Der 30-Tonner-Diesel

Hoch gestiegen, tief gefallen: Wie Sänger Gunter Gabriel mit einer „Wohnzimmer“-Tour seine Schulden abarbeitet

(aus Hinz&Kunzt 178/Dezember 2007)

Eine Stimme wie die Landstraße. Keine deutsche B-Irgendwas, sondern eine Landstraße, auf der sich Staub in Schlaglöchern sammelt. Und auf heißem Teer kleben bleibt. Tiefer Zug aus der Malboro, dann schaufelt Gunter Gabriel Kaffeepulver mit einem Esslöffel in eine Kanne.

„Manchmal ruft mich einer von den Jungs aus dem Lkw an und sagt: ‚Gabriel, ich habe heute Nacht wieder so geweint wegen einem deiner Songs.‘“

Etwa 60 Trucker-Hymnen hat er geschrieben. Für die einsamen Nächte am Straßenrand.

Gabriel fegt mit der Hand etwas Kaffeepulver vom Couchtisch, wischt die Hände an seiner Cordhose ab. Dann lehnt er sich zurück, schaut aus den großen Fenstern aufs Wasser.

Seit 2002 lebt der 65-Jährige auf einem Hausboot im Harburger Hafen. Zwischen Musikpreisen und meterweise CDs. An der Wand Wappen der KFOR-Truppe im Kosovo, für die er gesungen hat („Es steht ein Haus im Kosovo“). Im Badezimmer hat er einen Whirlpool – ein Geschenk von einem Fan. „Der ist aber zu eng. Scheiße, dass ich mich von meiner alten Wanne getrennt habe.“ In die konnte er auch mal gemeinsam mit einer Frau. Die Freude ist ihm nun genommen.

Der Mann füllt jeden Raum aus. Immer. Überall. Nicht mit feingeistigem Charisma. Sondern als hätte er einen 30-Tonner-Diesel unterm Hintern, wie er ihn einst besungen hat.

„Habt ihr die Plakate von Howard Carpendale gesehen?“, fragt Gunter Gabriel. Greift hinter sich, das Arbeitszimmer ist in Sofa-Reichweite. Wo seine Zettelkästen stehen mit den unveröffentlichten Songs, die Altersvorsorge. Gunter Gabriel fischt eine Pressemappe hervor. Vorne drauf: Howie. Mit Flaum am Kinn. „Drei-Tage-Bart! Wie sieht denn das beschissen aus! Das macht den auch nicht männlich.“

Gunter Gabriel, der Anti-Howie. Der „deutsche Johnny Cash“ – so nennt ihn sein Management. Weil er mit dem Country-Großmeister befreundet war. „Mein erster großer Erfolg war ja eigentlich von Johnny Cash geklaut.“ Cashs Song „Wanted Man“ – Gabriel machte daraus „Ich werd gesucht in Bremerhaven.“ Damals, als er mit deutscher Countrymusik Hits landete, ermöglichte ihm seine Plattenfirma einen Besuch beim amerikanischen Country-Gott. Die beiden hielten Kontakt.

Dem letzten Besuch vor Cashs Tod – als sich Gabriel die Erlaubnis holt, Cashs größte Hits neu aufzunehmen – widmet er eine lange Passage auf seiner CD.

„Wie ich jetzt lebe, ist geil!“, sagt Gabriel. „Ich habe nichts, keine Rücklagen.“ Frei nach Kris Kristoffersen: „Freedom’s just another word for nothin’ left to lose.“ Dabei verdient er nach eigener Aussage nicht schlecht im Moment. „Damit zahle ich meine Schulden und meine Steuern.“ Heute Abend fährt er noch nach Hannover. Muss sich nur noch überlegen, wie. Sein Mercedes-Sprinter ist in der Werkstatt. „Hat jetzt 800.000 Kilometer runter.“ Seit fast einem Jahr befindet sich Gabriel auf einer langen, langen Tour: der Wohnzimmertour.

Die begann bei einer Talkshow im NDR. Gabriel wurde mal wieder mit seinem Schuldenberg konfrontiert: eine halbe Million Miese. „Ich dachte: Denen zeige ich’s jetzt. Hab einen Zettel mit meiner Telefonnummer in die Kamera gehalten.“ Das Angebot: Für 1000 Euro kommt er zu jedem nach Hause ins Wohnzimmer. Für ein Konzert. „Mein Manager wäre fast durchgedreht.“ Tausende riefen an.

Seither fährt Gabriel durch die Republik. „Ich weiß nie, ob ich vor Maurern, vor Ärzten oder vor Huren spiele – alles schon vorgekommen.“ In Dortmund will ein Sohn seine Mutter überraschen. Er heißt Gunter – seine Mutter hat ihn nach dem Sänger benannt. „Da weißt du schon, was da oben los ist“, raunt ihm der Sohn im Hausflur zu. Fahrstuhl direkt ins Penthouse. Der Sohn stellt das Handy auf Notruf. „Und tatsächlich, kaum hat die mich gesehen, lag sie auch schon flach“, sagt Gabriel.

