Miese Arbeitsbedingungen, zu teure Unterkünfte und schlechte Bezahlung – irgendwann hatten rund 100 rumänische Arbeiter in einer Wurstfabrik genug davon und protestierten wütend vor dem Büro ihres Arbeitsgebers, dem Subunternehmer Birservice.
(aus Hinz&Kunzt 257/Juli 2014)
Drei Wochen lang haben Gheorghe Costea*, Elena Molevic* und Catalina Vieru* sieben bis 14 Stunden täglich gearbeitet. Nur an Christi Himmelfahrt hatten die Rumänen frei. Sie waren beim Subunternehmer Birservice GmbH angestellt, eingesetzt wurden sie als Verpacker in der Wurstfabrik von Schwarz Cranz in Neu Wulmstorf. „Wir konnten einfach nicht mehr“, sagt Costea.
Doch trotz der harten Arbeit gingen sie am Zahltag leer aus. Das brachte für sie das Fass zum Überlaufen. Zusammen mit rund 100 Kollegen, die sich ebenfalls geprellt fühlten, gingen sie am 16. Juni auf die Straße und blockierten die Kreuzung vor dem Büro des Subunternehmers. Ein Arbeiter soll einem Birservice-Mitarbeiter sogar eine Ohrfeige verpasst haben. Die Wut ist groß: Es geht um falsche Abrechnungen, um miese Arbeitszeiten, um zu teure Unterkünfte und Lohnabzüge, von denen die Arbeiter vorher nichts wussten.
Zwei Tage später haben die Arbeiter einen Teilerfolg erzielt: Sie bekommen tatsächlich das ausstehende Geld ausbezahlt. An den Arbeitsbedingungen werde sich allerdings nichts ändern, erzählen Arbeiter.
Und so haben etliche einen Aufhebungsvertrag unterschrieben, in dem sie zusichern, dass sie keine weiteren Lohnforderungen mehr erheben und keine Rechtsmittel einlegen. Ein Passus, der vor keinem Arbeitsgericht Bestand haben dürfte. Aber woher sollen Costea und seine Landsleute das wissen? Immerhin stellt das Unternehmen zwei Busse, die sie noch am selben Abend nach Rumänien fahren. Diesmal kostenlos. Für den Transport von der Unterkunft zur Arbeit und zurück mussten die Arbeiter ab dem zweiten Monat täglich löhnen. 5 Euro, sagen die Arbeiter. 2,50 Euro, sagt Birservice.
Bevor die Rumänen auf die Straße gegangen sind, ist viel passiert. Natürlich geht es ums Geld. Die Arbeiter werfen dem Subunternehmen vor, nicht alle Arbeitsstunden bezahlt zu haben. Dazu kommen hohe Lohnabzüge. Denn viele Arbeiter wurden in die für sie ungünstige Steuerklasse 6 eingruppiert. Birservice behauptet, es hätten Unterlagen gefehlt. Die Rumänen bestreiten das.
Außerdem berechnete die Firma den Arbeitern noch die Kosten für den Transport und – ebenfalls nach dem ersten Monat – 300 Euro für die Unterkunft. Dazu einmalig 27 Euro für das Gesundheitszeugnis, 25 Euro Pfand für Arbeitskleidung und 50 Euro Pfand für den Chip zur Zeiterfassung. Das Ergebnis: Serban Dumitriu zum Beispiel hat für den Mai nur 534 Euro ausbezahlt bekommen, obwohl er 198 Stunden gearbeitet hat. Ein Kollege nur 892 Euro für 256 Stunden Arbeit. Das ergibt einen Netto-Stundenlohn von 2,70 und 3,50 Euro.
