Wanderarbeiter dürfen nicht schlechter bezahlt werden als einheimische Beschäftigte. Diese gängige Praxis vieler Unternehmen hat der Europäische Gerichtshof verboten. Konkret ging es um Polen, die auf der Baustelle eines Kernkraftwerks in Finnland arbeiteten.
Unternehmen lassen sich oft miese Tricks einfallen, um Arbeitnehmer um ihren Lohn zu prellen. Einem dieser Tricks hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) jetzt einen Riegel vorgeschoben: Immer wieder beschäftigen Firmen Wanderarbeiter aus dem Ausland und bezahlen ihnen nicht den gleichen Lohn, den die einheimischen Arbeiter erhalten. Das ist nicht nur ungerecht, sondern auch europarechtswidrig, bestätigte nun der EuGH. Sind Wanderarbeiter als sogenannte entsandte Beschäftigte eines Subunternehmers im Ausland tätig, haben sie Anspruch auf den gleichen Lohn wie die einheimischen Stammbeschäftigten.
Rüdiger Winter freut sich: „Das Urteil stärkt unsere Position“, sagt der Leiter der Hamburger Servicestelle Arbeitnehmerfreizügigkeit. Immer wieder suchen Menschen, die für ausländische Subunternehmen in hiesigen Betrieben arbeiten, Hilfe bei der Beratungsstelle. Mindestens 40 Fälle sind es derzeit, so Winter, Tendenz steigend. Oft arbeiten die Betroffenen auf dem Bau, im Lager oder als Leiharbeiter. Meist geht es darum, dass sie nicht korrekt bezahlt worden sind.
Im vorliegenden Fall hatten Arbeiter aus Polen geklagt, die für einen Subunternehmer auf der Baustelle eines Kernkraftwerks in Finnland gearbeitet hatten. Ihnen war jedoch nicht der Lohn gezahlt worden, den die finnischen Tarifverträge für die Stromwirtschafts- und Haustechnikbranche vorsehen. Genau das hätte geschehen müssen, so der Europäische Gerichtshof. Zur Begründung verweist er auf die Entsenderichtlinie der Europäischen Union (EU): Sie solle „einen lauteren Wettbewerb“ sicherstellen und entsandten Arbeitnehmern „ein Mindestmaß an Schutz“ garantieren.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) begrüßte das Urteil. „Es bekräftigt den Grundsatz, den wir immer gefordert haben: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Arbeitsort“, sagt Ghazaleh Nassibi vom DGB-Bundesvorstand. Dieser Anspruch ergebe sich hierzulande ohnehin aus dem neuen Mindestlohn-Gesetz sowie den für allgemeinverbindlich erklärten Branchen-Tarifverträgen, etwa für die Bau- oder Fleischwirtschaft. Doch hätten die Richter noch einmal verdeutlicht: „Alles, was mit dem Mindestlohn zu tun hat, ist nach dem Recht des Staates zu beurteilen, in dem die Menschen arbeiten.“
Zudem habe der Europäische Gerichtshof verdeutlicht, dass tatsächlich anfallende Kosten wie Unterkunft und Verpflegung nicht als Bestandteil des Mindestlohns berechnet werden dürften. „Das ist eine wichtige Klarstellung, die übertragbar sein könnte.“ Praktiken wie die eines Solariumsbetreibers, der seinen Mitarbeitern statt des neuen bundesweiten Mindestlohns von 8,50 Euro die Stunde 8 Euro und einen Gutschein als Lohn bezahlt, könnten von deutschen Arbeitgerichten bald für rechtswidrig erklärt werden, hofft die Gewerkschafterin: „Man kann aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs ableiten, dass das nicht zulässig ist.“
Unmittelbar gilt der Richterspruch aber nur für entsandte Arbeitnehmer. Als solche werden Menschen bezeichnet, die im Auftrag eines Subunternehmens für einen begrenzten Zeitraum von mehreren Monaten oder Jahren in ein anderes EU-Land zum Arbeiten geschickt werden. Wie viele entsandte Beschäftigte es in Deutschland gibt, wird nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit nicht erfasst.
Für Beratungsstellen-Leiter Winter geht es nun darum, geltendes Recht auch durchzusetzen: „Das Problem ist immer wieder, die Verantwortlichen zu finden und zur Rechenschaft zu ziehen. Da muss die länderübergreifende Zusammenarbeit der Behörden besser werden.“
Text: Ulrich Jonas
Foto: Mauricio Bustamante