Richterschelte für die Justizbehörde und Senator Carsten Lüdemann
(aus Hinz&Kunzt 169/März 2007)
Der Ton wird wieder schärfer zwischen Richtern und Justizbehörde. Das wurde bei einer Tagung des Forum Straffälligenhilfe deutlich. Horst Becker, Vorsitzender Richter am Landgericht, war einer der Kritiker. Er geht sogar so weit, von der „Renitenz der Vollzugsbehörden“ zu sprechen oder gar vom „Wettbewerb der Schäbigkeit“. Offiziell geht es darum, dass die Haftanstalten und somit die Justizbehörde Urteile der Gerichte einfach nicht umsetzen. In Wirklichkeit geht es aber nicht nur um „diesen eklatanten Rechtsbruch“ (Becker), sondern um die Wende im Hamburger Strafvollzug.
Und auch die sei nach geltendem Recht rechtswidrig: Seit die CDU (damals mit Ronald Schill) im Jahr 2001 die Wahlen gewannen, haben sich die Vorzeichen im Strafvollzug verkehrt. Der offene Vollzug ist drastisch heruntergefahren worden, der geschlossene wurde zum Regelvollzug. Ausgang, Urlaub und Freigang, im Regelfall nach dem Gesetz ein Muss, um die Gefangenen an das Leben draußen zu gewöhnen und sie zu erproben, wurden drastisch reduziert. Selbst zur Wohnungsbesichtigung kurz vor der Entlassung werden Gefangene, auch völlig ungefährliche, in Handschellen geführt.
Kein Wunder, dass Gefangene seit der „Wende“ die Richter der Strafvollstreckungskammern mit Beschwerden bombardieren. „2001 hatten wir 577 Strafvollzugsverfahren zu bearbeiten“, sagt Horst Becker, selbst Vorsitzender einer Strafvollstreckungskammer. „Seit 2004 haben wir jährlich mehr als 1000 Anträge. Und das liegt nicht daran, dass es mehr renitente Gefangene gibt.“
Den Grund sehen Becker und viele seiner Kollegen darin, dass „Vollzugslockerungen Luxusgut geworden sind, dass in der JVA Fuhlsbüttel bereits um 18.30 Uhr Einschluss ist, am Wochenende auch tagsüber für längere Zeit. Die Gefangenen haben weniger Freizeit, Leistungszulagen werden gekürzt, Besuchszeiten eingeschränkt. Die Beispiele lassen sich endlos fortsetzen.“
Erhält dann ein Gefangener vor Gericht Recht, folgt daraus oft gar nichts: „Bindende richterliche Entscheidungen werden schlichtweg nicht oder nur schleppend umgesetzt“, so Becker. Er hatte – wie viele – gehofft, dass sich die Situation ändern würde, als Justizsenator Roger Kusch (CDU) aus dem Amt gehoben und Carsten Lüdemann (CDU) sein Nachfolger wurde. Stattdessen bereitet die CDU jetzt ein Hamburger Strafvollzugsgesetz vor, „das die verfehlte und durch keine wissenschaftlichen Erkenntnisse gestützte Praxis im Nachhinein legitimieren soll“, so Becker.
Es sei populistisch, der Öffentlichkeit vorzugaukeln, dass durch diese rigide Art des Vollzuges die Sicherheit der Bevölkerung gewährleistet werden könnte. Genau das Gegenteil sei der Fall: „Gefangene werden fast ausschließlich ohne Erprobung durch Lockerung aus dem geschlossenen Vollzug entlassen. Sie werden wieder, wie früher, mit einem Persilkoffer vor das Gefängnistor geschickt“, so Becker. „Dadurch geht Sicherheit für die Bevölkerung verloren, ein Rückfall wird wahrscheinlicher.“
Johannes Düwel, Leiter des Hamburger Strafvollzugsamtes, sieht das naturgemäß anders. Zu den konkreten Fällen, in denen die Vollzugsanstalten die Urteile nicht umgesetzt haben, will er sich nicht äußern. Aber ansonsten sei er stolz darauf, dass die Behörde nur vier Prozent aller Fälle verliere.