800 Flüchtlinge pro Monat brauchen eine Unterkunft. Da kamen die 2000 Obdachlosen eine Zeit lang zu kurz. Das soll sich ändern, verspricht Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) im Interview.
(aus Hinz&Kunzt 268/Juni 2015)
Kann sein, dass es das letzte Jahresinterview mit Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) ist. Kann sein, dass er im September schon weg ist und Vorstandsmitglied in der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg wird. Aber bis dahin hat er noch einen Job zu erledigen: Er muss mehr für Obdach- und Wohnungslose tun, finden wir. Um dem Nachdruck zu verleihen, hatten wir ihn gebeten, mit uns nachts mal durch die Stadt zu gehen und zu sehen, wie viele Obdachlose Platte machen, allein in der City. Mit dem Satz aus seinem letzten Interview im Mai 2014 wollten wir uns jedenfalls nicht mehr zufriedengeben. „Mit dem Rücken an der Wand“ stehe er bei der Unterbringung. Und die Obdachlosen hätten das Nachsehen, räumte er damals ein. Inzwischen hat sich die Situation verschärft. Sogar das Pik As, seit 102 Jahren Notasyl von Hamburg, in dem man wenigstens einen Platz für ein paar Nächte bekommen konnte, muss Menschen abweisen.
Hinz&Kunzt: Wie geht es Ihnen, wenn Sie durch die Stadt gehen und die Obdachlosen sehen? Die Diakonie spricht ja von geschätzt 2000.
Detlef Scheele: Ob das nun 2000 oder 1500 sind – wahrscheinlich sind es mehr als die von 2009 bekannten 1029. Wir waren ja zusammen unterwegs, und ich fand vor allem die Situation hinter der neuen Burg und hinter dem Rathaus sehr unangenehm für die Stadt.
H&K: Sie sehen das also nicht so sehr aus der Sicht der Menschen, die da liegen, sondern mehr, wie unangenehm das für die Stadt ist?
Scheele: Ich sehe das schon auch aus der Sicht der Obdachlosen. Aber als Hamburger Senator finde ich, dass sich eine wohlhabende Stadt so etwas nicht leisten kann.
H&K: Was heißt das übersetzt?
Scheele: Das heißt: Trotz der ungeheuren Anstrengungen, die wir zurzeit für Flüchtlinge, die hier Schutz suchen, unternehmen, müssen wir auch dahin gucken, wie es Hamburger Wohnungslosen – seien sie nun obdachlos auf der Straße oder in prekären Wohnverhältnissen – ergeht. Wir müssen noch mal einen Schwerpunkt auf diesen Bereich setzen. Wir haben ja zwei Staus: Auf der Straße leben besagte 1500 bis 2000 Menschen, und in den Unterkünften rund 5000 Menschen, die eigentlich Anspruch auf eine Wohnung hätten … Es gab ja schon vor anderthalb Jahre Pläne, wie man dem zu Leibe rücken könnte.
H&K: Warum wurde da so lange nichts getan?
Scheele: Wir hatten Projektgruppen und einen Hilfeplan: Wege aus der Obdachlosigkeit. Aber die Arbeit ist ja quasi zum Erliegen gekommen, weil wir so viele Flüchtlinge unterbringen müssen. Wir haben jetzt reagiert und das Referat hier in der Behörde geteilt: Ein Teil ist für Flüchtlinge und ein neuer Teil ist für Wohnungslose und Obdachlose zuständig, sodass wir die planerische Ressource erhöht haben. Und wir wollen bis zum Jahresende mit der Projektgruppe das Thema Clearinghäuser und Lebensplätze ins Werk setzen.
H&K: Was genau ist damit gemeint?
Scheele: Bei einem bestimmten Teil von Obdachlosen müssen wir hinnehmen, dass für sie die Rückkehr in Wohnraum schwierig ist. Aber wir wollen dafür sorgen, dass sie in öffentlicher Unterbringung bleiben können, ohne Angst zu haben, dass sie da wieder rausmüssen. Damit wollen wir die Lebenslage der Menschen akzeptieren und ihnen Ruhe geben. Und die Clearinghäuser sollen dazu dienen, das Menschen entweder aus dem Wohnungsverlust heraus oder aus öffentlich-rechtlicher Unterbringung in eine geeignete Wohnung ziehen können – mit entsprechender Unterstützung.
H&K: Das hört sich gut an, aber nicht nach einem Sofortprogramm. Was ist denn unter diesem Begriff, der immerhin Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden hat, zu verstehen?
