Wie in Hamburg billiger Wohnraum vernichtet wird. Drei Beispiele zeigen, wie unterschiedlich die Mieter reagieren – mal mit Resignation, mal mit extremem Widerstand
(aus Hinz&Kunzt 173/Juli 2007)
Genaue Zahlen hat niemand. Allein die Saga verkauft jährlich 250 bis 300 Wohnungen aus ihrem Bestand. Der Mieterverein schätzt sogar, dass 500 bis 800 Wohnungen mit günstigen Mieten in Eigentumswohnungen verwandelt werden. „Wir kennen nur die Spitze des Eisberges“, sagt Wilfried Lehmpfuhl vom Mieterverein zu Hamburg. „Vor allem Gebäude aus den 30er- bis 50er-Jahren werden zurzeit massiv abgerissen“, so die SPD-Abgeordnete Barbara Duden. Insgesamt gibt es etwa 200.000 davon in der Stadt. Kleine Wohnungen oder Minireihenhäuser mit einfachstem Standard, häufig mit Kohleheizung, ohne Warmwasser. Aber eben auch mit günstigen Mieten von zum Teil 3,90 Euro pro Quadratmeter kalt.
Das Prinzip ist fast immer gleich, so Lehmpfuhl: „Zunächst wird jahrelang nichts investiert, viele Mieter bauen sich selbst Heizungen und Sanitäranlagen ein. Und plötzlich soll abgerissen werden, weil das Gebäude nicht mehr zu retten sei.“ So wie in den Wohnungen der Straße Ole Wisch, die der Genossenschaft freier Gewerkschafter gehören: „Da gibt es Rundschreiben, die Instandhaltung sei zu teuer, man habe Leerstände von mehr als 20 Prozent, könne nicht mehr vermieten.“ Doch dahinter stecke was ganz anderes: „Die Stadt will, dass die alten Buden wegkommen und dann Bessergestellte in diese Viertel ziehen.“
Was können Mieter tun? „Wenn eine Abrissgenehmigung vorliegt, wenig“, so Lehmpfuhl. Was bleibt, sei sich über den Mieterverein zu organisieren, damit wenigstens die Umzugskosten erstattet und günstige Neumieten verhandelt werden. „Viele Menschen trauen sich nicht zu kämpfen. Dabei lohnt es sich.“ Er verweist auf das Beispiel Schmuckshöhe in Ohlsdorf. Die Mieter, für die der Mieterverein die Verhandlungen mit dem Eigentümer, der Genossenschaft freier Gewerkschafter, führte, zahlen deutlich weniger Miete nach dem Umzug in einen Neubau als diejenigen, die kampflos aufgaben. Statt der ursprünglich 130 Euro Nettokaltmiete für einen schlichten Altbau zahlt ein Drittel der Mieter nun 190 Euro Kaltmiete für 51 Quadratmeter in einem Neubau. „Die anderen müssen 535 Euro zahlen!“, so Lehmpfuhl.
Die letzte Mohikanerin
Widerstand in Horn: Kristin Küster ist die letzte Mieterin in einem Abrisshäuschen in der Riedsiedlung. Natürlich ist es Wahnsinn. Ein verlorener Kampf. Und eigentlich wäre schon lange der Zeitpunkt gekommen, die weiße Fahne zu hissen und aufzugeben. Auszuziehen aus dem kleinen Reihenhäuschen im Riedeck, so wie Hunderte ihrer Nachbarn es schon getan haben. Aber Kristin Küster weigert sich: „Ich laufe nicht weg.“
Die 33-jährige zierliche Frau mit den kurz geschorenen Haaren ist die einzige übrig gebliebene Kämpferin einer kleinen Armee, die antrat, den Wohnungsriesen Saga zu bezwingen. Hunderte meist einfache Menschen – Nachmieter und Nachfahren der Arbeiter, die in der zwischen 1933 bis 1939 gebauten Riedsiedlung zum Teil aus dem Gängeviertel umgesiedelt worden waren – hatten um ihre kleine Reihenhaus-Siedlung nahe der Legienstraße gekämpft. Wollten den von der Saga geplanten Abriss verhindern, gründeten eine Mietergemeinschaft, mobilisierten Politiker, die Presse. Sie schafften sogar, dass Bürgermeister Ole von Beust ihre Sorgen zu seiner „Herzensangelegenheit“ machte.
