„Ich brach in ihre Wohnung ein, sie in mein Herz“

Die romantische Geschichte von der Fußball-WM der Obdachlosen: Wie der Kanadier Roger Freire und die Schwedin Elisabeth Anderton ein Paar wurden

(aus Hinz&Kunzt 174/August 2007)

Die schönste Geschichte vom Homeless World Cup können der ehemalige Obdachlose Roger Freire und die Sozialarbeiterin Elisabeth Anderton erzählen. Sie lernten sich 2005 in Göteborg kennen.

Der große, muskulöse Mann im dunklen Jackett hat eine Reibeisenstimme, die zu seinem vernarbten Gesicht passt: „2004 wurde ich aus dem Knast entlassen. Ich hasste mich selbst, und ich hasste die Welt um mich herum. Kanadische Gefängnisse machen Männer zu Tieren.“

Sechs Monate war der 35-Jährige im Gefängnis. „Es ist noch heute schwer für mich, darüber zu sprechen.“ Früher arbeitete er als Bauarbeiter, viel, vielleicht zu viel. Gut für seine Ehe ist das jedenfalls nicht. Seine Frau verlässt ihn. Roger Freire dreht durch. Was genau passiert ist, sagt er nicht. Ins Gefängnis kam er schließlich, weil er gedroht haben soll, sie umzubringen.

Als er wieder raus kam, waren sein Job und seine Wohnung weg.

Sein Glück: In der Notunterkunft, in der Roger Freire schläft, trainiert die kanadische Auswahl für den Homeless World Cup. Roger Freire trainiert ein bisschen mit, ist gut – schließlich spielt er seit seiner Jugend Fußball. Und soll mitfahren, zur WM nach Schweden. Will aber nicht. „Was sollte ich da auch?“

Doch dann kommt der Schuss Magie, der Schuss Vorsehung mit hinein, den jede gute Geschichte braucht: „Eine Sozialarbeiterin, eine afrikanische Lady, packte mich am Arm und sagte: Roger, letzte Nacht hatte ich eine Vision, dass in Europa etwas Wichtiges auf dich wartet.“

Zwar ist Roger Freire nicht abergläubisch. Aber die Sozialarbeiterin lässt nicht locker. Und Roger Freire fährt doch mit nach Göteborg.

„Am dritten Spieltag sah ich diese wunderschöne Frau in der Lobby des Spielerhotels. Sie suchte nach irgendetwas. Dann sprach sie mich an und fragte, ob ich ihr helfen könnte, ihren Schlüssel zu suchen.“

Elisabeth Anderton ist Sozialarbeiterin bei einer schwedischen Straßenzeitung. „Ich war völlig in Panik, ich brauchte den Schlüssel. Am nächsten Tag wollte eine Freundin von mir heiraten – ich brauchte das Geschenk aus meiner Wohnung“, sagt die 28-Jährige. Roger Freire hilft ihr einige Zeit. Dann muss er für ein paar Stunden weg. Als er die Lobby des Hotels wieder betritt, hat sich Elisabeth Andertons Situation nicht verändert: „Da war sie immer noch, müde wie die Hölle, schön wie der Himmel.“

Und sie bittet ihn um einen Gefallen: „Sie wusste, dass ich mal Bauarbeiter war, und fragte: Könnten Sie sich vorstellen, bei mir einzubrechen?“

Elisabeth Anderton lacht, stellt dann klar: „Das würde ich sonst niemals tun. Aber irgendwie fühlte sich das richtig an. Außerdem wusste ich, dass ein Schlüsseldienst um die Zeit sehr teuer geworden wäre.“

Zusammen fahren sie zu ihrer Wohnung. Roger knackt die Tür in wenigen Minuten. „Und ich bekam als Dank eine Umarmung, die mein Herz stolpern ließ.“

Elisabeth Anderton: „Ich weiß noch, als wir vor der geöffneten Tür standen, da hatte ich wie noch nie in meinem Leben das Gefühl, dass wir zusammengehören.“ Als sie auf der Hochzeit ihrer Freundin ankommt, sagt sie zu ihr: „Ich glaube, ich werde auch bald heiraten.“

Und Roger Freire liefert den Titel für die Geschichte: „Ich brach in ihre Wohnung ein, sie in mein Herz.“

Aber die Zeit beginnt, knapp zu werden. Nur noch vier Tage, dann soll Roger Freire wieder ins Flugzeug steigen und mit der Mannschaft zurück nach Kanada fliegen.

Beide verabreden sich noch mal, ein Essen, zum Dank, aber auch zum Abschied. „Da fragte ich sie einfach, ob sie was dagegen hätte, wenn ich sie küsse.“ Hatte sie nicht.

Elisabeth Anderton und Roger Freire bleiben per E-Mail in Kontakt. Ein paar Wochen später besucht Elisabeth Anderton ihn in Kanada. „Natürlich war ich extrem aufgeregt. Denn ich hatte was vor“, sagt Roger Freire. Gemeinsam machten sie einen Ausflug. Zu den Niagara-Fällen.

Dann wieder: Magie. „Ich trage einen goldenen Ring von meiner Großmutter. Der ist schon ziemlich alt und mit der Zeit immer dünner geworden“, erzählt Elisabeth Anderton. „Als mich Roger gefragt hat, ob ich seine Frau werden will, schaute ich noch mal auf meinen Finger – und der Ring war gebrochen.“ Da konnte sie gar nicht anders, als „ja“ zu sagen. Kurz darauf zieht Roger Freire nach Schweden.

Ehrensache, dass Elisabeth Anderton und Roger Freire jetzt zum Homeless Worldcup nach Kopenhagen gefahren sind. Vor sich schieben sie den Kinderwagen mit Tochter Kate Mercedes, die vor einem Jahr geboren wurde. Roger Freire hat schnell einen Job gefunden. Beide wohnen in einem Haus, nicht weit weg vom Meer. Geheiratet wird im Herbst. Roger Freire feuert mittlerweile die schwedische Mannschaft an.

Marc-André Rüssau