Heimliche Hochburg der Kunst

Hinz&Kunzt-Verkäufer Erich Heeder zeigt „sein“ Mümmelmannsberg. Er findet den Stadtteil schön – und ist stolz auf die Kreativität der Menschen

(aus Hinz&Kunzt 172/Juni 2007)

Diese Ruhe! Sie empfängt einen an der Haltestelle Mümmelmannsberg. Was für ein wohltuender Kontrast zum Lärm in der U-Bahn. Noch bis Billstedt war die U3 voll besetzt, überwiegend mit Jugendlichen ausländischer Herkunft. Mindestens alle zehn Sekunden war das Wort „Digger“ zu hören, ersatzweise auch „Ey, Alder“, gewürzt mit Gekicher und Geprahle. Als sollten hier böse Klischees bestätigt werden. Und jetzt das: Vogelgezwitscher. Sonst nichts. Kein Straßenlärm, kein Fluglärm, nur wenige Menschen unterwegs: Willkommen in Mümmelmannsberg.

„Als ich das erste Mal die B 5 rauf nach Hamburg fuhr und hier landete, dachte ich gleich, hier will ich bleiben, hier ist es schön“, sagt Hinz&Künztler Erich Heeder, 54, der neun Jahre im Stadtteil gewohnt hat und vor Kurzem ins benachbarte Kirchsteinbek gezogen ist. Okay, die Ruhe ist eine Sache, aber ansonsten: Mümmelmannsberg? Schön? Doch Erich meint es wirklich so. „Hier sind gar nicht so viele Hochhäuser, höchstens sechs. Außerdem liegen sie weit auseinander, dazwischen jede Menge Grün. Straßenschluchten gibt es nicht. Stattdessen überall Kunst.“ Kunst, ja, die ist Erich wichtig. Und mit der kennt er sich aus.

Als 19-Jähriger kam er wegen einer Umschulung nach Hamburg, schon damals war er kunstinteressiert, hatte gemalt und Prosatexte verfasst. 1986 erfuhr er dann im „Wochenblatt“ vom Offenen Atelier Mümmelmannsberg. Jeder ist willkommmen. Doch es geht nicht um willkürliche Kleckserei, wie Erich eifrig bemerkt: „Der Gründer des Vereins war immerhin Schüler von Oskar Kokoschka!“ Seit 1992 bietet Erich selbst wöchentlich Malkurse an – aus dem Schüler ist ein Lehrer geworden.

Der Weg zum Atelier führt über einen Platz mit mehreren Skulpturen. „Der einzige Skulpturenhof in Hamburg“, erzählt Erich. Mehrere Künstler haben daran mitgewirkt, neben anderen Edwin Scharff, dessen Werke auch rund um die Außenalster zu bewundern sind. Hier in Mümmelmannsberg fällt neben einer knallbunten Frauenfigur, der „Power Paula“, ein Sockel mit Leiter auf. „Stell dich doch mal drauf“ lautet die Inschrift. Da muss sich Erich nicht lange bitten lassen. „Der Mensch im Zentrum von Kunst – das ist doch eine super Idee.“

Das Offene Atelier selbst liegt versteckt im Souterrain eines Reihenhauses – in Mümmelmannsberg nichts Ungewöhnliches. „Diese Räume waren ursprünglich für Treffen oder Feiern von Mietern vorgesehen“, erzählt Erich. „Aber die haben die Räume gar nicht benutzt. Darum wurden sie für kulturelle Einrichtungen kostenlos zur Verfügung gestellt.“

Raus aus dem Souterrain lohnt sich in Mümmelmannsberg auch der Blick nach oben: An vielen Hochhausfassaden hängen farbenfrohe Kunstplakate im XXL-Format, teilweise von Kindern gestaltet. Erich findet solche Aktionen toll. „Da freuen sich die Kleinen natürlich immer, wenn sie davor längs spazieren und zu ihrer Oma sagen können: Guck mal, das ist von mir.“

An der Sprachheilschule in Mümmelmannsberg durfte gleich eine ganze Klasse kreativ werden: Sie bemalte eine Wand auf dem Schulhof mit Motiven aus ihrem Stadtteil. Heute Nachmittag nutzt Daniel, 15, die Wand zum Toreschießen. Wegen einer Knieverletzung kann er nur noch vorsichtig kicken. Vorher hat er beim SC Europa 92 gespielt. „SC Europa, weil halb Europa hier spielt“, erzählt Erich. Das neue Clubheim in der Nähe des Offenen Ateliers kam auf Betreiben des Sanierungsbeirats Mümmelmannsberg zustande – in dem sich wiederum auch Erich seit mehr als 20 Jahren engagiert. „Wir helfen immer da, wo im Stadtteil der Schuh drückt“, fasst er die Arbeit des Beirats zusammen.

