Er liebt Kurt Tucholsky, Rainer Maria Rilke und seine Wahlheimat Hamburg. Rechthaberei bringt ihn um den Verstand. Ein Porträt des deutsch-türkischen Kabarettisten Kerim Pamuk – live zu erleben beim 4. Hinz&Kunzt Kabarett-Gipfel in Alma Hoppes Lustspielhaus.
(aus Hinz&Kunzt 268/Juni 2015)
Er kommt auf die Bühne mit der Nebensächlichkeit eines Mannes, der morgens ins Bad schlurft. Kein Blick zum Publikum, das ihn erwartungsvoll anguckt. Stattdessen starrt Kerim Pamuk auf sein Smartphone. Jetzt hält er es hoch, er sucht offensichtlich ein Netz. Kurze Zeit später: Resignation. Immer noch hat er kein Wort gesagt. Die Zuschauer in der Barmbeker „Zinnschmelze“ sind tendenziell überfordert.
Kerim Pamuk ist Kabarettist, Schriftsteller, Vater von drei Kindern und „Hamburger Türke“. Das ist die Standardantwort, wenn ihn mal wieder jemand fragt, „als was“ er sich fühlt. In der Türkei ist er geboren. Mit neun Jah- ren emigrierte er nach Winterhude. Seine Eltern hatten 1973 angefangen, sich hier ein neues Leben aufzubauen. Die erste Gastarbeiter-Generation. Pamuk verließ seine Heimat, eine türkische Kleinstadt, und die Großeltern, die sich bis dahin um ihn gekümmert hatten. Er verließ ein Haus, in dem es erst fließen- des Wasser gab, als er sechs Jahre alt war. Er verließ Straßen, auf denen die Nachbarn ihre Kühe trieben und Lautsprecher plärrten. Anfangs wunderte er sich, wie still eine Großstadt wie Hamburg sein kann.
Zurück in die Zinnschmelze: Nach endlosen Sekunden bricht Pamuk die Stille. Wenn der moderne Mensch etwas nicht aushalten kann, dann ja Stille. Die Zuschauer sind deshalb hörbar erleich- tert, als Pamuk endlich spricht. Er sagt: „Ich bin ja einer von diesen Menschen, die sofort so eine negative Energie mit- bringen, wenn sie einen Raum betreten.“ Selbstreflexion, ein guter, weil überraschender Einstieg. Pamuk spricht nun über seine „mürrische Fresse“, sagt, er „könne ja auch nichts dafür“. So sieht er nun mal aus. Naturgrimmig, gewis- sermaßen. Ein Mann, der andere zum Lachen bringen will, geschlagen mit ei- ner naturgrimmigen Fresse. Das ist lus- tig. Zwei Frauen lachen zum ersten Mal laut los. Am Ende des Abends werden sie Taschentücher brauchen, wegen all der Lachtränen, sie werden geprustet, nach Luft geschnappt und sich immer wieder angebufft haben: Herrlich!
„Je mehr Frauen im Publikum sind, desto besser für die Stimmung“, hatte Pamuk Tage zuvor gesagt. Er saß beim Stamm-Italiener, aß Pizza, trank Apfelschorle und guckte leicht mürrisch aus dem Fenster. Im Gegensatz zu Männern würden Frauen leichter loslassen. Das Grauen hingegen: „Ein Raum voll skep- tischer Männer, die nach 20 Minuten das erste tiefe ‚Hoho‘ von sich geben.“ Die andere Frage ist nicht so einfach zu beantworten. Die Gretchenfrage: „War- um gibt es eigentlich so wenig Kabaret- tistinnen?“ „Ich weiß es nicht“, sagt Pamuk. Frauen seien genauso lustig wie Männer. Käthe Lachmann etwa, die mag er sehr.
Rechthaberei findet er typisch norddeutsch
Er stand zum ersten Mal auf der Bühne mit 27 Jahren: Fünf Minuten im „Fools Garden“, einer „ranzigen Spelunke.“ Vorher hatte er vier Semester Informatik studiert, er hatte halbherzig versucht, Geschichts- und Deutsch-Lehrer zu werden und sich letztlich für Turkologie und Germanistik entschieden. Nebenher jobbte er als Altenpfleger. Das Studium brach er dann doch ab. Weil nach den fünf Minuten auf der Bühne („es kamen keine Tomaten zurück“) sein Berufswunsch feststand. Die Reaktion der Eltern: „Relativ sportlich“, so Pamuk, „die Fronten waren schon geklärt.“
Fronten. Ein gutes Stichwort. Gerade ist Pamuk wieder genervt davon, dass er für alle nur noch „der Moslem“ ist. Nach dem 11. September habe das angefangen, momentan sei es aber besonders schlimm. Er hat deshalb sogar et- was getan, was er eigentlich ablehnt: einen „offenen Brief“ geschrieben an alle Islamhasser. Weil er nicht immer der Sündenbock sein wollte: „Religion ist ein Teil meiner Identität, aber beileibe nicht der bestimmende“, sagt Pamuk. Mit Kollege Lutz von Rosenberg Lipinsky liefert er sich einen religiösen Schlagabtausch im gemeinsamen Programm „Brüder im Geiste“. „Es geht darum, dass man zu diesem vermeintlichen Tabuthema Religion endlich mal einen anderen Zugang findet und es von seinem heiligen Sockel herunterholt.“
Was ihn noch wundert: Rechthaberei. Dieses Kopfschütteln, wenn es einer wagt, mit dem Rad auf der falschen Seite zu fahren. Typisch norddeutsch, so Pamuk. „Du wirst nie im Leben einen Türken finden, der sich hinstellt und dann ‚ts, ts, ts‘ macht.“
In der Zinnschmelze hat Pamuk sein Smartphone jetzt eingesteckt. Er imitiert Cristiano Ronaldo, den Weltfußballer. Für Pamuk eher Weltmeister im Jam- mern. „Wie er mit erhobenen Händen dasteht: Wieso bekomme ich keinen Elf- meter, obwohl mein Haar nach dem Foul jetzt falsch liegt?“ Der anfangs noch so stille Pamuk redet sich in Rage. „Die- se Memme macht aus mir einen Macho! Bei so einem Getue bin ich dann doch zu sehr Türke.“ Hamburger Türke.
Text: Simone Deckner
Foto: Andreas Hornoff
4. Hinz&Kunzt Kabarett-Gipfel in Alma Hoppes Lustspielhaus, Ludolfstraße 53, 14. Juni, 14.30 Uhr, mit Kerim Pamuk und Lutz von Rosenberg Lipinsky, Heino Trusheim, dem DamenLikörChor, Nils Loenicker und Jan-Peter Petersen (Alma Hoppe), Axel Zwingenberger, Moderation: Axel Pätz. Karten ab 18 Euro, Telefon 55 56 55 56 vvk@almahoppe.de. Alle Künstler verzichten auf ihre Gage. Die Einnahmen kommen Hinz&Kunzt zu Gute.