Wohnprojekte in Gefahr :
Für immer bleiben!

Vor einem Vierteljahrhundert entstanden in Hamburg zahlreiche Wohnprojekte. Deren Bewohner organisieren ihr Zusammenleben und die Verwaltung der Häuser selbstständig. Jetzt fürchten sie um ihre Zukunft. Im Bürgerschaftswahlkampf präsentieren die Grünen einen möglichen Ausweg.

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In der Jäpa in der Wohlwillstraße entscheiden die Bewohner gemeinsam, was im Haus passiert. „Am Ende finden wir doch meistens eine Einigung“, sagt Bewohnerin Imke Backhus.

Wenn Tina Offeney duschen will, muss sie durch das zugige Treppenhaus in den Keller gehen. Dort befindet sich das Gemeinschaftsbad mit der großen Badewanne in der Ecke und den bunten Fliesen an der Wand. „Wir haben das alles selber gemacht“, sagt die 47-Jährige. Ihre Wohnung war zu klein für ein eigenes Badezimmer. Trotzdem fühlt sie sich in dem Wohnprojekt in der Jägerpassage auf St. Pauli wohl. „Ich habe ja nicht nur meine kleine Wohnung“, sagt Offeney. Zusätzlich gibt es zahlreiche Gemeinschaftsräume, die sie sich mit ihren Mitbewohnern teilt.

Wer was in welchen Räumen machen kann, darüber entscheiden die Bewohner des Wohnprojekts Jäpa in der Wohlwillstraße gemeinsam. „Klar, wir streiten uns auch“, sagt ihre Nachbarin Imke Backhus und muss lachen. „Aber am Ende finden wir doch meistens eine Einigung.“ Die Bewohner befürchten allerdings, dass sich künftig andere in ihre Entscheidungen einmischen. Noch in diesem Jahr endet die Förderzeit für das Sanierungsgebiet Wohlwillstraße. Städtische Wohnimmobilien wie die Jäpa sollen an die Saga GWG verkauft werden.

Die Bewohner sorgen sich um ihre Selbstverwaltungsstrukturen und sie haben Angst vor steigenden Mieten. „Als Aktiengesellschaft sind die doch nur auf Gewinn aus“, sagt Backhus. Die Bewohner aus der Jäpa haben sich daher mit anderen Wohnprojekten zusammengeschlossen. Um deren Erhalt zu sichern und um die Geschichte alternativer Wohnprojekte fortzuschreiben. Wäre es nach dem Willen der Baubehörde gegangen, sagt Offeney, dann würde ihr Wohnhaus längst nicht mehr stehen.

„Die Häuser standen in den 1980ern lange leer“, erinnert sie sich. Eine Abrissgenehmigung gab es schon. Zusammen mit anderen entschied sie sich Ende der 1980er-Jahre, das Haus zu besetzen. „Erst danach hat die Stadt mit uns verhandelt.“ Inzwischen haben die damaligen Besetzer längst einen Verein gegründet, der seitdem das Gebäude von der Stadt mietet, ganz legal. Die Bewohner packten bei der Sanierung mit an. „Wenn Rohre verstopft sind oder Fenster ausgewechselt werden müssen, machen wir das bis heute fast immer selber“, sagt Offeney. Nur so sichern sie ihre niedrigen Mieten, die es sonst im Stadtteil kaum mehr gibt.

Selbstverwaltung und niedrige Mieten

Wohnprojekte wie die Jäpa gibt es in Hamburg Dutzende. Insbesondere auf St. Pauli, in der Schanze oder in Wilhelmsburg haben sich Hausbewohner zusammengeschlossen und organisieren gemeinsam ihr Zusammenleben. Davon profitieren nicht nur sie selbst: Einige Wohnprojekte haben seit mehreren Monaten afrikanische Flüchtlinge aufgenommen. Was in den Häusern geschieht, das entscheiden die Bewohner.

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In der Bernstorffstraße entstand das Wohnprojekt Villa Magdalena K. Vereinsmitglied Skadi Sarnoch (rechts) nutzt dessen Räume oft, Andrew Andrea Schütt lebt hier.

Auch in der Villa Magdalena K in der Bernstorffstraße gibt es weder einen Hausmeister noch eine Hausverwaltung. Entscheidungen werden autonom und eigenständig gefällt, erzählt Andrew Andrea Schütt: „Dafür treffen wir uns jede Woche zum Hausplenum.“ 1989 besetzte eine Gruppe Frauen das Haus, das die Stadt ihnen daraufhin überließ. Das feministische Wohnprojekt will Arbeiten und Wohnen in den eigenen vier Wänden verbinden. Im Erdgeschoss gibt es neben einem kleinen Veranstaltungsraum ein Fotolabor und eine Siebdruckwerkstatt. „Durch den Werkstattbereich habe ich Möglichkeiten, die ich woanders so nicht finde“, sagt die 34-jährige Schütt.