Viele Arbeiter fühlen sich betrogen. „Mir wurden beim Vorstellungsgespräch 1200 Euro auf die Hand versprochen“, sagt Emilia Sandu*. Dafür sollte die 24-Jährige an sechs Tagen in der Woche acht Stunden arbeiten. Was ihr allerdings komisch vorkam: Der Vertrag wurde ihr nur auf Deutsch vorgelegt, nicht mal eine mündliche Zusammenfassung auf Rumänisch habe sie erhalten. „Mir wurde gesagt, ich müsste sofort unterschreiben, sonst wäre die Chance vorbei.“ Das hören wir immer wieder. Und auch das: „Ich habe nicht mal eine Kopie des Arbeitsvertrages bekommen.“
In den ersten drei Wochen wurde Emilia Sandu für die Nachtschicht eingeteilt, von 18 Uhr abends bis 6 Uhr morgens. Von wegen Acht-Stunden-Schicht! „Das habe ich irgendwann nicht mehr ausgehalten. Endlich wurden meine Schichten umgestellt, und ich habe von 16 Uhr nachmittags bis 3 Uhr nachts gearbeitet.“ Immer noch elf Stunden, an sechs Tagen pro Woche. Auch Florian Duta war misstrauisch, auch er musste – schnell, schnell! – den Vertrag unterschreiben und bekam keine Kopie. Die ersten Tage war er zufrieden, was die Arbeit angeht. Wie angekündigt musste er acht Stunden arbeiten. „Aber dann hatte ich nur noch Nachtschichten. Und an zwölf Tagen hintereinander musste ich zwölf Stunden täglich arbeiten“, sagt er. Wer nicht so lange arbeiten wollte oder konnte, dem sei gesagt worden: Du kannst ja gehen, brauchst aber nicht wiederzukommen. Birservice räumte gegenüber Hinz&Kunzt ein, dass es im Mai „saisonbedingt und ausnahmsweise auch zu deutlicher Mehrarbeit“ gekommen sei, beteuert aber: „Selbstverständlich zahlen wir gesetzeskonforme Löhne.“
Florian Duta wollte trotzdem so lange wie möglich durchhalten. „Schließlich bin ich ja zum Arbeiten gekommen, aber ich konnte irgendwann nicht mehr.“ Die Arme baumeln schlaff an seinem Körper herab, er spricht langsam und wirkt müde. „Als ich gekommen bin, habe ich 80 Kilo gewogen, jetzt nur noch 73.“
Nicht mal in seiner Unterkunft kann er sich erholen. „Alcatraz“, sagt Duta über das Haus in der Süderstraße und führt uns in den Keller. Was er damit sagen will, wird schnell klar. In den Räumen übernachten vier, fünf, manchmal sieben Menschen. Sie schlafen in Stockbetten. Kalter Rauch vermischt sich mit dem Gestank feuchter Wände und Schweiß. Auf dem Boden bilden sich Wasserlachen im Durchgang zu den Duschen. Lüften ist praktisch unmöglich. Denn die Zimmer liegen fast komplett unter der Erde. Wenige kleine Fenster sorgen für etwas Tageslicht, andere sind zugemauert. Die Vorstellung, dass hier ein Feuer ausbrechen könnte, versuchen wir schnell zu verdrängen. Sogar für eine solche Unterkunft sollten die Arbeiter 300 Euro bezahlen.
Das alles ist Duta inzwischen egal. Er hat sich entschieden, nach Rumänien zurückzukehren. Verloren und in Gedanken versunken steht er im Innenhof seiner Unterkunft. Den ausstehenden Lohn hat er zwar bekommen, aber seinen Job ist er los. Wie es weitergeht? Er zuckt mit den Achseln. „Hamburg“ und „Arbeit“, sagt er und zeigt dabei mit dem Finger erst auf uns, dann auf sich und führt die Hand wie einen Telefonhörer ans Ohr. Dann schiebt er hinterher: „Aber nie wieder Birservice.“
Kurz vor Redaktionsschluss bestätigte uns die Staatsanwaltschaft Stade, dass sie gegen Birservice ermittelt, aber nicht warum – aus ermittlungstaktischen Gründen. Birservice hat indes schon Konsequenzen gezogen: Die Firma nimmt die Vorfälle zum Anlass, sich „aus dem Geschäftsfeld der Verpackung für die Fleischindustrie zurückzuziehen“.
Schwarz Cranz bestätigte die Trennung und stellte sogar in Aussicht, Mitarbeiter von Birservice zu übernehmen. Der Wursthersteller, der in den vergangenen Monaten in der Kritik stand, will einen Arbeitskreis für höhere Qualitätsstandards gründen, in dem auch Gewerkschafter mitarbeiten sollen.
Text: Jonas Füllner, Birgit Müller, Ulrich Jonas
* Namen haben geändert. Die echten Namen liegen der Redaktion aber vor.Aktuelles unter www.hinzundkunzt.de/erfolg-fur-rumanische-arbeiter.