Über 2000 Obdachlose gibt es schätzungsweise in Hamburg. Wer sind die Menschen, die in unserer Stadt unter Brücken leben? Die Fotografin Lena Maja Wöhler hat einige von ihnen getroffen. Heute im Porträt: Viktoria (17), die unter der Oberhafenbrücke Platte macht.
(aus Hinz&Kunzt 273/November 2015)
Ich lerne Viktoria an der Oberhafenbrücke kennen. Sie ist die erste Frau, die ich auf Platte erlebe. Sie erzählt mir, dass es ja ganz logisch sei, dass es nicht viele Frauen auf der Straße gäbe. Frauen kommen auf den Straßen, wenn überhaupt mit einem Hund als Beschützer zurecht. Das Risiko von Gewalt und Vergewaltigung bringt viele dazu, zumindest nachts, bei Freunden oder Bekannten zu schlafen. So macht Viktoria es selber auch.
Sie ist 17 Jahre alt, gemeinsam mit ihrem Freund Olli macht sie Platte unter der Oberhafenbrücke. Viktoria lebt auf der Straße, weil die neue Freundin ihres Vaters sie nicht mochte. Es kam immer häufiger zum Streit. Da hat Viktoria ihren Vater vor die Wahl gestellt: Sie oder die neue Freundin. Kurz darauf ist Viktoria nicht mehr nach Hause gegangen.
Wenn der Winter kommt, wollen Olli und sie zusammen in den Süden. „Vielleicht in Italien Platte machen…“, sagt sie. Vergangene Woche ist sie von der Brücke in die Elbe gesprungen, daher der Verband am Fuß – eine Mutprobe. Dann gehört man dazu. Es macht Viktoria großen Spaß, das neue Leben zu genießen und sie ist gespannt, was noch alles auf sie zukommt.
Jetzt wartet sie erstmal auf Olli, der will ihr nämlich zu ihrem 18.Geburtstag in drei Wochen ihren ersten eigenen Hund besorgen. Dann braucht sie auch nicht immer nachts zu Bekannten zu gehen. „Dann wird noch mal alles anders.“ So wie sie es sagt, klingt es wie ein Versprechen. Ich nicke und gebe ihr meins, dass ich nur ein Foto von ihren Füßen mache.
Text+Foto: Lena Maja Wöhler
Hamburgs Winternotprogramm
Vom 1. November bis 31. März läuft das Winternotprogramm. 890 Plätze stehen zum Start bereit: Auf dem Schulhof neben dem Kollektiven Zentrum (KoZe) in der Münzstraße gibt es 400 Schlafplätze in einem Gebäude und in Wohncontainern. In einem ehemaligen Verlagshaus am Schaarsteinweg sind 350 Plätze eingerichtet. Die Einrichtungen sind täglich von 17 bis 9 Uhr geöffnet, tagsüber sind sie geschlossen. Hinzu kommen 140 der besonders begehrten Containerplätze, die in Kirchengemeinden, der Hochschule für angewandte Wissenschaften und bei der Evangelischen Hochschule für Sozialpädagogik beim Rauhen Haus stehen. Trotz Erhöhung der Kapazitäten werden die Plätze nicht ausreichen: Die Diakonie schätzt die Zahl der Menschen, die in Hamburg auf der Straße leben, auf 2000.
Mehr Porträts finden Sie in der November-Ausgabe von Hinz&Kunzt – ab 30. Oktober auf Hamburgs Straßen zu haben!
Text+Foto: Lena Maja Wöhler