Genützt hat es wenig. Besser gesagt: wenigen. Ein Teil der Häuser wurde schon abgerissen, im Südteil der Siedlung bietet jetzt die Firma Interhomes im von ihr so benannten „Ahornviertel“ Reihenhäuser zum Verkauf an, 118 bis 139 Quadratmeter „schon ab 189.950 Euro“. Erhalten muss die Saga nur fünf Häuser im Nordteil, nachdem sie der Senat im Februar unter Milieuschutz gestellt hat. Die 500.000 Euro teure Sanierung soll in diesem Monat beginnen, so Saga-Sprecherin Kerstin Matzen. Nicht jedoch bei Kristin Küster. Sie lässt sich von der Saga aus ihrer Zweieinhalb-Zimmer- Wohnung herausklagen. 266,45 Euro Kaltmiete zahlt sie für die 51 Quadratmeter, inklusive Betriebskosten. Doch wie lange noch? Einen Prozess vor dem Amtsgericht St. Georg hat sie schon verloren. Nun wartet sie auf die Berufungsverhandlung. „Ich hoffe, dass es zu einer sachlichen Prüfung der Beweisangebote kommt“, sagt die selbstständige Informatikkauffrau und Tierheilpraktikerin.
Der acht Jahre währende Streit mit der Saga zerrt an den Nerven. Wenn Kristin Küster aus dem Küchenfenster schaut, blickt sie auf die vernagelten Fenster und Türen der Nachbarhäuser, auf abgerissene Briefkästen, von Unkraut überwucherte Vorgärten, leere Parkplätze, einen trostlosen Bolzplatz ohne Kinder. Sie spricht von „Vertreibungsterror“, von gekappten Telefonkabeln, eingefrorenen und geplatzten Wasserrohren, von Schimmel, Stromleitungen, die immer mal wieder ganz aus Versehen unterbrochen sind, von fehlenden Mülltonnen, von Einbrechern und randalierenden Jugendlichen. „Nachts ist hier die Hölle los. Da wird auch gelegentlich geschossen.“ Schon mehr als zehnmal habe sie Anzeige erstattet, wollte, dass regelmäßig Streife gefahren werde. „Null Reaktion. Hier wohne doch niemand mehr, sagen die Polizisten oft genug, selbst wenn man leibhaftig vor ihnen steht.“
Warum gibt sie nicht einfach auf? „Hier passiert ein riesiges Unrecht! Hier wird billiger Wohnraum vernichtet. Der Abriss ist eine Katastrophe, gerade für diesen Stadtteil – und damit für ganz Hamburg.“ Spätestens seit Ende der 90er-Jahre habe die Saga die Riedsiedlung bewusst verwahrlosen lassen. Schon im Jahr 2000 seien kaputte Fenster nicht repariert, sondern zugenagelt worden.
Der Kampf für ein zerstörtes Idyll, für Erinnerungen. Denn auch das sieht Kristin Küster, wenn sie aus ihrem Fenster schaut: Pappeln, ihren Fliederbusch, ein Eichhörnchen, das blitzschnell einen Baum hinaufflitzt. Wäschestangen, an denen früher die Wäsche im Wind flatterte. Die kleinen Vorgärten, in denen im Sommer immer jemand zum Klönen saß. Der Spielplatz, auf dem die Kinder lachten … „Es war hier wie auf dem Dorf, eine traumhafte Oase, ein Park mitten in der Stadt. Es wird nie mehr so sein, wie es mal war.“
Trotz aller Ideale: Natürlich geht es auch um Geld. „Die Saga hätte wenigstens versuchen können, mich gütlich rauszukriegen. Ich habe 25.000 Euro in die Wohnung investiert, für Gasheizung, Küche, Badezimmer, Holzboden, Dachausbau. Wenn die Saga will, dass ich ausziehe, dann erwarte ich auch eine Erstattung der damit verbundenen Kosten. Aber mir ist nie ein vernünftiges Entschädigungsangebot und nur ein einziges Wohnungsangebot gemacht worden – und das erst lange nach der Kündigung und auf Druck der Politik.“
Die Saga will sich zum „Fall Küster“ nicht äußern und verweist auf das „laufende Verfahren“. Die zierliche Frau steht mit verschränkten Armen vor der Tür, die zwölf Jahre ihre Haustür war, und fragt: „Bin ich jetzt bockig …? Ich habe wenigstens alles versucht.“
Petra Neumann
Alte Bäume kann man nicht verpflanzen
Resignation in Eidelstedt: Die alte Siedlung Lüttwisch soll abgerissen werden. Betroffen sind vor allem alte Leute, die keine Kraft haben, sich zu wehren. Wenn Jan Kazanciyan, 72, von seinem Vermieter spricht, dann kann er seine Enttäuschung nicht verbergen. „Ich wohne hier seit 1977“, sagt der gelernte Koch, „und jetzt sollen unsere günstigen Wohnungen abgerissen werden. Wo sollen wir denn hin?“ Kazanciyan ist einer von 16 älteren Mietern, die für 31 bis 44 Quadratmeter fünf bis sechs Euro kalt pro Quadratmeter zahlen. Vor wenigen Jahren waren hier noch 272 Wohnungen vermietet, jetzt gleicht die Siedlung einer Geisterstadt. Vier der zehn Häuser sind bereits abgerissen.
