Thalia-Stadtnotizen Teil 3: Autor Frank Abt und Dramaturg Benjamin von Blomberg bringen die Hafencity auf die Bühne
(aus Hinz&Kunzt 168/Februar 2007, Jugendausgabe)
In der Reihe „Stadtnotizen“ im Thalia Theater standen bislang die Große Bergstraße in Altona und Finkenwerder auf der Bühne. Am 20. Februar ist die Hafencity dran: „Wo die großen Fische schlafen“. Jedes Mal war die Theaterbar Nachtasyl rappelvoll. Die Macher hinter dieser neuen Art des Theaters sind Frank Abt und Benjamin von Blomberg. Jugendredakteurin Maren Albertsen hat sich mit ihnen getroffen.
Das Klischee stimmt also doch nicht immer. Der Hafen als urhamburgischer Sehnsuchtsort, klar, wer könnte das bestreiten. Ach so romantisch mit den schönen Landungsbrücken auf der einen und den erleuchteten Containerterminals auf der anderen Elbseite, seufz. Nichts wie hin! – Eigentlich. Aber nicht heute, danke, das muss nicht sein. Denn Orkan „Kyrill“ ist im ungebremsten Anflug und lockt nicht nach draußen. Schon gar nicht ans Wasser. Im Nachtasyl des Thalia Theaters hingegen bewahren die Frisuren ihren Halt und die Füße ihre Trockenheit. Die Wahl zwischen Weltuntergang draußen oder gemütlichen Sofas drinnen fällt deswegen nicht schwer.
Als wir uns Ende Januar treffen, ist das Stück noch in der Entstehung. Dass die Entwicklung jedes Mal eine echte Herausforderung ist, liegt schon am Konzept der Reihe. Abts Grundüberlegung war, unter dem Motto „Glück in Hamburg“ fünf Orte der Hansestadt mit ihren jeweiligen Besonderheiten vorzustellen. „Vorstellen, nicht verurteilen“, das ist Autor Frank Abt (30) wichtig. Um nicht einfach seine Klischees zu bedienen, geht er nicht selber los, sondern schickt den Journalisten Dirk Schneider in die einzelnen Stadtteile, um Interviews mit Anwohnern zu führen. Diese Interviews dienen Abt dann als Textgrundlage, auf denen er seine Stücke aufbaut. „Da wir vorher überhaupt nicht einschätzen können, mit was für Texten wir es zu tun bekommen, haben wir jedes Mal wieder eine ganz neue Spielsituation“, erklärt Abt den Reiz dieser Reihe.
Beim Stück über Finkenwerder standen beispielsweise ein Obstbauer und ein Airbusmitarbeiter im Vordergrund. Um deren „authentischen Zungenschlag“ zu bewahren, engagierte Abt Laiendarsteller. Beim Teil über die Hafencity arbeitet Abt hingegen ausschließlich mit professionellen Schauspielern, nämlich Hans Löw, Harald Baumgartner und Maren Eggert. Seiner Ansicht nach passen diese „starken, poetischen“ Ensemblemitglieder sehr gut zu seiner Ausgangsüberlegung „Was ist Hafen, was kann Hafen sein?“ – also die Suche nach beziehungsweise das künstliche Herstellen von Authentizität. So habe sich während eines Interviews mit einem kürzlich in die Hafencity gezogenen Ehepaar herausgestellt, dass diese ganz falsche Sehnsüchte in die Gegend projiziert haben: „Sie sagen zwar, Hafen bedeute für sie Ursprüngliches, Romantik, soziale Mischung von Leuten und so weiter. Doch nun sitzen sie in ihrer Luxuswohnung und haben natürlich weiterhin keinen Kontakt zu Hafenarbeitern. Irgendwie haben sie sich das wohl anders vorgestellt.“
Erfüllte oder unerfüllte Sehnsucht – „ohne dieses Thema ist Frank einfach nicht zu haben“, sagt Benjamin von Blomberg (28). „Es umschließt quasi jeden Teil der Reihe – trotz des regionalen Bezugs – wie eine Klammer.“ Abt, der gerade erst vor kurzem Vater geworden ist, bestätigt das: „Klar, es steckt als Regisseur schon viel Persönliches von einem im jeweiligen Stück. Wir haben in diesem Fall schließlich keinen vorgefertigten Text, nach dem wir uns richten, sondern bearbeiten die Originaltexte künstlerisch nach eigenen Vorlieben. Das macht einen angreifbarer. Das ist ja auch ein Sich-Entblößen.“
Am Thalia Theater „entblößt“ sich Abt seit 2003, als er dort als Regieassistent anfing. Doch seine Liebe zum Theater entwickelte sich bereits in seiner Kindheit in Süddeutschland. Geboren wurde er in dem kleinen Ort Äpfingen: „Kulturell war da natürlich nichts los. Es gab höchstens dieses tolle Spiel“, erinnert er sich und streckt seine Hand aus. „Der Daumen war der Daumen, der Zeigefinger der Zeigefinger, und dann zeigte man den Mittelfinger und sagte ,Äpfinger‘.“ Im nächstgrößeren Ort Biberach gab es immerhin ein gutes Kinofestival. „Warum mich das Theater generell mehr reizte, kann ich gar nicht mehr sagen“, meint Abt, der sich als Jugendlicher ein Theaterabo für die Stadt Ulm besorgte. Während seines Zivildienstes in Hannover hatte er dann „mein Aha-Erlebnis: Ich sah eine Inszenierung von Andreas Kriegenburg – ab da wusste ich, was Theater machen kann.“
In Berlin und Paris studierte er Theaterwissenschaften und kam nach mehreren Hospitanzen, unter anderem in Wien, schließlich nach Hamburg. „Hier tatsächlich mit Andreas Kriegenburg zusammenarbeiten zu können, war fantastisch“, findet er. „Es ist schon lustig zu sehen, wie man plötzlich im Programmheft immer weiter aufsteigt, wenn der persönliche Wunschtraum also wirklich in Erfüllung geht.“ Auch von Blomberg ist mehr als zufrieden. Er hat in Hamburg Musikwissenschaften studiert und dabei gemerkt, „dass ich gerne in Eigeninitiative arbeite“. Er gründete eine freie Operngruppe, vermisste dabei aber die Bereitschaft, Werke auch mal zu verändern. Das ist in Theatern natürlich anders. Eines Tages stratzte er deshalb ins Thalia-Büro und sagte: „Hallo, ich möchte, dass Sie mich kennenlernen.“ Anscheinend die richtige Herangehensweise, denn von Blomberg durfte gleich – ebenfalls bei Andreas Kriegenburg – in der Inszenierung von Don Quichotte assistieren. Dass er in seinem Alter schon fest angestellt ist, ist in der Branche sonst unüblich.
„Wir geben sehr viel“, sagt Abt. „Aber dafür können wir in jedem Stück unsere eigenen Ängste reflektieren und unser ganzes Herzblut reinstecken. Das macht zwar bei Kritik verletzlich, aber wenn das Interesse hier so groß ist und das Publikum so mitgeht, dann ist das echt der Wahnsinn.“ Keine Frage, die beiden scheinen ihren Sehnsuchtsort in Hamburg längst gefunden zu haben. Und so wird man sie auch in Zukunft sicher öfter im Theater als beispielsweise in der Hafencity antreffen – selbst wenn die Sonne scheint.