Buy Buy St. Pauli :
Treibstoff für die Esso-Häuser

Drei Jahre lang begleitete ein Filmteam den Protest rund um die Esso-Häuser. Nun feiert die Doku „Buy Buy St. Pauli“ Premiere. Die Zukunft des Areals am Spielbudenplatz ist weiterhin offen.

(aus Hinz&Kunzt 261/November 2014)

EssoHaeuser_BaldwinProduction
Da standen sie noch: Szene aus der Doku „Buy Buy St. Pauli“.

Auch wenn die Häuser verloren sind: Was die Initiative Esso-Häuser erreicht hat, ist super“, sagt Olaf Sobczak. Er sitzt am Hein-Köllisch-Platz und trinkt den ersten Kaffee des Morgens, seine Schiebermütze hängt ihm tief im Gesicht. Nur einen Steinwurf entfernt standen vor Kurzem noch die Esso-Häuser. 1959 erbaut, 2009 an einen ­Investor verkauft, seit 2011 hart umkämpft. Im Mai rollten die Bagger schließlich doch noch an. Mit langen Greifarmen rissen sie die Plattenbauten Stück für Stück auseinander, hinterließen eine klaffende Wunde mitten auf St. Pauli. Trotzdem sind Sobczak und seine Filmteam-Kollegen Irene Bude und Steffen Jörg nicht am Boden zerstört.

„Alles in allem würde ich sagen, dass der Protest als Erfolg zu werten ist“, sagt Steffen Jörg, ein Mann mit weichen Gesichtszügen und schmaler Brille. Die ehemaligen Mieter sind gut untergekommen: übergangsweise oder für immer. Wer will, kann in den Neubau ziehen, zu welchen Konditionen ist noch unklar. Die Bayerische Hausbau hat ­unter großem Druck angeboten, eventuell doch bis zu 50 Prozent öffentlich geförderte Wohnungen zu bauen. Und: Die Hamburger sollen mitbestimmen, wie das neue Areal am Spielbudenplatz gestaltet werden soll. Dafür sammelt die „Planbude“ seit Oktober Ideen. So etwas gab es noch nie.

Das Filmteam („Empire St. Pauli“) hat die dramatischen Ereignisse um die Esso-Häuser nicht aus der Distanz ­beobachtet. Sie haben selbst gegen den Abriss demonstriert: hockten stundenlang auf ungemütlichen Stühlen bei Stadtteilversammlungen und hörten sich an, wieso die Esso-Häuser angeblich nicht saniert werden konnten („zu teuer“). Verteilten Postkarten und Aufkleber im Viertel. Schüttelten bei einem Flashmob Kissenfedern in den Nachthimmel. Dabei hatten sie stets die ­Kamera dabei. Unzählige ehrenamtliche Einsätze neben ihren Jobs. „Es gibt ja Filmkollektive, die sagen: ‚Die Kamera ist unsere Waffe!‘ So betrachten wir das nicht, aber wir sind Teil der Bewegung und Teil des Kampfes“, sagt Sobczak. Mehr als drei Jahre Drehzeit haben sie in 90 Minuten zusammengefasst. „Wir konnten aus dem Vollen schöpfen“, sagt Irene Bude, eine Frau mit blitzenden ­Augen und kurzen Haaren, und lacht.

„Buy Buy St. Pauli“ beginnt mit einer Ansicht der Esso-Häuser aus der Vogelperspektive. Möwen kreisen über den oberen Etagen. Jürgen Moebus, dessen Wohnung aussieht wie ein FC-St.-Pauli-Museum, wird später erzählen, dass er sich noch an die Zeiten erinnert, in denen auf der Wiese im Hof zwei Schafe grasten. „Die haben hier Rasen gemäht.“ Die Schafe gehörten der ehemaligen Eigentümerfamilie Schütze. Die Probleme begannen, als diese die Esso-Häuser 2009 an die Bayerische Hausbau verkaufte. Schnell wurde klar: Der Investor wollte Gewinn machen mit Luxus-Eigentumswohnungen. Da störten Mieter wie Moebus bloß.

