwarttrainer habe. Dass er Hristo half, damit der sich seine Zähne machen lassen konnte – und zwar kostenlos – , erzählt er fast nebenbei. So, als sei es das Normalste auf der Welt.

Tatsächlich war die Hilfe, die Hristo bei Dersimspor erfahren hat, eine Art Sechser im Lotto. Hristo weiß das zu schätzen. Wenn man ihn jetzt auf der Straße trifft, zeigt er sein strahlendstes Lächeln. Voller Lob spricht er über Sevinc und Vereinsmanager Yücel Al. Drei Mal die Woche trainiert der ehemalige Obdachlose inzwischen ehrenamtlich die Torhüter des Vereins. In der restlichen Zeit verkauft er weiterhin Hinz&Kunzt, denn einen richtigen Job hat er auch nach drei Jahren in Hamburg nicht gefunden. Am Wochenende, wenn Dersimspor um Punkte kämpft, fiebert er neben der Auswechselbank mit. Heute vielleicht noch ein bisschen mehr als sonst. Denn seit Spitzenreiter Poppenbüttel überraschend Punkte liegen ließ, ist sogar ein Aufstieg in die Oberliga in greifbarer Nähe.

Er schwärmt von seiner Arbeit als Torwarttrainer

Der Schiedsrichter pfeift die Partie an. Die Gastgeber drängen auf die Führung. Trotzdem dauert es bis zur Schlusssekunde, in der Dersimspor der entscheidende Treffer gelingt. Der Jubel unter den knapp 200 Zuschauern ist groß. Spieler, Trainer und Hristo liegen sich in den Armen. „Nur ein Punkt Rückstand“, ruft der Bulgare und reckt stolz die Faust in den Himmel. Sevinc muss ein bisschen schmunzeln. „Schön, dass wir gewonnen haben“, stimmt ihm der Vereinsboss zu, um dann allerdings hinterherzuschieben: „Der Aufstieg käme dieses Jahr aber noch zu früh.“

Drei Wochen und zwei Niederlagen später ist der Aufstiegszug endgültig abgefahren. Hristo ist das egal. Er schwärmt von seiner Arbeit als Torwarttrainer und erzählt stolz, dass sein Torhüter Rijono inzwischen bester Torhüter der Liga sei. „Ein bisschen klein, aber sehr schnell“, erklärt er mit einem Grinsen.

Auch außerhalb seiner Fußballwelt hat sich vieles verbessert. Hristo hat wieder Kontakt zu seiner Frau und seinem Sohn. Auch der hat seine Sportkarriere inzwischen an den Nagel gehängt. Stattdessen tingelt er durch Promishows. Wohl auch deswegen hatten bulgarische Medien über seinen Vater, den Clochard auf Hamburgs Straßen, vor zwei Jahren berichtet. Ende Dezember besuchte Sohn Slavcho seinen Vater. Stolz führte ihn Hristo durch die Hinz&Kunzt-Redaktion. Slavcho revanchierte sich. Auf seinem Facebook-Profil postete er kürzlich ein neues Foto: Es zeigt ihn Arm in Arm mit seinem Vater. Aufgenommen bei der ATP-Tennis-Tour in Sofia, zu der er Hristo eingeladen hatte.

Text: Jonas Füllner
Fotos: Mauricio Bustamante

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