Auch in der Jäpa wollte man von Beginn an eine Öffnung in den Stadtteil hinein erreichen. „Noch heute kommen Viertelbewohner vorbei, die einfach mal unsere Werkstatt nutzen“, sagt Offeney und verweist auf die Nähwerkstatt und die Tischlerei im Keller. Freitags, erzählt sie, kocht die Tochter eines Mitbewohners mit ihrer Jugendgruppe vegetarisches und veganes Essen für bis zu 50 Gäste. „Die können das inzwischen richtig gut“, sagt Offeney. Welcher Vermieter bietet so etwas schon in seinem Reihenhaus an?

Selbstverwaltung bedeutet auch, Verantwortung zu übernehmen

„Jeder sollte das Recht haben, seinen Lebensraum selbst zu gestalten“, sagt Jule Mücke. Die 29-Jährige wohnt seit zwei Jahren in der Fuhle, einem Wohnprojekt an der Fuhlsbüttler Straße in Ohlsdorf. Für die zwölf Bewohner sind die Mieten bezahlbar, um die 300 Euro kostet ein WG-Zimmer. Zur Selbstverwaltung gehöre allerdings auch, Verantwortung zu übernehmen. Mietverträge müssen formuliert, Renovierungsarbeiten geplant und durchgeführt werden. Das kostet Zeit. „Bei uns muss man mehr tun, als nur ein bisschen zu putzen“, sagt Mücke. Ein Hausprojekt sei eben mehr als nur ein Wohnzimmer, ergänzt ihre Mitbewohnerin Korinna Schulz: „Wer das nicht will, kann hier nicht wohnen.“

Hunderte Menschen in Hamburg wollen das, teilweise seit Jahrzehnten. Und sie machen es gut, sagt Karin Schmalriede aus dem Vorstand der staatsnahen Lawaetz-Stiftung. „Diese Projekte sind Beispiele dafür, dass man Menschen Dinge anvertrauen kann“, sagt sie. „Das sieht man daran, wie gut die Häuser instandgehalten werden.“ Die Lawaetz-Stiftung lässt sieben Wohnprojekte von einer Tochtergesellschaft der Stiftung verwalten. Sie gehören formal der Stadt, aber deren Bewohner haben mit den Behörden wenig zu tun.

Fördergelder von der Stadt

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Korinna Schulz (links) und Jule Mücke in der Gemeinschaftsküche der Fuhle.

Als Reaktion auf zahlreiche Hausbesetzungen und wohnungspolitische Diskussionen führte der SPD-Senat 1984 das Alternative Baubetreuungsprogramm (ABB) ein. Durch Altbauinstandsetzung sollten preiswerte Wohnungen geschaffen werden. Die Hausbesetzer renovierten die zum Teil kaum mehr bewohnbaren Häuser in Eigenleistung und bekamen dafür Fördergelder der Stadt – und die Zusage, dort künftig für geringe Mieten wohnen zu können. Ziel des Programms sei es gewesen, sozial benachteiligten Mietern „Chancen für eine dauerhafte und wirtschaftlich vertretbare Nutzung nach eigenen Vorstellungen und in möglichst eigenständiger Verwaltung zu geben“, schrieb der damalige Stadtentwicklungssenator Thomas Mirow (SPD) im Jahr 1994.

In den 1980ern war noch Überzeugungsarbeit nötig, um das Programm durchzusetzen. Bei der damaligen Baubehörde habe es „große Vorbehalte“ gegeben, die Gruppen könnten die Lust am Renovieren verlieren und einfach irgendwann mit den Umbauten aufhören, erzählt Karin Schmalriede. Auch habe es Zweifel gegeben, dass die Verwaltung der Häuser durch ihre Bewohner reibungslos funktioniere. „Das konnten wir beides widerlegen“, sagt sie. „Es gibt keinen Fall, in dem es nicht funktioniert hat.“

Ungewisse Zukunft

Trotzdem fürchten die Wohnprojekte um ihre Zukunft. In den kommenden Jahren enden bei vielen Projekten die für 25 Jahre geschlossenen Verträge. „Immer mehr Projekte, die früher mal besetzt waren, müssen sich plötzlich mit Kaufüberlegungen beschäftigen“, sagt Christiane Hollander von Mieter helfen Mietern. Als zum Beispiel im Karolinenviertel das Sanierungsgebiet 2013 endete, verkaufte die Stadt ihre Immobilien an die Saga GWG – auch die ABB-Projekte. „Mittelfristig“ wolle die Stadt alle ihre Wohnimmobilien an die Saga GWG verkaufen, sagt ein Sprecher der Finanzbehörde.

