Bestseller-Autor Dietmar Bittrich liest im Thalia-Nachtasyl zugunsten von Hinz&Kunzt
(aus Hinz&Kunzt 179/Januar 2008)
Eigentlich wollte er einmal ernste Bücher über die großen Fragen des Lebens schreiben. Skurrile und humorvolle Bücher über das Wahrsagen mit Gummibärchen oder Gutmenschen liegen dem Hamburger Autor Dietmar Bittrich aber weitaus besser. Aus seinen fixen Ideen werden Bestseller.
Die Büchertische sind brechend voll. „Tu, was du willst“ heißen die neusten Bücher in der Esoterik-Abteilung, „Wer war ich im Vorleben?“ oder „Mit Delfinen schwimmen“. Die Mengen an Esoterik-Literatur ist kaum noch zu überblicken. Irgendwo dazwischen liegt ein kleines Taschenbuch, das erst auf den zweiten Blick auffällt: „Das Gummibärchen-Orakel“. Die kleinen, bunten Fruchtgummibärchen sind darauf abgebildet, und das Versprechen: „Sie ziehen fünf Bärchen aus der Tüte, und wissen alles über Ihre Zukunft.“ Autor Dietmar Bittrich (49) findet, sein Buch gehöre eigentlich nicht in die Esoterik-Abteilung. „Ich hätte es lieber, wenn es direkt an der Kasse läge“, schmunzelt er, „zumal es ja eigentlich nicht als Beraterbuch, sondern als Scherz gemeint ist.“
Die ganze Esoterik-Schiene mit einem Gummibärchen-Orakel zu parodieren, ist offenbar typisch Bittrich. Er schreibt ungewöhnliche Bücher, und er ist ein ungewöhnlich sympatischer Mensch. Seine hellen Augen fixieren das Gegenüber genau, er hört zu und redet ruhig und angenehm. Mehr als 25 Bücher hat er bisher veröffentlicht, die meisten von ihnen mit satirischem und vergnüglichem Inhalt. „Eigentlich wollte ich immer ernste Bücher über die ganz großen Probleme der Menschheit schreiben“, sagt er, „aber jetzt knüpfe ich so viele nette Kontakte und bekomme so tolle Reaktionen, dass mir die heitere Seite der Literatur viel mehr Spaß macht.“
Sein größter Erfolg war bisher das „Gummibärchen-Orakel“. Gummibärchen hat Bittrich schon als Kind geliebt, besonders die gelben und orangenen. Zu der folgenreichen Verbindung der kleinen Bärchen mit den großen Fragen des Lebens kam es aber eher per Zufall. „Ich glaube sowieso nicht, dass gute Ideen dem Genie eines Autors entspringen“, sagt Bittrich dazu, „die nehmen einfach das auf, was schon in der Luft liegt.“ Im Frühjahr 1996 saß er im Elbe-Kino in Osdorf und aß Gummibärchen, als plötzlich der Film riss und das Licht anging. „Sie müssen aber unheimlich Glück in der Liebe haben“, sagte eine Frau hinter ihm, „Sie haben ja nur rote Bärchen gezogen!“ Und tatsächlich hatte Bittrich im Dunkeln nur rote Bärchen aus der Tüte gezogen. „Ich hatte gerade gar kein Glück in der Liebe, bin aber mit der netten Frau noch was trinken gegangen“, sagt Bittrich und lacht. „Jetzt bin ich mit ihr seit zehn Jahren verheiratet!“ Für sein Gummibärchen-Orakel orientierte sich Bittrich an den Bedeutungen, die den fünf Bärchen-Farben Rot, Gelb, Weiß, Grün und Orange klassischerweise zugeschrieben werden. So steht Rot für Liebe, Aktivität und Leidenschaft, aber auch für Ungeduld und Aggressivität. Und daher kommt es bei der Deutung auch noch darauf an, ob eine gerade Anzahl oder eine ungerade Anzahl von Bärchen einer Farbe gezogen werden. „Gerade Zahlen stehen für Stillstand und bedeuten daher die ungünstigen Seiten der Farbe, ungerade Zahlen symbolisieren Bewegung und die guten Seiten der Farbe“, erklärt Bittrich diese alte Orakeltradition. Als Party-Spaß, Geschenk und Spiel ist das Gummibärchen-Orakel gedacht, aber einige Fans nehmen es auch viel ernster: „Einmal rief mich ein Mann an, der mit den Bärchen und meinem Buch seine Aktienkäufe entschieden hatte“, lacht Bittrich, „aber das ist natürlich Unfug. Das Buch ist dafür da, sich selbst kennenzulernen und mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen.“
Welche Begegnungen zu Bittrichs neuestem Buch geführt haben, ist nicht schwer zu erraten. Es heißt „Achtung, Gutmenschen!“. Mit schwarzem Humor nimmt Bittrich all die Zeitgenossen aufs Korn, die fast jeder kennt: Sie kochen für den Frieden, bauen Krötentunnel und kämpfen gegen Rassismus, indem sie „Schokokuss“ sagen. Sie regen sich über George W. Bush auf und fühlen sich hinterher wunderbar überlegen. Sie lieben Bono, den Dalai Lama und Bob Geldof, denn sie sind die Guten. In drei Abschnitten – über die „Umwelt-Gutmenschen“, die „Friedens-Gutmenschen“ und die „Unschulds-Gutmenschen“ stellt Bittrich all das zusammen, was Gutmenschen denken und sagen, um dann mit bösen Sprüchen aufzuwarten, mit denen man Gutmenschen antworten kann.
Er hat auch gar nichts gegen ihr Streben: „Ist das verwerflich? Nein, das ist normal“, stellt er ganz am Anfang des Buches fest. Gut sein wollen alle, aber das Böse gehöre halt zum Guten immer dazu. „Ja, auch ich, der Autor, möchte ab und zu mal als guter Mensch gelten. Sie etwa nicht? Na, kommen Sie“, schreibt Bittrich. Dann erzählt er kleine Geschichten, die aufzeigen, dass „für das Gute sein“ manchmal gar nicht so einfach ist. Er listet Zitate von Brecht bis Mandela auf, mit denen man Gutmenschen zum Nachdenken und zum Hinterfragen von platten Parolen bringen kann. „Achtung. Gutmenschen!“ ist ein augenzwinkerndes, manchmal böses und witziges Buch. Eben typisch Bittrich.