Daniel Richter über die Kunst des Kreativseins und die Vieldeutigkeit seiner Werke
(aus Hinz&Kunzt 171/Mai 2007)
Daniel Richter lebt in Hamburg und malt in Berlin. Will man sich eines seiner Bilder ins Wohnzimmer hängen, muss man tief in die Tasche greifen. Zum Glück widmet ihm die Hamburger Kunsthalle eine große Ausstellung.
Daniel Richter sitzt in einem Nebenraum im Erdgeschoss der Galerie der Gegenwart. Um ihn herum Dutzende von leeren Stühlen. Draußen donnern die Züge vorbei, unterbrechen die schöne Aussicht auf die heute blitzeblaue Alster. Ein Pressetermin, Journalisten kommen und gehen. Die Kamera bereit, den Stift gezückt. Und seine Bilder? Es sind keine da. Sie sind noch unterwegs, werden gerade in aller Welt in Kisten verpackt. Richter hebt bedauernd die Schultern: „Ich habe viele Sachen selbst länger nicht gesehen. Von daher weiß ich noch nicht, wie die Ausstellung am Ende sein wird. Vielleicht sieht es sogar scheiße aus.“
Da ist er sogleich: der flapsige Ton; der Spott auch, wenn er über sich selbst spricht und den Kunstzirkus, zu dem er gehört und den er sich vom Leibe halten will. Wie ist er denn so, der Richter, rein persönlich? Ja, wie ist er?
Einiges steht fest: Der 1962 in Eutin geborene Richter, der bis Mitte der Neunziger in Hamburg am Lerchenfeld Kunst studierte, gilt derzeit als einer der großen deutschen Maler. Als er im Januar 2005 für eine Benefizauktion mit 70 anderen Künstlern für Hinz&Kunzt ein Werk spendete, erzielte es mit 15.000 Euro den höchsten Preis. Will man eines seiner großformatigen Ölbilder erwerben, wird es schnell sechsstellig. Er hat in Toronto und Los Angeles ausgestellt; in Paris, Athen und Basel. Nun wird er mit seinen Bildern in der Galerie der Gegenwart zwei Etagen füllen. So weit die Fakten.
Doch die Medien wollen mehr wissen. Brauchen ein bisschen Futter, ruhig auch mal Klatsch und Tratsch. Wollen hören, was ein berühmter Künstler so denkt, zum Irakkrieg oder zum Eisbären Knut. „Man muss mit jedem reden“, bestätigt Richter. Aber dann gebe es Anfragen… Richter schüttelt angewidert den Kopf.
Bei Daniel Richter pflegt die Kunstwelt immer wieder hervorzukehren, dass er in jungen Jahren Konzertplakate und Plattencover gezeichnet hat, für Punkmusik und Verwandtes. Tatsächlich ist er heute Mitinhaber des Hamburger Plattenlabels „Buback“, das Bands wie „Die Goldenen Zitronen“, die „Beginners“ oder den Softrapper Jan Delay unter Vertrag hat. Also doch einer, der eher in die Rote Flora gehört, denn in ein schickes Lokal auf der Hafenmeile, so wie er das früher erzählt hat?
Richter hebt kurz die Hand: „Alles Quatsch, das war nur ausgedacht. Meine Eltern sind gescheiterte Aristokraten, ich schwimme von Natur aus im Geld. Ich musste damals eine Taktik entwerfen, damit mir das nicht überall vorgeworfen wird.“
Und die Hafenstraße? Er soll seinerzeit Sympathisant gewesen sein; er soll dort sogar gewohnt haben. Auch diesen Weg will er nicht mitgehen: „Ich habe damals die Hafenstraße gekauft, die war gar nicht besetzt. Ich habe da nur ein paar Verwahrloste reingesetzt und dann den Bürgermeister von Dohnanyi angerufen, dass er das da mal räumen lassen soll, damit was los ist in der Stadt.“ Doch dann schlägt er den Bogen zurück und wird ernst: „Vieles, was ich mal in Interviews gesagt habe, werde ich nicht mehr los. Ich habe das damals nicht gewusst, und nun verfolgt es mich.“
Er will lieber für sich bleiben. Seine Bilder sollen sprechen, ohne dass man sie ständig mit seinen persönlichen Ansichten oder seiner Biografie kurzschließt. Schön sei es, wenn er in Amerika ausstellt. Da meint niemand, ihn persönlich zu kennen. Nur seine Bilder gelten.
Ihn selbst interessiert das Offene, das Unbestimmte an seiner Malerei. Viele Bilder sind tatsächlich vielfältig, nicht immer gleich zu entschlüsseln. Das freut ihn und er führt aus: „Jeder kennt das: Du gehst nachts um eine Straßenecke, und am Ende der Straße steht im Halblicht eine Gruppe von Leuten. Du kannst im ersten Moment nicht entscheiden, ob sie dir gleich bedrohlich entgegenkommen oder ob sie nur dastehen und vielleicht was trinken. Also ob die Gruppe gewalttätig aufgeladen ist oder harmlos.“ Genau diese Gratwanderung, diese Unsicherheit findet sich immer wieder in seinen figürlichen Arbeiten: Menschen rennen durcheinander. Vielleicht sind sie auf der Flucht; vielleicht aber greifen sie auch an. Sie scheinen sich zu umarmen – oder sich zu prügeln. Die Stadt ist ein Dschungel – in dem man sich gut verstecken kann oder der einen verschlingt. Nichts ist so ganz sicher.
Eins seiner bekanntesten Bilder zeigt eine Gruppe von ineinander verschwommenen Figuren in einem schlauchbootähnlichen Etwas vor einer blauschwarzen, aufgewühlten Fläche; ein Bild, inspiriert von einem Zeitungsfoto. Was keine Eindeutigkeit garantiert: „Du kannst es lesen als eine Gruppe von Flüchtlingen, die auf dem Meer treibt. Du kannst es aber auch lesen als eine Drogenerfahrung. Beides ist darin angelegt; der Versuch, Angst abzubilden und das Fremde. Und es ging auch darum, ein irres Bild zu malen. Ein Bild, das knallt; wo ich mir sage: Jetzt malen wir mal ein schönes Ballerbild.“
Dazu verlässt er die Stadt: „Ich fahre mit dem Zug zum Malen nach Berlin; in jenes schöne, verträumte Dorf im Osten von Hamburg.“ Dort hat er mittendrin sein Atelier, wohin er sich zurückzieht, ohne Auto, ohne Handy, nicht erreichbar, für Tage: „Ich fahre da nicht hin, spucke in die Hände und male dann meine acht Stunden ab. Leider. Mir wär’s ja lieb, wenn das so ginge.“ Vielmehr muss er sich Zeit lassen, damit sich die Werke entwickeln: „Ich male am liebsten an fünf Bildern gleichzeitig und habe dafür sechs, sieben Monate Zeit.“ Die Werke können dabei ganz unterschiedlich sein: Bei einem explodieren die Farben, es ist aufgeladen mit Symbolik; ein anderes ist rein in Schwarz-Weiß.
Mit nun erhobener Stimme sagt Richter: „Dinge zu können finde ich langweilig. Dinge zu wiederholen erst recht.“ Und so kann der Kunstfreund bei allem Richterschem Versteckspiel und Getöse in einem sicher sein: Er wird sich treu bleiben, und doch immer für Überraschungen sorgen.