Der Film porträtiert die Bewohner ohne verklärte Kiez-Romantik. Es sind besorgte Menschen wie Ruth Oberdieck, die mehr als ihr halbes Leben in den Esso-Häusern gewohnt hat. Früher konnte sie von ihrem Balkon die Bierkutscher von der Astra-Brauerei anfahren sehen. Es sind Menschen wie Evi Madejski, eine Großmutter mit tätowierten Unterarmen, die sich ihre Wohnung mit Enkel und „zwei Hundchens“ teilte. Es sind Menschen wie Zlatko Bathijarevic, der Betreiber des Planet Pauli, der sagt: „Die Esso-Häuser sind nicht perfekt, aber sie sind einzigartig.“ Es ist die große Stärke des Films, dass er dem Zuschauer diese intimen Einblicke gewährt. „Wir hatten immer einen Draht zu den Leuten im Haus, haben unsere Infos aus erster Hand bekommen“, sagt Irene Bude.

Weitaus zäher lief es mit der Bayerischen Hausbau. Lange kam kein Interviewtermin mit Sprecher Bernhard Taubenberger zustande. „Wir wurden über ein Jahr hingehalten“, sagt Olaf Sobczak. Irgendwann hielten sie selbst die Kamera drauf, ohne Termin, „in Michael-Moore-Manier“. Ein offizielles Interview bekamen sie erst danach und nach Abschluss einer Vereinbarung. Taubenberger vertritt die Interessen seines Arbeitgebers dann aber ­erstaunlich offen, erklärt, man richte sich „nach betriebswirtschaftlichen Kennziffern (…), nicht nach politischen oder gesellschaftspolitischen Utopien“. Im Film erfährt man etwa, dass die Bayerische Hausbau zur Schörghuber-Gruppe gehört. Diese wiederum betreibt die Paulaner-Brauerei sowie die ­Hotelgruppe Arabella. Alexandra Schörghuber steht auf der Rangliste der 500 reichsten Deutschen auf Platz 31.

Die Geschichte des Ensembles wird anhand von Pappkulissen und alten Postkarten aufgezeigt. Heute schwer vorstellbar, wurden die Plattenbauten 1959 für sechs Millionen DM als „städtebauliches Ausrufezeichen“ erbaut, galten als „topmodern“. Weil jahrelang zu wenig getan wurde, verschlechterte sich der Zustand jedoch deutlich. Darüber hätten die Filmer gern mit dem langjährigen Eigentümer, der Familie Schütze, gesprochen. Aber alle Versuche scheiterten am Ende.

Dramatischer Höhepunkt der Doku: die Evakuierung. Im Dezember 2013 hatten in zwei Wohnungen angeblich die Wände gewackelt, in der Tiefgarage wurden Haarrisse festgestellt. Die Bewohner müssen raus. Man sieht, wie sie verstört in Bussen sitzen, später in einer Turnhalle schlafen müssen. Auf einer Weihnachtsfeier zollt Bezirksamtsleiter Andy Grote (SPD) den Bewohnern Respekt. Beachtlich sei, „wie sie diese Situation meistern“. Er hat Budni-Geschenktüten mitgebracht, gefüllt mit Gebäck und Duschgel. Es ist eine entlarvende Szene.

Die Rolle Grotes sehen die Filmemacher kritisch. „Es hieß, allein die Sanierung der Tiefgarage würde 23 Millionen Euro kosten. Das war aber nur geschätzt. Experten haben uns ­gesagt, es wäre total unseriös, so eine Zahl in den Raum zu stellen. Das aber hat Grote gemacht“, erläutert Steffen Jörg. Sobczak ergänzt: „Grote ist einfach geschickter als sein Vorgänger Markus Schreiber. Ob er es besser macht, muss sich erst noch zeigen.“

Die entscheidende Frage ist: Was kommt an die Stelle der Esso-Häuser? „Es reicht nicht, jetzt mal ein bisschen Planbude zu machen und am Ende werden die Entscheidungen wieder einkassiert“, sagt Olaf Sobczak. Geht es um echte Beteiligung oder um eine „Beteiligungsshow“, wie es der Musiker Ted Gaier im Film formuliert? Der Film will diese Diskussion befeuern – jetzt, „wo er noch etwas bewirken kann“, so Irene Bude. Steffen Jörg setzt nach: „Die Esso-Häuser könnten nicht nur ein Symbol des Widerstands, sondern auch des anderen Umgangs damit sein.“ Ohne den Protest, da ist sich Olaf Sobczak sicher, wären die Mieter alle „irgendwo am Stadtrand gelandet“.

Text: Simone Deckner
Foto: Baldwin Production