Als die Finanzkrise zuschlug, bekam Loukia Richards Angst. Um die zu überwinden, traf sie sich zum Sticken mit Freunden – und entwickelte daraus eine Kunstaktion, die sie jetzt auf der Altonale zeigt.
(aus Hinz&Kunzt 257/Juli 2014)
Zwei Wochen in einem Schaufenster sitzen und sticken. Für jedermann sichtbar. Das hat sich Loukia Richards für die diesjährige Altonale vorgenommen. „Gemütlich wird das nicht, eher eng, ja, irgendwie auch beklemmend. Aber genau so fühlt sich die Situation derzeit für Wohnungssuchende an“, ist sich die Künstlerin sicher. Mit ihrer Performance will sie so auf die Wohnungsnot in Hamburg aufmerksam machen.
Kunst, Aktion und Politik zu verbinden, damit hat Richards bereits vor sechs Jahren angefangen. Damals noch als Hobby. Ihr Geld verdiente sich die gebürtige Griechin eigentlich als Journalistin. Aber die Finanzkrise hat in ihrem Heimatland alles verändert. „Es herrschte plötzlich ein sehr aggressives Klima. Ich hatte manchmal Angst rauszugehen“, sagt Richards.
Damals hat sie nach einem Weg gesucht, ihre Angst zu überwinden. Die heute 48-Jährige fing an, zusammen mit anderen zu sticken. „An jedem ersten Samstag im Monat haben wir uns in einem Café getroffen.“ Manchmal seien zwei, manchmal aber auch 50 Leute gekommen. „Es war ein großes Spektakel. Alle haben durcheinandergequatscht.“
Aus diesen ersten Treffen hat Richards eine Kunstaktion entwickelt. „Ich habe angefangen, griechische Mythen zu erzählen. Die anderen setzen dann ihre Gedanken zu den Geschichten stickend um“, erklärt Richards. Entstanden ist daraus eine völlig neue Form der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen.
In Griechenland sah Richards allerdings finanziell keine Zukunft mehr für sich. 2010 zog sie nach Deutschland. Seither hat sich ihre künstlerische Arbeit weiterentwickelt und neue Materialien haben darin Platz gefunden: Kleiderstücke, Stofffetzen oder auch Plastiktüten, denen Richards stickend eine neue Bedeutung verleiht. „Die Menschen in Hamburg schmeißen so viel weg“, sagt sie kopfschüttelnd. „Manchmal finde ich Säcke voller Kleidung am Straßenrand.“
Inzwischen bietet sie auch richtige Workshops an – „alternativen Unterricht“, wie sie das nennt. „Die Menschen lernen viel dadurch und das Sticken entspannt auch noch“, sagt die Künstlerin. Stundenlang könne man sich so beschäftigen. Am Ende fügt Richards die einzelnen Stickereien der Kursteilnehmer zu einem großen, kunterbunten Flickenteppich zusammen. Erst auf den zweiten Blick sind die vielen kleinen Bilder und Figuren zu erkennen, die in den Stoff gestickt wurden. Das Ergebnis eines solchen Workshops nennt Richards „Stitchathon“, einen gestickten Marathon.
Bei der Altonale wird sie den Faden wieder aufnehmen. Sie muss selbst ein wenig schmunzeln bei der Vorstellung, alleine in einem Schaufenster zu sitzen und zu sticken. Und natürlich freut sich Richards über Besuch, auch wenn eine Unterhaltung durch die Fensterscheibe schwierig sein könnte. Das Wachsen ihrer Kunstwerke allerdings kann jeder bewundern.
Kunst im Schaufenster während der Altonale, 2. bis 6. Juli, jeweils 14 bis 16 Uhr, bei Entwurf Direkt, Eulenstraße 81
Text: Jonas Füllner
Foto: Dmitrij Leltschuk