Der Besitzer, Bauunternehmer Helmut Greve, will auf dem Grundstück 150 neue Wohnung bauen, hauptsächlich für Familien. Diese werden für die alten Mieter zu groß und zu teuer sein. Wie viel die neuen Wohnungen kosten, weiß noch keiner so richtig, aber mehr als 180 bis 240 Euro Kaltmiete werden es schon sein. „Einige Rentner hier leben von 500 Euro Rente, die werden davon nie eine neue Wohnung bezahlen können“, sagt Herr Kazanciyan.
Gewehrt hat sich trotzdem kaum einer der Mieter gegen den Abriss. Schon als Greve 2003 einen Abrissantrag stellte, zogen die verunsicherten Mieter nach und nach aus. Für Wilfried Lehmpfuhl vom Mieterverein zu Hamburg ist das ein typisches Vorgehen. „Viele haben die Ankündigung des Abrisses als Kündigung verstanden“, meint er. „Es handelt sich um alte Leute, die sich gegen Behörden und Firmen nicht zu wehren wissen“, sagt Lehmpfuhl. Jetzt versucht der Mieterverein, für jeden der verbliebenen Mieter eine Einzellösung auszuhandeln.
Die Helmut Greve Bau- und Boden- Aktiengesellschaft dagegen teilte Hinz&Kunzt mit, die Umzüge würden „mit großer sozialer Verantwortung gehandhabt“. Man versuche sogar, gewachsene Mietergemeinschaf ten nebeneinander im nur 300 Meter entfernten Furthweg unterzubringen, damit die Leute sich weiterhin bei Einkäufen helfen könnten. Natürlich dauere das eine Weile, schließlich müssen für diese Lösung andere Mieter bereit sein, in andere Wohnungen zu ziehen. Der 72- Jährige und die anderen letzten Mieter fühlen sich trotzdem übergangen. „Die alten Leute kann man nicht so behandeln“, sagt Kazanciyan. „Alte Bäume kann man nicht einfach umpflanzen.“
Hanning Voigts
Hier wird billiger Wohnraum vernichtet
Tonndorf: Küpperstieg, Wohnungsgenossenschaft Wandsbek, Abriss von 82 Reihenhäuschen, sieben Mieter werden noch vertreten vom Mieterverein zu Hamburg. Miete (Bsp.): 277,37 Euro für 47,48 qm. Später sollen ein Altenheim und 13 Wohngebäude entstehen.
Grosslohe: Mehlandsredder, Saga, 156 Reihenhäuser, ursprüngliche Nettokaltmiete für 86,65 qm (Bsp.): 377,23 Euro; Erhöhung um 257,35 Euro (inkl. Heizung), sollen nach Modernisierung verkauft werden.
Sülldorf: Op’n Hainholt, Saga, etwa 600 Wohnungen, wurden abgerissen oder modernisiert, letztere sollen jetzt verkauft werden.
bahrenfeld: Steenkamp, Saga, etwa 700 Wohnungen, Beispielmiete für 94,23 qm im Reihenhäuschen: 499,42 Euro kalt (5,30 Nettokaltmiete/qm), verkauft für 12 7.000 Euro.
Eidelstedt: Lüttwisch, Helmut Greve Bau- und Boden-Aktiengesellschaft, 272 Wohnungen zwischen 31 und 44 qm, 5 bis 6 Euro/qm.
Ohlsdorf: Schmuckshöhe, Genossenschaft freier Gewerkschafter, 109 Wohnungen, die zum Teil schon abgerissen sind. Ursprünglich 13 0 Euro Nettokaltmiete, 32 4,61 Euro inkl. aller Nebenkosten, nach Umzug in Neubau zahlen die Mieter 190 Euro Kaltmiete und mehr für 51,04 qm Neubau.
Bramfeld: Ole Wisch/Fabriciusstraße/ Ole Wisch Twiet, Genossenschaft Gartenstadt eG, 159 Wohnungen, geplanter Abriss wegen „Gefährdung der Entwicklungsfähigkeit“, Baujahr 1938, keine Nachfrage angeblich, längere Leerstände, urspr. Miete 265 Euro kalt für 38 qm.
Altona-Altstadt: Elbtreppe, Saga, 5 Häuser, Nettomiete für Wohnung ohne Bad 4 Euro/qm, 6,50 Euro/qm für bessere Wohnung, zukünftige Miete: 8,50 bis 14 Euro/qm.
Horn: Stoltenstraße/Manshardtstraße 11 0 Wohnungen wurden jetzt abgerissen oder verkauft, Eigner Heymann AG plant Neubau und Verkauf von Reihenhäusern, ursprüngliche Miete (Beispiel) für 45,62 qm 148,58 kalt; Riedsiedlung, urspr. 538 Wohnungen, Saga, Abriss bis auf 5 Häuser, Miete (Beispiel) für 51 qm-Wohnung: 266,45 Euro inkl. Betriebskosten. Die geplanten Neubau-Wohnungen sollen etwa 6 Euro Miete/qm kosten.
Quelle: Mieterverein zu Hamburg