Stiftungslösung?

Kurz vor der Bürgerschaftswahl schlagen die Grünen die Gründung einer Stiftung für sozialen Wohnungsbau vor. Diese soll günstige Mieten sichern und weitere Wohnungen für Obdachlose und Flüchtlinge bauen. Im Wert von etwa 10 Millionen Euro sollen auch Wohnprojekte im Besitz der Stadt die Grundlage der neuen Stiftung bilden. „Statt die Projekte an die Saga GWG zu verkaufen und Gewinn abzuschöpfen, würde im Sinn der Stiftung Wohnraum für Bedürftige geschaffen“, sagt Olaf Duge, stadtpolitischer Sprecher der Grünen.
Und die Politik? Aus der SPD heißt es lediglich, eine Förderung der Projekte wie noch zu ABB-Zeiten sei heute nicht mehr möglich. Die Grünen hingegen sprechen sich deutlich für den Erhalt der Wohnprojekte und gegen einen Verkauf an die Saga GWG aus. „Wir werden alle verfügbaren Hebel nutzen, um die Mieterselbstverwaltung der Wohnprojekte zu unterstützen“, verspricht der Bürgerschaftsabgeordnete Olaf Duge. Wohnprojekte und Saga GWG – passt das überhaupt zusammen? „Wenn man an eine Aktiengesellschaft verkauft wird, muss man Rendite erwirtschaften“, sagt Mieteranwältin Hollander.

Dass die Saga GWG tatsächlich versuchen könnte, aus den Wohnprojekten Profit zu schlagen, zeigt ein Beispiel: Das Unternehmen bot einem Projekt im Karoviertel an, ihr Haus zu kaufen. Der anvisierte Kaufpreis beläuft sich nach Angaben der Bewohner auf ein Vielfaches der rund 200.000 Euro, für die die Saga GWG das Gebäude zuvor von der Stadt erhielt. Das Unternehmen bestätigt lediglich, dass es Verhandlungen gibt.

„Warum soll man daran rühren, wenn es gut funktioniert?“

Auch Karin Schmalriede von der Lawaetz-Stiftung hält den Verkauf der Wohnprojekte an das Unternehmen für keine gute Idee. „Die Saga ist ein guter Hausverwalter, kennt sich aber vermutlich mit Selbstverwaltung nicht aus“, sagt sie. Ein individuell auf die Projekte zugeschnittenes Vorgehen wäre für das Unternehmen „eine Zumutung“, glaubt sie. Daher plädiert sie dafür, dass die Stadt die Häuser in ihrem Vermögen behält und die Stiftung weiterhin den Austausch mit den Bewohnern pflegt. „Warum soll man daran rühren, wenn es gut funktioniert?“

Die Wohnprojekte sind jedenfalls aufgescheucht und haben einen Dachverband gegründet. „Wir fordern die Stadt auf, die Projekte nicht an die Saga zu verkaufen, sondern sich direkt an die Projekte zu wenden“, schreiben sie in einem Positionspapier. Projekte seien verkauft worden, ohne dass deren Bewohner davon wussten. Sie sorgen sich, vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Auf Hinz&Kunzt-Nachfrage hieß es aus der Finanzbehörde, dass es bislang keine weiterführenden Pläne für die Projekte gebe – also auch keine, die ihren Fortbestand sichern würden.

Stattdessen machen sich die Projektbewohner nun selbst darüber Gedanken, wie sie weiter nach ihren Vorstellungen wohnen könnten. Manche überlegen, die Häuser zu kaufen und in eine Stiftung zu überführen. Einige könnten sich das leisten, andere nicht. Wieder andere informieren sich, wie man eine Genossenschaft gründet. Die Meinungen darüber, was sinnvoll wäre, gehen auseinander. Einig sind sie sich darin, dass sie nicht der Saga GWG gehören wollen.

Tatsächlich haben die Hausbesetzungen und das spätere Förderprogramm der Stadt dazu geführt, dass die Mieten in den Häusern günstig blieben und bis heute Platz für alternative Lebensentwürfe besteht. Und sie haben, wie das Beispiel Jäpa zeigt, historische Bauwerke gerettet. Das um 1870 erbaute Haus gilt als eines der ältesten Zeugnisse des sozialen Wohnungsbaus. Tina Offeney aus der Jäpa fragt sich angesichts dieser Bilanz: „Warum sollte man etwas aufgeben, was man früher gefördert hat?“

Text: Jonas Füllner und Benjamin Laufer
Fotos: Dmitrij Leltschuk