Scheele: Das bedeutet, dass die Stadtentwicklungsbehörde zusammen mit uns ein Programm vorstellen wird, das nichts auf die lange Bank schiebt. Wir in der Sozialbehörde haben gesagt, wir beginnen jetzt mit dem Wohnungsbau für besondere Zielgruppen. Wir werden einer Stiftung ein Grundstück übergeben, das wir direkt vergeben können, weil die Ausschreibung gescheitert ist, und wir wollen so schnell wie möglich bauen – und zwar für Hamburger Obdachlose.
H&K: Wie viele Plätze?
Scheele: Das muss derjenige beurteilen, der das Grundstück bekommt. Mir schweben dabei Wohnungen vor, die es früher in Ledigenheimen gegeben hat. Kleine Einheiten für ein oder zwei Menschen, vernünftig ausgestattet mit Küche, Bad und einem Wohn-/Schlafraum, sodass man im eigenen Wohnraum leben kann. Wir können das über unser Bürgschaftsprogramm – eigenkapitalersetzende Bürgschaften – anregen, und die Miete wird über die Kosten der Unterkunft refinanziert. Außerdem haben wir das Angebot einer Wohnungsbaugenossenschaft, die ein Gebäude nicht mehr dauerhaft nutzen will und mit der wir darüber verhandeln, ob hier nicht auch eine Stiftung Träger wird, die dann die Wohnungen für Obdachlose zur Verfügung stellt.
H&K: Das klingt vielversprechend. Aber noch mal „sofort“: Allein in der City haben wir 18 Platten gezählt, alles Hartz-IV-Empfänger. Und das Pik As ist voll und weist jede Nacht Leute ab.
Scheele: Wir müssen klären, was wir mit den durch den Brandschutz im Pik As gedeckelten Plätzen machen und wir müssen klären: Wie gehen wir mit Menschen um, die hier keine Wohnberechtigung haben und auf der Straße leben?
H&K: Diese Diskussion ist obsolet, solange die Obdachlosen, die einen Rechtsanspruch haben, nicht untergebracht sind.
Scheele: Da stimme ich Ihnen zu.
H&K: Noch mal Pik As und Notasyl. Sie sagen zwar, für Kranke und Schwangere, die abgewiesen werden, mieten Sie Hotels an, aber nicht jeder hat ein Attest und ist schwanger. Wo gehen die dann hin?
Scheele: Die Frage ist sowieso: Was macht man mit dem Pik As, das ja auch baulich in einem Zustand ist, dass es gut wäre, einen Ersatz zu schaffen.
H&K: Auch eine gute Idee. Aber ich wollte ja wissen, wo jemand hingehen soll, wenn er sofort ein Dach über dem Kopf braucht: Ich bin obdachlos, komme ins Pik As, das ist voll, ich frage: Wo soll ich denn sonst hin? Was krieg ich dann zur Antwort?
Scheele: Wir haben gegenwärtig nicht mehr Plätze.
H&K: Aber man bräuchte doch für die, die beim Pik As abgewiesen werden, ein Notasyl, wie es das Pik As mal war.
Scheele: Dafür gibt es im Winter ein großes Winternotprogramm. Mehr ist gegenwärtig nicht leistbar.
H&K: Das ist mir unverständlich, aber ich komme hier nicht weiter. Deswegen Themenwechsel. Bei den Sophienterrassen in Harvestehude haben Anwohner gerichtlich durchgesetzt, dass die Stadt keine Flüchtlingsunterkunft für 220 Menschen einrichten darf. Ich frage: Wie geht es weiter mit den Sophienterrassen?
Scheele: Das Bezirksamt Eimsbüttel wird den Bebauungsplan ändern, sodass eine Nutzung für Flüchtlinge künftig möglich ist. Der Senat bleibt bei seiner Haltung: Auch wohlhabende Menschen in Harvestehude können sich ihre Nachbarn nicht aussuchen, wenn die Not groß ist.
H&K: Noch zu Ihnen persönlich. Sie werden ja womöglich die Nachfolge von Heinrich Alt im Vorstand der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg antreten und uns dann im September verlassen.
Scheele: Das ist bisher nicht abschließend entschieden. Aber mein beruflicher Schwerpunkt war immer die Arbeitsmarktpolitik. Ich war Geschäftsführer bei der Hamburger Arbeit, ich war Staatssekretär und ich habe als Senator auch einiges auf den Weg gebracht. Ich glaube, ich kann mit dem SGB II, wo es hauptsächlich um Leistungen für Arbeitslose geht, auch ein bisschen was bewegen.
Text: Birgit Müller
Foto: Mauricio Bustamante