Beinahe hätte das selbstverwaltete Obdachlosenprojekt schließen müssen. Jetzt zieht es in die Notunterkunft Pik As
(aus Hinz&Kunzt 177/November 2007)
Jeden Abend wird Missions-Chef Andrew Saathoff wieder obdachlos. Dann schließt der 50-Jährige die Tür des Aufenthaltsraums in der Kaiser-Wilhelm-Straße. Und muss sich einen trockenen Platz irgendwo in der Stadt zum Schlafen suchen.
Die Mission ist Hamburgs einzige selbstverwaltete Tagesaufenthaltsstätte. Alle Mitarbeiter des Vereins haben keine Wohnung. Buchhaltung, Spendenverwaltung, Fördermittel bei den Behörden beantragen – alles leisten Menschen, die am Rand der Gesellschaft stehen. Täglich kommen bis zu 100 Besucher hierher. Große Schaufenster erlauben den Blick auf das kreative Chaos in der Mission. Es stapeln sich Kartons – nicht wegen des bevorstehenden Umzugs, sondern weil hier ein regelmäßiger Flohmarkt veranstaltet wird. In den Bücherregalen sind Romane aufgereiht, zwei Besucher haben es sich auf Sofas bequem gemacht. Eine Tafel verrät das Fernsehprogramm für den Abend. „Die Nachrichten sind vielen hier heilig – da herrscht dann absolute Ruhe“, sagt Besucher Peter Plagemann. „Wo kannst du dich als Obdachloser sonst schon informieren?“
Auch sonst ist das Missions-Angebot einmalig: „Wir sind die einzige Aufenthaltsstätte, die bis 22 Uhr geöffnet hat“, erklärt Saathoff. Für viele Besucher die letzte Chance, sich vor der Nacht aufzuwärmen.
Beinahe wäre es damit vorbei gewesen: Im Dezember läuft der Mietvertrag aus. Lange Zeit schien es, als müsste die Mission endgültig schließen. Jetzt sprang die Stadt ein, organisierte neue Räume – ausgerechnet in der städtischen Notunterkunft Pik As. Die war lange Zeit berüchtigt. Platz für 190 Menschen, keine Privatsphäre, Mehrbettzimmer. Meilenweit entfernt von Selbstverwaltung. Das Ende der Mission als Ort, an dem sich Arm und Reich begegnen?
Denn als die Mission gegründet wurde, ging es um mehr, als das Straßenleben etwas erträglicher zu machen. Damals hatte das Projekt Glamour – und geradezu revolutionäre Sprengkraft. „Die Mission – künstlerische Maßnahmen gegen die Kälte“ entstand 1997 aus einem Schauspielhaus-Projekt. Aktionskünstler Christoph Schlingensief installierte in einer ehemaligen Polizeiwache in der Kirchenallee die „optimale Bahnhofsmission“. Genutzt werden sollte sie von Arm und Reich, außer einer warmen Mahlzeit sollte es auch Kulturangebote geben. Das Konzept ist unter dem Slogan „Kunst und Suppe“ zusammengefasst. „Momentan sind wir aber nur noch Suppe“, sagt Saathoff bitter. Denn seit 2003 dürfen keine großen Konzerte mehr in den Räumen der Mission aufgeführt werden. Der Grund: Es fehlt ein Notausgang.
Die Besucherstruktur der Mission änderte sich. Ohne Events verirrt sich kaum ein Nicht-Obdachloser in die Mission: „Es ist nun mal so, dass viele Menschen denken, Armut sei ansteckend.“
Die Begeisterung der Kunstszene hatte sowieso etwas nachgelassen. Aufführungen des Schauspielhaus-Ensembles wurden seltener, bis sie ganz aufhörten. Andrew Saathoff zuckt mit den Schultern: „Zeitmangel – seither sind wir allein für unser Kulturprogramm verantwortlich.“
Auch das öffentliche Interesse nahm ab. Als die Mission in den ersten Jahren schon mal vor der Schließung stand, bildeten sich Protestzüge in der Innenstadt. „Damals haben wir Randale gemacht“, erinnert sich Saathoff, „heute würden sechs oder sieben Mann kommen. Wenn ich mit denen durch die Mönckebergstraße ziehe, interessiert das niemanden.“
Dabei hätte die Mission etwas „Randale“ bitter nötig gehabt. Seit das Notausgang-Problem entdeckt wurde, ist der Fortbestand der Mission gefährdet. Finanziert wurde die Einrichtung lange Zeit von der Kultur- und der Sozialbehörde. „Aber weil wir keine Konzerte machen dürfen, gibt’s auch kein Geld mehr von der Kulturbehörde.“ Zusätzliches Geld kam durch Spenden und einen monatlichen Flohmarkt in die Kasse. Damit und mit den 12.000 Euro jährlich von der Sozialbehörde war der Betrieb nur schwer zu finanzieren.
Dass der Mietvertrag nicht verlängert wurde, wundert Saathoff nicht: „Die Stadt will aus der Kaiser-Wilhelm-Straße einen Boulevard machen, da passen wir natürlich nicht rein.“ Aber dann sprang die Stadt doch noch ein, bot den leer stehenden Raum im Pik As an. Der hat einen seperaten Eingang, ist nur etwas kleiner als die Mission.
Auf den ersten Blick prallen da zwei Welten aufeinander. Das kleine, selbstverwaltete Kunstprojekt – und die große Notunterkunft der Stadt.
Das Pik As freut sich auf den neuen Untermieter: „Die Mission leistet hervorragende Arbeit“, erklärt Leiter Hartwig Kwella, „viele Bewohner des Pik As nutzen auch das Angebot der Mission. Es wäre schlimm gewesen, wenn die hätten schließen müssen.“
Die Crew der Mission reagiert gereizt auf die Frage, wie denn ihr Projekt zur Massenunterkunft passt: „Wir sind völlig unabhängig vom Pik As. Die sind nur unser Vermieter“, betont Saathoff. „Die haben die Hausnummer 31a, wir die Nummer 31b.“
Was dann allerdings fehlt, ist das Schaufenster zur belebten Kaiser-Wilhelm-Straße. Bald führt der Eingang der Mission auf einen Hof an einer kleinen Staße. Ob sich hierhin ein Zerstreuungsuchender verirrt? Saathoff barsch: „Das kann doch noch niemand sagen, wie sich das Publikum verändert.“
Denn vielleicht kommen bald sogar mehr Nicht-Obdachlose, wenn wieder Rockkonzerte in der Mission stattfinden. Die neuen Räume haben einen Notausgang. „Ob wir wie früher Konzerte machen können, wissen wir aber noch nicht“, so Saathoff. Schließlich schlafen über der neuen Mission die Pik-As-Bewohner. „Das müssen wir noch mit unserem neuen Vermieter abklären“, sagt Saathoff. „Aber wir sind optimistisch.“ Zu wünschen wäre es der Mission.