Budapester Tagebuch :
Flüchtlinge am Budapester Bahnhof

Tausende Flüchtlinge gelangten in den vergangenen Tagen über Ungarn nach Deutschland. Viele harren allerdings weiterhin am Budapester Bahnhof unter widrigsten Umständen aus. Unser Autor Frank Keil berichtet vor Ort über die Situation.

Nach 15 Stunden Bahnfahrt durch vier Länder und nach Berlin, Prag, Bratislawa und zuletzt Budapest durch vier Hauptstädte ein wenig geschlafen. Na ja – geschlafen. In der Straße, wo ich wohne, reiht sich eine Bar und ein Club an den anderen, und die Ungarn gehen offensichtlich auch am Sonntag erst dann ins Bett, wenn sie sich so richtig ausgefeiert haben.

Und heute morgen bei Sonnenaufgang dann der Hausmeister von gegenüber, der ausgiebigst und bester Laune auf der Straße seine fünf Mülltonnen mit dem Wasserschlauch säuberte, was der Rabbi, der die kleine Hinterhofsynagoge aufschloss, freudig begrüßte. Kazinczy utca, also Kazinczy Straße – mitten im jüdischen Viertel. Und nicht weit vom Bahnhof Budapest Keliki entfernt, gerade jeden Abend im Fernsehen zu sehen.

Also mal schnell zum Bahnhof, wo gestern Nacht – so wirkte es – mehr Übertragungswagen als Flüchtlinge zu sehen waren. Ein Bahnhof, so monumental und erhaben, so kaiserlich-königlich-österreich-ungarisch, wie ein Bahnhof nur sein kann. Jetzt – kurz nach Sieben – dürften es wieder 300, 400 Flüchtlinge sein. Die auf dünnen Decken auf dem Boden schlafen, in der Unterführung zur Metro. Dazu einige, wenige Zelte.

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Der Bahnhof in Budapest ist für viele Flüchtlinge eine Zwischenstation. Von hier aus geht es weiter nach Österreich, Deutschland oder auch nach Schweden.

In einer Ecke ist die Budapester Straßenreinigung dabei, aufzuräumen. Rollt sehr umsichtig Iso-Matten zusammen, baut Zelte ab, sammelt zurückgelassene Kleidung ein – und trägt alles zu der privaten Organisation, die aus Partyzelte eine Hilfsstation errichtet hat. Nur echter Müll kommt in die Mülltonne.

Die ersten Flüchtlinge schälen sich aus den Decken und Schlafsacken, während auf dem Treppenaufgang über ihnen der erste Journalist seinen Laptop startet und etwas in sein Mikrophon spricht. Ich spreche Acelya an: „Wir sind überwiegend Studenten aus Budapest. Wir haben Schichten von zwei Stunden, dann machen wir eine Pause. Du musst eine Pause machen, wenn du gut helfen willst“, sagt sie.

Ich erzähle ihr, wer ich bin und dass ich für Hinz&Kunzt arbeite. „Wir haben schon so viele Obdachlose in der Stadt“, sagt sie. „Und jetzt kommen mit dem Flüchtlingen in gewissem Sinne viele weitere Obdachlose hinzu.“

Ihr Freund ist übrigens Deutscher. „Er ist gerade an der Uni, wir müssen ja beides zusammen vereinbaren: hier zu helfen und unser normales Leben.“ Aber sie muss jetzt weiter, die Krankenstation vorbereiten: „Es sind immer drei Ärzte vor Ort, erkennbar an den gelben Westen. Wir müssen ein bisschen Werbung machen: Viele Flüchtlinge wissen gar nicht, dass wir hier Ärzte haben.“

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Zahlreiche Schuhe spendeten die Menschen in Budapest für die Flüchtlinge, die im Bahnhof ausharren.

Wir verabreden uns auf später. Also nicht mit fester Uhrzeit oder so. „Komm einfach irgendwann am Nachmittag, dann kann ich dir mehr erzählen.“

Eine junge Frau kommt hinzu, verabschiedet sich von Acelya. Sie muss jetzt mal schlafen, sie kommt aus Schweden, frisch mit ihrem Freund per Flieger eingetroffen. „Warum ich hier bin? Ich spreche arabisch und mein Freund, der Arzt ist, hat irgendwelche Freunde in Budapest, die haben ihn angerufen – und deswegen sind wir jetzt hier. Aber – sorry! Ich muss mal ins Bett.“

Um uns herum laufen die Budapester zur Arbeit, zur Schule, zum Einkaufen. Manche tuen so, als wäre nichts los. Andere schauen sehr erschrocken, bleiben stehen, schauen etwa auf die Dutzenden von gespendeten oder zurückgelassenen Kinderschuhen, die fein säuberlich aufgereiht sind, damit Flüchtlingseltern ihre Kinder mit Schuhen versorgen können – und eilen dann zögerlich weiter.

Im Bahnhof selbst Polizei statt des normalen Bahnpersonals an den Zugängen zu den Bahnsteigen (in Ungarn darf man nur mit einer gültigen Fahrkarte einen Bahnsteig betreten und das wird sehr ernst genommen, selbst wenn Verliebte sich abholen).

Gruppen von Flüchtlingen laufen vor den Zugängen auf und ab und versuchen die Lage zu sondieren. Bleiben immer wieder stehen, beraten sich, schauen auf die Anzeigetafel, versuchen die Ortsnamen zu entziffern, diskutieren, laufen weiter. Dann gehen sie zu der Wechselstube rechts vom Ausgang und tauschen schon mal Geld um. Eine Lautsprecherdurchsage – ausnahmsweise auf Englisch: Man möge bitte beim Einsteigen in den Zug auf den Abstand zwischen Zug und Bahnsteig achten.

Draußen ein blauer, wolkenloser Himmel. Es wird ein schöner, warmer Sommertag werden.

Text und Fotos: Frank Keil

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