Dann erzählt er von dem zweiten wichtigen Sportverein, dem MSV, berühmt für seine Fußballerinnen. Denn hier sind überwiegend Mädchen am Start. „Die sind richtig spitze, die Mümmelmannsberger Mädels“, freut sich Erich. Und Trainer Harald Maaß fügt stolz hinzu, dass seine „Frauschaft“ in der B-Jugend seit – „lass mich lügen“ – rund zweieinhalb Jahren ungeschlagen ist. Maaß, 37, war früher Profispieler. Als Jugendlicher bekam er sogar das Angebot, in Barcelona zu spielen. „Aber da hätte die ganze Familie umziehen müssen, das wollten meine Eltern nicht.“ Nun ist er mit Leib und Seele Trainer und hat Spaß an der Arbeit mit seinen „talentierten Damen“. Umgekehrt sind auch die Mädchen mit ihrem Trainer zufrieden. „Klar, er ist doch unser Schnucki“, witzelt Tatjana, die im linken Mittelfeld spielt. Hohe Siege sind für die acht Mädchen der Truppe übrigens keine Seltenheit. 29:0 gegen Bramfeld war das bislang beste Ergebnis der 16-Jährigen.

Sandra von der rechten Abwehr ist froh, in einer Mädchenmannschaft zu sein. Katrin, abwechselnd im Tor und im Sturm, weiß auch, warum: „Jungs spielen anders. Aggressiver. Mädchen sind zurückhaltender.“ – „Allgemein stimmt das vielleicht“, meint Tatjana, „aber bei uns doch nicht!“

Während die Mädchen trainieren, berichtet Erich vom nächsten Highlight in Mümmelmannsberg: Am 24. Juni findet hier zum 20. Mal das Internationale Freundschaftsfest statt. „Jeder kann traditionelle Tänze vorführen oder beim Zuschauen mehr über die Kultur seiner Nachbarn erfahren. Und alle machen mit.“ Keine Frage, Erich ist über die Initiative der Leute aus dem Stadtteil begeistert. „An der Zukunftskonferenz für Horn, Billstedt und Mümmelmannsberg haben 200 Leute teilgenommen.“ Auch wenn sich erst Anfang 2008 herausstellt, wie viel Geld es vom Senat gibt, ist Erich sicher, dass viele Ideen der Anwohner umgesetzt werden: „Bei so vielen Leuten ist der Druck auf die Behörde einfach zu groß, da müssen die was machen. Lassen wir uns überraschen!“

Böse überrascht von der Politik fühlt sich hingegen der Verein Sonnenland, zu dessen Maifest Erich heute fährt. Der Verein, 1967 gegründet, bietet unter anderem Hausaufgabenhilfe, Bewerbungstrainings für Jugendliche, Kochgruppen und Erziehungstipps für Eltern an. Ende 2006 beschloss der Jugendhilfeausschuss (JHA) des Bezirks Mitte, die Trägerschaft für das Projekt neu auszuschreiben. „Ohne Angaben von konkreten Gründen“, wie sich Sonnenland-Pressesprecher Jürgen Wolff empört. „Bis heute wissen wir nicht, was man uns vorwirft. Überall nur Gerüchte.“ Katharina Weyandt, für die GAL im JHA, weist hingegen darauf hin, dass die Zusammenarbeit mit dem freien Träger schon länger nicht gut lief: Zweckbeschreibungen des Projekts seien zu spät gekommen, Verträge nicht erfüllt worden. Obwohl mittlerweile entschieden wurde, dass die Arbeiterwohlfahrt neuer Träger der Einrichtung wird, will der sogenannte „Retterrat“ von Sonnenland weiter kämpfen. „Schließlich haben wir dieses Jahr 40-jähriges Jubiläum“, so Wolff. „Da will man doch was zu feiern haben.“

Viele Menschen im Viertel unterstützen den Protest. Auch Pastor Michael Ostendorf kann das Vorgehen von Jugendhilfeausschuss und Bezirksversammlung nicht verstehen. Genau wie Erich ist er seit Jahren im Stadtteil aktiv. Als er 2004 von der alten Kirche in Steinbek nach Mümmelmannsberg wechselte, fiel ihm als Erstes auf, dass viele Straßen wie beispielsweise die Kandinskyallee nach Künstlern benannt sind. Das brachte ihn auf die Idee, Fotos der Straßennamen am Computer so zu verfremden, dass Collagen aus Werken der Künstler und einiger Plätze im Viertel entstehen – ein weiteres Kunstprojekt für „die heimliche Kunsthochburg des Ostens“, wie Erich Mümmelmannsberg auch gerne bezeichnet.

Er selbst hat es bislang auf mehr als 40 Ausstellungen gebracht. Kunst öffentlich und für alle zugänglich zu machen ist für ihn das Wichtigste. Einen Querschnitt seiner Werke kann man vom 29. Juni bis 27. August im Kulturpalast in Billstedt sehen. Für Erich eine weitere Gelegenheit zu zeigen, wie viel Kreativität „sein“ Stadtteil hervorbringt. Denn auch wenn er nachvollziehen kann, dass es vereinzelte Vorurteile gegenüber Mümmelmannsberg gibt, findet er: „Man muss immer das Ganze sehen.“

Maren Albertsen

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