Jeder kennt Heidi Kabel als platt schnackende Bühnen- und Filmschauspielerin und Sängerin. Für Tochter Heidi Mahler war die weltberühmte Hamburgerin, die in diesem Monat 100 Jahre alt geworden wäre, vor allem eine liebevolle Mutter.
(aus Hinz&Kunzt 258/August 2014)
Wie ist das, wenn in der Heimatstadt ein öffentlicher Platz nach der eigenen Mutter benannt ist? Da wird Heidi Mahlers Stimme ganz weich. „Das ist eine kleine Sensation“, sagt die Tochter von Heidi Kabel und atmet tief durch. Wenn die Schauspielerin im Ohnsorg-Theater auftritt, geht sie jeden Tag an der kleinen, zierlichen Bronze-Statue ihrer Mutter Heidi Kabel vorbei, die vor dem Theater an die große Volksschauspielerin erinnert. 100 Jahre alt wäre Heidi Kabel am 27. August geworden. 2010 ist sie nach einem langen, arbeitsreichen Leben in Hamburg gestorben.
„Meine Mutter war immer so dünn, hat nie mehr als 100 Pfund gewogen. Erst in den letzten Jahren hatte sie ein bisschen mehr auf den Rippen“, erinnert sich Heidi Mahler, und in ihr leises Lachen mischt sich echte Rührung. Sie hat ihre Mutter sehr bewundert, sagt sie. Gern erzählt sie von ihrer Familie, ihrem Leben, mit Lachen und Zärtlichkeit in der Stimme.
Heidi Kabel sei ein Mensch gewesen, der sich für Schwächere stark gemacht hat, für Alte und Kinder, für Obdachlose und Flüchtlinge. „Sie hat sich immer eingesetzt für diejenigen, die sich selbst nicht artikulieren konnten“, erzählt Heidi Mahler und weiß noch gut, wie ihre damals 82-jährige Mutter sich aufmachte zu Obdachlosen beim Bismarck-Denkmal, um auf diesen Missstand aufmerksam zu machen. „Dabei war sie nicht mehr gut zu Fuß, aber sie wollte es unbedingt. Sie war ein absoluter Muttertyp!“ Erfahren hat sie von der Brückeneskapade ihrer Mutter erst aus der Zeitung, fügt sie lachend hinzu. „Da hab ich gedacht: Mensch Mami, muss das denn sein? Aber in ihrem Charakter musste das sein. Das hat sie gern getan.“
Kerzengrade sitzt Tochter Heidi Mahler am Tisch des Ohnsorg-Bistros, vor sich ein Mineralwasser. Dass die Flasche auf dem Tisch Ränder hinterlässt, stört die 70-Jährige mehr als der Fotograf, der sie während des Gesprächs fotografiert. Unprätentiös und freundlich ist sie, von hanseatischer Unaufgeregtheit und Bodenständigkeit. Manches an ihrem Ausdruck erinnert an die Mutter. Aber Heidi Mahler ist keine zweite Heidi Kabel, sie ist ganz klar sie selbst: elegant, mit ordentlich Zislaweng, dabei spontan und überraschend emotional.
Eine behütete, sehr normale Kindheit haben sie und ihren beiden älteren Brüder erlebt; das rechnet Heidi Mahler ihren Eltern hoch an. „Ich habe keinen Hunger gelitten“, erzählt sie. „Das war das Verdienst meiner Eltern. Sie haben eher gehungert, um uns durchzubringen.“
Heidi Kabels Karriere begann 1932, als sie durch Zufall fürs Theater entdeckt wurde. Sie blieb an der „Niederdeutschen Bühne Hamburg“, dem heutigen Ohnsorg-Theater. 1937 heiratete sie ihren Kollegen Hans Mahler, das Schauspielerpaar bekam drei Kinder.
Wie schwierig es war, in der Nazizeit die richtigen Entscheidungen zu treffen, daraus hat Heidi Kabel später keinen Hehl gemacht. Um Theaterleiter werden zu können, wurde Hans Mahler 1936 Mitglied der NSDAP, sie in der NS-Frauenschaft; damals konnten sie sich – wie viele Deutsche – nicht vorstellen, welchen Weg Deutschland nehmen würde. Im letzten Kriegsjahr wurde Hans Mahler noch eingezogen, Heidi Kabel musste die drei Kinder allein durchbringen, bis Mahler aus britischer Kriegsgefangenschaft zurückkehrte.
