Im Streit um den Zeise-Parkplatz fordert die Initiative Pro Wohnen Ottensen den Rücktritt von Bezirksamtsleiterin Liane Melzer. Das Amt ließ das erfolgreiche Bürgerbegehren gegen Büros auf dem Areal ins Leere laufen, indem eine Baugenehmigung erteilt wurde.
CDU, Grüne und Linke werkeln nach Medienberichten offenbar bereits an einer Absetzung der Altonaer Bezirksamtsleiterin Liane Melzer. Ihr Amt hatte vergangene Woche die Baugenehmigung für das Büroprojekt auf dem ehemaligen Zeise-Parkplatz erteilt und dabei ein erfolgreiches Bürgerbegehren gegen das Projekt völlig ignoriert. Das sorgt nicht nur unter Anwohnern für Empörung.
Denn während im Bezirk Mitte in den vergangenen Monaten ein wohl bundesweit einmaliges Beteiligungsverfahren um das Areal der ehemaligen Essohäuser eingeleitet wurde, lässt das Bezirksamt Altona die Bürger im Regen stehen. Die hatten seit Oktober mehr als 9000 Stimmen gegen den geplanten Bürobau gesammelt. Doch nach der Rechtsauffassung des Bezirks kann das Bürgerbegehren keine Sperrwirkung mehr entfalten, weil sich die Bauherren an den geltenden Bebauungsplan halten und dadurch Anspruch auf die Erteilung einer Baugenehmigung haben.
Rechtlich sei das Vorgehen nicht zu monieren, sagt Robert Jarowoy, Bezirksabgeordneter von der Linken in Altona. Ein „Vertrauensbruch“ sei allerdings das weitere Vorgehen des Bezirks. Dieser hätte nicht nur die Initiatoren des Bürgerbegehrens, sondern auch die Lokalpolitik vor den Kopf gestoßen. Denn nicht einmal der Bauausschuss wurde über die erteilte Baugenehmigung informiert. „Das ist politisch richtig dumm“, sagt Sven Hielscher. Der CDU-Politiker aus Altona ist kein Gegner des Bürobaus. Ihn stört vielmehr das Vorgehen der Bezirksverwaltung.
Tatsächlich hatte der Bezirk im Streit um den Zeise-Parkplatz bereits in der Vergangenheit alles andere als transparent agiert. Seit 1997 gilt für das Grundstück Zeise-Parkplatz der Bebauungsplan Ottensen 49. Dieser sieht eine gewerbliche Bebauung vor, so wie sie jetzt umgesetzt wird. Jahrelang fand sich allerdings kein geeigneter Investor.
Nach dem Regierungswechsel 2011 erklärte die SPD den Wohnungsbau zum vorrangigen Ziel und für das Areal neben den Zeisekinos wurde ein Ideenwettbewerb zur Wohnungsbebauung ausgeschrieben. Aus diesem Anlass gab die Stadt dem Entwickler Procom Invest das Grundstück anhand. Das Ergebnis: Über einer Gewerbezeile sollten mehr als 80 neue Mietwohnungen entstehen. Die Hälfte davon Sozialwohnungen. „Da sind wir richtig stolz drauf“, verkündete Mark Classen, damals SPD-Fraktionsmitglied, im Herbst 2012 gegenüber dem Abendblatt.
Im vergangenen Jahr erfolgte der plötzliche Kurswechsel: Auf einmal war nur noch von einem reinen Bürokomplex die Rede. Mit der internationalen Werbeagentur WPP, der die Hamburger Agentur Scholz & friends angehört, stand bereits ein Ankermieter fest. Dass die Pläne erst zwei Monate nach der Bezirksamtswahl öffentlich wurden, obwohl laut altona.info die „Informationen auch zu diesem Zeitpunkt schon in Politikerkreisen verbreitet waren“, sorgte für den ersten Ärger im Stadtteil. Im Oktober meldete die Initiative Pro Wohnen Ottensen daraufhin ein Bürgerbegehren gegen den Bürobau an.
Dass der Bezirk zwei Tage später kurzerhand den Bauvorbescheid auf dem Grundstück erteilte, sorgte bei Gegnern für Irritationen. „Es war das erste Mal in meiner achtjährigen Tätigkeit im Bauausschuss, dass zwei Anträge für den Tief- und den Hochbau gestellt wurden“, sagt Robert Jarowoy von der Linken. Da sich der Antrag für den Tiefbau im Rahmen des geltenden Bebauungsplan bewegte, konnten die Bodenarbeiten aufgenommen werden. „Ich bin von Haus aus kein Verschwörungstheoretiker“, sagt CDU-Politiker Hielscher. Aber so, wie die Verwaltung derzeit agiere, würde solchen Theorien unnötiges Futter geliefert. So vermuten Initiativenvertreter, dass der Investor für den Hochbau Änderungen am Bebauungsplan vornehmen wollte. Dann hätte allerdings das Bürgerbegehren die Baupläne noch ausbremsen können. Ob sich der jetzt präsentierte Bauantrag im Rahmen des geltenden Bebauungsplans, müssen jetzt Gerichte klären. Denn Pro Wohnen Ottensen will dagegen vorgehen.
Bis heute hat sich die Aufregung in Ottensen nicht gelegt
Hauke Sann, Mit-Initiator der Bürgerinitiative, fasst im Gespräch mit Hinz&Kunzt den Unmut in Worte: „Ottensen ist kein angenehmer Platz mehr, wenn hier fast 1000 Leute dazukommen. Wir brauchen Wohnungen und keine Büroklötze.“ Sann widerspricht auch der Darstellung des Bezirks, dass durch die Ansiedlung neue Arbeitsplätze geschaffen werden. WPP würde lediglich mehrere Werbeagenturen auf dem ehemaligen Zeise-Parkplatz unter einem Dach zusammen führen, so der Stadtteilaktivist.
„Unser Protest richtet sich ausdrücklich nicht gegen Werber“, sagt Hauke Sann, der selber in der Branche tätig ist. Vielmehr sei der Bürobau völlig überdimensioniert. „Mitten im Wohngebiet wird dadurch die Mietpreisspirale weiter in die Höhe getrieben.“ Für den Unmut der Anwohner äußerte Bezirkschefin Melzer im Gespräch mit Hinz&Kunzt vor einigen Monaten vollstes Verständnis. Trotzdem hält sie an den Bürobauplänen fest: „Ich habe die Sorge, dass in Ottensen reines Wohnen überhandnimmt und der Stadtteil damit seinen Charakter verliert.“
Inzwischen rudert die Bezirkschefin ein Stück zurück. „Ich bin davon ausgegangen, dass es zu diesem Projekt eine politische Mehrheit gibt“, heißt es in einer Stellungnahme des Bezirks. Tatsächlich konnte sie sich langer Zeit der Unterstützung durch Grüne und CDU sicher sein. Doch diese fühlen sich inzwischen übergangen. Von Absetzungsplänen will Robert Jarowoy bislang nichts gehört haben. „Wir sind aber auch nicht die Königinnenmörder“, stellt er klar. Eine Absetzung sei schließlich nur über ein konstruktives Misstrauensvotum möglich. Sollten CDU und Grüne allerdings einen geeigneten Kandidaten finden, der vor allem die Bürgerbeteiligung stärkt, würde sich seine Fraktion einem Personalwechsel nicht versperren.
Text: Jonas Füllner
Foto: Mauricio Bustamante