Diese Mädels haben Mut: Brasilianische Prostituierte präsentieren ihre eigenen Modekollektionen – unperfekte Körper und brüchige Biografien inklusive. Die Hamburger Fotografin Isabela Pacini hat die Frauen zu Hause, auf dem Laufsteg und bei der Arbeit begleitet.
(aus Hinz&Kunzt 257/Juli 2014)
Janes kehliges Lachen klingt ihr noch im Ohr, Marias unerschütterlicher Mut beeindruckt sie bis heute, und den Moment, als sich Nilzas Mädchentraum erfüllte, wird sie nie vergessen. In Rio de Janeiro begleitete die Hamburger Fotografin Isabela Pacini Jane, Maria, Nilza und andere brasilianische Prostituierte. Als sie die Frauen kennenlernt, sind die schon Berühmtheiten: Sie sind die Stars des Projekts „Daspu“. Gemeinsam mit Designern entwerfen sie eigene Mode und präsentieren sie selbst.
„Daspu“ ist eine Abkürzung von „das putas“ und bedeutet „von den Huren“. Das Projekt des Hilfsvereins Davida sorgt in Brasilien und weltweit für Wirbel. Zeitungsreporter und Kamerateams kommen. Es ist ja auch eine kleine Revolution. Obwohl Prostitution in Brasilien legal ist, sind Prostituierte dort alles andere als respektierte Arbeiterinnen. „Es gibt viele Vorurteile ihnen gegenüber“, sagt Isabela Pacini, die selbst in Rio de Janeiro geboren und aufgewachsen ist. „Sie gelten als schmutzig und als Frauen ohne Ehre.“
Bestimmungen zu Arbeitsrechten, ihrer Absicherung oder ihrem Schutz gibt es nicht. Um darauf aufmerksam zu machen, präsentiert eine Handvoll Frauen sich in der Öffentlichkeit als Sexarbeiterinnen. Dazu gehört eine Menge Mut. Zumal die Huren dem landläufigen Schönheitsideal nicht entsprechen. „In Brasilien ist der Körperkult extrem“, sagt Isabela Pacini. „Als schön gilt ein perfekt geformter, glatter Frauenkörper.“ Dem genügt allerdings kaum eine normale Brasilianerin. Dass Jane und die anderen von Anfang an selbstbewusst ihre kurvigen Hüften, Hintern und Bäuche zeigten, brachte ihnen viele Sympathien ein.
Nicht nur zu Modenschauen und Fotoshootings begleitete Isabela Pacini die Frauen, sondern auch nach Hause und zu ihren Arbeitsplätzen. Dabei entstand eine besondere Intimität. „Es bringt nichts, so zu tun, als würde man mit den Frauen auf einer Stufe stehen. Das ist Gleichmacherei und das ist nur peinlich. Wichtig ist, dass man zeigt, dass man wirklich interessiert ist.“ Und so vertrauten die Frauen der Fotografin ihre Geschichten an, erzählten von Sorgen und Hoffnungen, Nöten und Träumen. So wie Nilza. Die damals 50-Jährige lebt mit ihrer Tochter und ihrer Enkelin in einem Vorort von Rio. Jahrelang habe sie gekämpft, um ihrer Tochter ein Schicksal wie ihr eigenes zu ersparen. Erfolglos: Auch sie geht mittlerweile anschaffen. Doch ein Traum war Nilza geblieben. „Sie sagte, sie wolle gar keinen Mann, könne niemanden gebrauchen, der vor dem Fernseher rumhängt und für den sie kochen und waschen muss“, erzählt Isabela Pacini. „Aber sie träumte davon, einmal ein Brautkleid zu tragen. Das hat mich sehr beeindruckt: Nach dem, was diese Frau alles durchgemacht hat, hat sie sich einen so romantischen Traum bewahrt.“
Zufall oder Wink des Schicksals: Auf dem Weg zu Nilza kommt Isabela Pacini an einem Laden vorbei, der Brautkleider vermietet. Sie schlägt zu – und präsentiert Nilza die weiße Robe. Die Überraschung ist mehr als gelungen. „Wir haben alle geweint“, sagt Isabela Pacini. In den folgenden Stunden ist Nilza – Model, Mutter, Hure – ganz junges Mädchen, trägt die Farbe der Unschuld mit hocherhobenem Kopf und präsentiert sich der Nachbarschaft. „Sie hat im Türrahmen ihres Hauses posiert, damit das ganze Viertel sie so sieht“, sagt Isabela Pacini und lacht. „Sie sah aus wie bestellt und nicht abgeholt, aber unendlich glücklich.“
Mit ihrer Kollektion sind die modelnden Huren bei der São Paolo Fashion Week auf dem Laufsteg gewesen. Die Hauptdarstellerin einer populären Fernsehserie besuchte die Frauen, um sich von ihnen auf die Rolle als Prostituierte vorbereiten zu lassen. Im Museum waren sie auch zu bewundern: Zu einer internationalen Fotoausstellung, die auch in Rio zu Gast war, gehörten auch Isabela Pacinis Fotos von ihnen. Trotz aller Prominenz und stetig wachsendem Selbstbewusstsein: Den Ausstieg aus dem Gewerbe schafft kaum
eine der Frauen. Sie sind Models geworden. Doch sie bleiben Huren.
… Sehen Sie mehr Fotos unter www.isabela-pacini.com
Text: Beatrice Blank
Fotos: Isabela Pacini