Panikattacken zwangen den Sänger Nicholas Müller, seine Musikerkarriere bei der Band Jupiter Jones zu beenden. Nach einer Psychotherapie steht er mit „von Brücken“ wieder auf der Bühne – und singt über seine Erfahrungen mit der Angst.
Hunderte Konzerte hat Nicholas Müller schon gespielt – und trotzdem hat der Sänger Lampenfieber, als er im Februar mit seiner neuen Band „von Brücken“ die Bühne des Hamburger Mojo Clubs betritt. Was er aber nicht mehr hat, ist Angst. Die gibt es an diesem Abend nur in seinen Liedern. „Lady Angst bittet zum Tanz“, singt Müller. „Und sie fährt mir in alle Glieder. Und sie singt mir die alten Lieder.“
Es ist einer von vielen seiner Texte, die sich mit dem Thema Angst beschäftigen. „Ich schreibe nur über Sachen, mit denen ich mich auskenne, das bin im Regelfall ich“, sagt der Sänger im Gespräch mit Hinz&Kunzt. „Und mit der Angst kenne ich mich leider mittlerweile sehr gut aus.“ Zu gut, muss man sagen, denn seine Angsterkrankung mit ihren massiven Panikattacken hätte fast seine Karriere, wenn nicht sogar sein Leben zerstört.
Phobien sind das Eine. Nicholas Müller hat sogar Angst vor Fröschen. Eine generalisierte Angststörung ist das Andere, Dramatischere. „Ich beschreibe es gerne als den bohrenden Blick im Hinterkopf“, erklärt Müller das diffuse Gefühl, das ihn über Jahre begleitete. „Die Angst ist immer da.“ Und wenn sie überhandnimmt, dann kommen die Panikattacken.
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Schweißausbrüche, Herzrasen, Hitzewallungen, Schmerzen bis hin zu Krämpfen, eine ganz irrationale Angst vor dem Tod – die Liste der Symptome, die Nicholas Müller aufzählt, ist lang. „Da geht’s für ’ne halbe bis Dreiviertelstunde richtig ab“, sagt er, heute fast abgeklärt. „Dein Körper gibt dir vor, dass du in Lebensgefahr bist.“
Die erste Attacke erlebt er bei der Beerdigung seiner Mutter. Die Krankheit wird daraufhin immer schlimmer: Müller zieht sogar mit Mitte 20 wieder bei seinem Vater ein, er kann nicht allein sein. Mit seiner damaligen Band geht es gleichzeitig weiter bergauf: Für den Song „Still“ gewinnen Jupiter Jones nach Jahren in kleinen Clubs 2011 sogar einen Echo. Vor Publikum hat der Sänger immer funktioniert: Als seine „Komfortzone“ beschreibt er die Bühne. „Musik war mir wichtig genug, um mich darin wirklich wohlzufühlen.“
Als er auch diese letzte Festung an die Angst verliert, sogar einen Auftritt abbrechen muss, steigt er aus der Band aus. „Ich kann nicht mehr“, schreibt er im Mai 2014 in einem Brief an seine Fans. Er geht in eine Klinik, macht eine Therapie. Doch von der Musik kann er nicht lassen. Nach wenigen Monaten plant er mit seinem Freund Tobias Schmitz einen Konzertbesuch. „Dazu ist es aber nicht gekommen, weil wir dann zusammen Musik gemacht haben“, erinnert der sich. Gleich am ersten Tag nehmen sie einen Song auf. Der Anfang von „von Brücken“.
Als im Herbst 2015 das Debütalbum „Weit weg von fertig“ erscheint, wollen die Medien von Nicholas Müller seine Geschichte mit der Angst hören. Er erzählt sie mit beeindruckender Offenheit einem Millionenpublikum bei Stern TV. Im Spiegel kann man lesen, wie seine Frau es aushalten musste, wenn er krampfend auf dem Boden lag, manchmal mehrmals täglich.
Das eigene Leben immer wieder aufzurollen sei nicht angenehm gewesen: „Dass ich keine Scham empfinde, heißt nicht, dass das nicht unfassbar anstrengend ist“, räumt er ein. „Aber es ist die Sache wert.“ Denn über Angst, glaubt er, werde viel zu wenig gesprochen. Ein Tabu sei das. Die vielen Betroffenen würden darunter leiden. „Wenn mir zugehört wird, wofür ich sehr dankbar bin, dann mache ich auch den Mund auf und spreche darüber.“
Hat der Musiker die Angst heute besiegt? „Darum geht es gar nicht“, sagt er. „Es ist wichtig, in den richtigen Momenten Angst zu haben.“ Besiegt habe er das Irrationale, das ihn krank gemacht hat. Nur noch sehr selten habe er Panikattacken und er könne damit dank seiner Therapie nun besser umgehen. „Freunde, lasst euch helfen, wenn ihr Hilfe braucht“, hat er mal an seine Fans geschrieben. Wohl eine seiner wichtigsten Botschaften.
Für sich hat er einen Haken hinter die Angst gemacht, so gut es eben geht: „Ich sing nie mehr die alten Lieder“ ist die vorletzte Zeile seiner Abrechnung in „Lady Angst“. Mit geradem Rücken und nur so strotzend vor Spielfreude trägt er es zusammen mit seinen sieben Mitmusikern – Bläsern, Streichern und Gitarristen – einem begeisterten Hamburger Publikum vor. „von Brücken“, sagt er, „ist das Happy End dieser Geschichte.“
Nicholas Müller im NDR-Fernsehen: Am 7. März war der Sänger in der Sendung DAS! zu Gast. Das Gespräch kann man in der NDR-Mediathek ansehen.
Text: Benjamin Laufer