Oder bei einem „richtig geilen Bauern“: „500 Schweine, Rolex, Seidenanzug.“ Und Gabriel-Fan seit seiner Kindheit: Wenn er bei seinem Vater auf dem Traktor saß, lief immer Gabriel, Cash, Gabriel, Cash. 180 dieser Auftritte hat Gunter Gabriel in diesem Jahr gemacht, sagt er selbst. „Ich schätze: Anfang nächsten Jahres bin ich schuldenfrei.“

Vor ein paar Jahren hätte das niemand für möglich gehalten. Gabriel war mit vielen Millionen im Minus, lebte in einem Tabbert-Wohnwagen. Windige Immobilien-Investitionen hatten den Sänger ruiniert. „Zwischendurch schlief ich in einem Reifenlager in Hannover, habe mich vor den Gläubigern versteckt.“ Zehn Jahre lang ganz unten. „Nur gesoffen. Die Leute sind über mich weggestiegen, wenn ich auf der Straße lag. ‚Guck mal der Gabriel, wie fertig der ist.‘“

Viel Häme in den Medien. Wie sie wohl nur zu spüren bekommt, wer von unten kommt. Es nach oben schafft. Und dann noch tiefer fällt.

Gunter Gabriel kommt als Günther Caspelherr in Westfalen zur Welt. Die Mutter stirbt früh, nach einer Abtreibung. Der Vater ist ein einfacher Mann, Schrankenwärter. Dass sein Sohn Musik machen will, noch dazu Rock ’n’ Roll, passt ihm gar nicht. „Jeans musste ich mir vor dem Haus anziehen. Sonst gab’s eins auf die Schnauze. Weil das Negerhosen waren.“

Gunter Gabriel lernt gegen den eigenen Willen Schlosser: „Dafür kann ich jetzt für eine Alte den Auspuff schweißen. Das sollte jeder Kerl können.“ In den Mittagspausen damals spielte er Gitarre. Abends machte er sein Abitur nach. „Ich dachte, mein Vater liebt mich dann. Hat er aber nicht.“

Gabriel beginnt ein Ingenieurstudium.

Kurz vor dem Examen lernt er eine Frau kennen, die mit einem Künstler verheiratet ist. Er beginnt eine Affäre mit ihr. Und schreibt Songs. Beispielsweise für Rex Gildo. „Nimm meine Hand“. War kein Hit. „Damals habe ich ihn gar nicht zu Gesicht bekommen, den großen Rex Gildo.“ Erst viel später, kurz vor seinem Tod, gehen sie gemeinsam auf Tour. „Nachts haben wir in Hotelhallen gesessen und uns von unseren Problemem vorgeweint.“

Gabriel ist dick im Geschäft. Neben seinen eigenen Platten schreibt er Hits für andere. Juliane Werding („Wenn du denkst du denkst dann denkst du nur du denkst“), Frank Zander („Ich trink auf dein Wohl, Marie“), Wencke Myhre („Das wär John nie passiert“). Das viele Geld wird zum Problem: „Ich war ein armer Student mit 500 Mark im Monat. Und plötzlich kommen da 20.000 Eier. Verdammt, da ging mir richtig die Muffe. Ich wusste nicht, wohin damit.“

Gabriel kauft sich erst mal einen Jaguar. Bringt gesammelte Gagen in einer Plastiktüte mit. Kleine Scheine. Bei 20.000 Mark hört der Verkäufer auf zu zählen. „Nimm ihn erst mal mit, ich zähl morgen weiter.“

Der Höhenflug geht in den Achtzigern brutal zu Ende. Sein Plattenvertrag läuft aus, Erfolge werden seltener.

Gunter Gabriel und die Frauen: Auch da wandelt der 30-Tonner-Diesel immer am Abgrund. Viermal ist er verheiratet. Vor der ersten Scheidung nimmt er gemeinsam mit seiner achtjährigen Tochter den Song „Hey Yvonne“ auf, um seine Frau zurückzugewinnen.

Ein sentimentaler Dialog über seine Frau – händchenhaltend mit seiner Tochter im Fernsehen präsentiert. Wird ein Hit. Seine Frau kommt aber nur für ein paar Wochen zurück.

Anfang der Neunziger, als er richtig unten ist und schwer säuft, verliert er die Kontrolle über sich. Verfolgt seine vierte Frau mit einem Messer. Die Polizei nimmt ihn fest. „Natürlich bin ich nicht auf alles stolz, was ich in der Zeit gemacht habe“, sagt Gabriel.

„Irgendwann kamen mit der Sauferei die Depressionen. Ich saß nachts am Steuer, und mir liefen die Spinnen übers Gesicht.“ Da wusste er: Es muss anders werden. „Durch die ganzen Krisen bin ich immer wieder mit dem Arsch auf den Pott gekommen.“ Ohne zu jammern: „Das finde ich männlich. Da bin ich Cowboy.“

Heute also Hannover. Wieder einen Tausender vom Schuldenberg abtragen. Vorher noch einen Happen in der Kutscherklause, Gabriels Stammimbiss. Gabriel hievt sich auf einen Hocker an der Theke. Schwer liegt der Geruch von Fett und Zigarrenqualm in der Luft. Dafür Steaks mit vollem Materialeinsatz. Das beste, was in der Gegend zu kriegen ist.

An der Wand hängt ein vergrößertes Foto, Gabriel mit dem Wirt, der hinter dem Tresen steht.

„Von den Tellern schmeckt’s nicht! Kauf dir mal weiße“, grummelt Gabriel. Akzeptiert dann aber doch Teller mit dem verschnörkelten Muster. Dann muss er los. Geld verdienen.

Marc-André Rüssau

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