Wegen einer Hirnhautentzündung lernte Hinz&Künztler Jens erst mit acht Jahren sprechen. Später landete er im Heim, heute lebt er in Hamburg auf der Straße. Er hofft nach einem Winter auf der Straße, dass er bald eine Wohnung findet.
Bei unserem Großreinemachtag vor einigen Wochen war Jens einer der Fleißigsten. „War anstrengend, aber gut“, sagt der Hinz&Künztler. „Ich helfe gerne. Habe ich auch früher schon bei Behinderten gemacht.“ Damals, mit Anfang 20, wurde Jens auch als behindert eingestuft. Er war zwar fit und konnte anpacken. Aber er hatte Sprachprobleme und war geistig spätentwickelt.
Wie es dazu kam? „Ich habe erst mit acht Jahren sprechen gelernt“, erzählt der heute 39-Jährige. Als Baby erkrankte er an einer Hirnhautentzündung. Entwicklungsstörungen und ein Hörschaden waren die Folgen. „Ich habe immer von den Lippen abgelesen“, sagt Jens, und es klingt fast wie eine Entschuldigung. Dass er als Vierjähriger noch immer kein Wort sprach, war den Eltern „offenbar egal“. Erst als ihn seine Mutter eines Tages erfolglos auf dem Spielplatz zu sich rief, ging ihr auf, dass ihr Sohn taub war, erzählt Jens.
Es folgte ein jahrelanger Behandlungsmarathon. Mit Erfolg. Jens war acht Jahre alt, als er endlich wieder hören konnte und zu sprechen begann. Zwei Jahre später landete Jens im Heim. „Mein Bruder und ich haben es zu Hause nicht mehr ausgehalten“, erinnert er sich. Der Vater war Alkoholiker. „Er hat uns immer geschlagen, wenn er getrunken hatte.“ Er hat seinem Vater nicht hinterhergetrauert, als der bald darauf verstarb, denn es bedeutete, zur Mutter zurückkehren zu können. Anfangs war alles gut. Jens besuchte nun in Bremerhaven die Sonderschule. Machte seinen Abschluss. „Aber dann ging’s richtig tief in die Scheiße rein“, erinnert er sich.
Seine Mutter habe auf seinen Namen Schulden gemacht, sagt Jens und schildert seine Sichtweise: Statt sich um ihren Sohn zu kümmern, habe sie im Internet Flachbildschirme und Mobiltelefone bestellt. „Am Ende hatte ich mehr als 50.000 Euro Miese“, sagt er.
Warum er sich nie zur Wehr setzte? Jens hat darauf keine Antwort. Er hätte vor Gericht ziehen können. Aber dafür ist er nicht der Typ. Als er mit 19 Jahren den Kontakt zur Mutter abbrach und sich eine eigene Wohnung suchte, war es wohl eher eine Flucht. Nun arbeitete er in einer Behindertenwerkstatt. Wenn er abends ausging, dann immer zusammen mit den behinderten Kollegen. Er habe das gerne gemacht, sagt Jens rückblickend. „Sonst sind sie nur zu Hause am Rumsitzen. Und das ist Blödsinn.“
Bei der Arbeit sei er immer mehr unterfordert gewesen. Er holte seinen Hauptschulabschluss nach und begann eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann. Doch sein Arbeitgeber ging pleite. Eine Zeitlang hielt er sich als Zeitungsausträger über Wasser. Dann verlor er erstmalig seine Wohnung. Sechs Jahre ist das jetzt her.
Jens kehrte Bremerhaven den Rücken und fuhr nach Hamburg. Er schlief auf der Straße und verkaufte Hinz&Kunzt. Bis er in Bremerhaven Arbeit fand – und sich verliebte. Zwei Kinder stammen aus der Beziehung. Im letzten Jahr folgte die Hochzeit. Aber nur vier Wochen später war Schluss. Und Jens stand erneut auf der Straße.
„Ich bin dann zurück nach Hamburg“, auch wegen Hinz&Kunzt. „Wir sind gerade dabei, dass ich wieder Geld vom Amt bekomme“, erzählt er. Anschließend will er endlich in Privatinsolvenz gehen. „Den Winter habe ich jetzt komplett draußen verbracht“, sagt Jens. „Ich trinke ja nicht und mache auch sonst keine Probleme. Deswegen hoffe ich, dass ich schnell eine Wohnung finde, wenn ich erst mal die Finanzprobleme los bin.“
Wohin würdest du gerne einmal verreisen?
Jens: „Ich will mal nach Berlin. Da war ich noch nie. Aber jetzt gibt es ja den Flixbus. 9 Euro hin und zurück. Ich glaube, das mache ich mal.“
Text: Jonas Füllner
Foto: Mauricio Bustamante