Der Neuanfang nach dem Krieg war schwierig, denn das Paar galt als belastet, die Kollegen verhängten ein Auftrittsverbot. Um die Familie durchzubringen, tourte Heidi Kabel über Land, sang Seemannslieder und organisierte Essbares. Schließlich wurde das Ehepaar politisch entlastet – ein offizielles Auftrittsverbot hatte es nie gegeben. Nun durften sie wieder arbeiten, doch das Geld blieb knapp. „Meine Mutter ist abends nach der Vorstellung oft noch tingeln gegangen mit ihrer Quetschkommode, um Naturalien nach Hause zu bringen“, erinnert sich Heidi Mahler. „Für unsere Eltern gab es nichts als Theater und ihre Kinder. Die haben richtig geschuftet.“
Offenbar waren die Eltern mit viel Geduld gesegnet, denn die drei Mahler-Kinder waren recht lebhaft. „Wir sind sehr liberal aufgewachsen“, findet Heidi Mahler und muss über ihre Untertreibung lachen. „Wir waren laut! Wir durften unsere Freunde einladen, die tobten durchs Haus und durch den Garten. Meine Eltern mussten ja Text lernen und sich konzentrieren. Aber sie haben nie gesagt: ‚Jetzt seid mal still!‘ Nie!“ Die Nachbarn hätten sich schon mal über den Lärm beschwert, weiß sie. „Da hat mein Vater gesagt: Kinder sind die Blumen in Gottes Garten“, erzählt sie und lacht nun so laut und fröhlich, wie sie es vielleicht als Kind getan hat. Den 1970 verstorbenen Vater zitiert sie heute noch. Die Mutter habe schon mal an die Kinderzimmertüren geklopft und zum Aufräumen angehalten. „Mein Vater sagte: ‚Gebraucht der Zeit, sie geht so rasch von hinnen, doch Ordnung lehrt euch Zeit gewinnen.‘ Das fanden wir Kinder natürlich wahnsinnig komisch und haben ihn damit veräppelt. Aber jetzt sage ich das auch immer.“
Erstaunliche Toleranz behielten die Eltern auch bei, als die drei Mahler-Kinder in die Pubertät kamen – und sie mussten mit ihren Teenagern einiges mitmachen. „Mein Bruder hatte plötzlich so eine hochstehende Mecki-Frisur“, berichtet Heidi Mahler. „Das war in den 50er-Jahren, da wurden die Leute auf der Straße fuchsteufelswild.“ Auch die Tochter wollte es wissen: „Ich hatte als Erste den Minirock an, Haare gefärbt natürlich auch. Dann habe ich mir mit dem Rasierapparat meines Vaters die Haare stoppelkurz geschnitten. Meine Eltern haben das alles so hingenommen. Ich musste ja damit rumlaufen!“
Mit 17 ging Heidi Mahler zur Schauspielschule. Sie trat 1964 zum ersten Mal in einem Stück am Ohnsorg-Theater auf und gehört bis heute zum Ensemble. Mit ihrem Partner, dem Schauspieler und Regisseur Michael Koch, lebt die Schauspielerin in der Eifel. Rund die Hälfte des Jahres lebt und arbeitet sie in Hamburg.
Ihre Heimat habe sich stark verändert, findet sie, und vieles daran gefällt ihr nicht. „Stück für Stück wird das, was Hamburg so schön macht, zerstört“, beklagt sie den Boom der Neubauten. „Diese Hafencity hat doch keine Lebensqualität!“ Überall entstünden Bürotürme und Hochhäuser: „Wo sollen die Menschen denn leben?“
Ein schneller Blick auf die Uhr: Gleich muss sie in die Maske, bald steht sie wieder auf der Bühne des Ohnsorg-Theaters. Oft hat sie hier mit ihrer Mutter zusammen gespielt, die in mehr als 160 Stücken zu sehen war; ab 1954 wurden die Produktionen auch im Fernsehen gezeigt. Nach mehr als 65 Jahren Bühnenkarriere nahm die Mutter 1998 ihren Abschied vom Theater. Zuletzt spielten Mutter und Tochter 2007 zusammen in Detlev Bucks Film „Hände weg von Mississippi“.
Wenn man Heidi Mahler auf der Bühne erlebt, dann leuchtet die Tochter wie die Mutter, die Pointen sitzen, feine Nuancen geben den Ton vor. Wie ist es, Rollen zu spielen, in denen man die eigene Mutter erlebt hat? „Na klar vergleiche ich mich“, ruft sie aus. „Ich bin ich, ich bin nicht meine Mutter. Aber ich höre meine Mutter ja auch noch. Man muss den Text so sprechen, wie sie es gemacht hat. Sie hat den Ton gefunden. So muss es sein.“
Die kleine Bronzefigur glänzt in der Abendsonne. Ihr zu Füßen hat es sich ein junger Mann mit einem Buch gemütlich gemacht, auf dem Sockel hat jemand eine Rose abgelegt.
So muss es sein.
Text: Misha Leuschen
Foto: Dmitrij Leltschuk
Zu Ehren von Heidi Kabel wird am 27. August im Ohnsorg-Theater (Heidi-Kabel-Platz 1) gefeiert: Der NDR 90,3 präsentiert das Hamburger Hafenkonzert mit Gästen wie Heidi Mahler, Sandra Keck und Beate Kiupel. Beginn: 15 Uhr, Eintritt: 15 Euro. Um 20 Uhr geht es weiter mit der Heidi-Kabel-Kino-Nacht: „Tratsch im Treppenhaus“. Eintritt: 10 Euro. Kartentelefon: 35 08 03 21.