Hamburger Journalisten schreiben über die Reportage, die sie am meisten bewegt oder verändert hat.
(aus Hinz&Kunzt 163/September 2006)
Teil 7: Die Publizistin und Gerichtsreporterin Peggy Parnass über ihre Begegnungen mit Jutta Pinzner, der Frau des Auftragskillers Werner Pinzner, und dessen Tochter Biggi
Werner „Mucki“ Pinzner war im April 1986 verhaftet worden. Er galt als einer der großen Zuhälter und Auftragsmörder im Milieu. Fünf Morde wurden ihm vorgeworfen. Aber er sagte, acht hätte er begangen, die würde er gestehen, wenn er Lust hätte.
Ich war damals Gerichtsreporterin, hauptsächlich für „konkret“. Und dachte: Von mir aus hätte er gerne noch ein bisschen weitermachen können. Wenn dieses Gesocks sich gegenseitig umbringt, wie wunderbar! Für die Frauen, die sie ausbeuteten, müsste das eine Erleichterung sein. Dachte ich.
Eines Abends bekam ich einen Anruf. Die Anruferin entpuppte sich als Pinzners Frau Jutta, die aufgeregt und sehr hektisch darauf bestand, mich zu sehen, und zwar schnell und unbedingt. Ich bin nicht sofort darauf eingegangen, weil ich eigentlich mit dem Mann nichts zu tun haben wollte. Aber sie gab nicht auf. Sie hat am nächsten Tag gleich noch mal angerufen und machte es noch dringlicher. Und natürlich war ich neugierig.
Wir trafen uns bei mir in der Wohnung. Jutta Pinzner war eine hübsche, ganz zarte Frau mit riesigen Augen – und sie war unglaublich nervös. Sie kam sofort zur Sache: Sie hätte im Auftrag ihres Mannes angerufen. „Es muss sein, es muss sein“, dass ich ihren Mann treffe, sagte sie immer wieder. Und dass ihr Mann unbedingt will, dass ich zu ihm ins Gefängnis komme. Er wollte, dass wir gemeinsam ein Buch über sein Leben schreiben. Ein Mitgefangener, ein Anwalt, hatte mich empfohlen.
Ihre Intensität und ihre Bedingungslosigkeit überwältigten mich völlig. Ich gab ihr mein dickes „Prozesse“-Buch, sagte, dass ich nicht zu ihm gehen will. „Vielleicht kann er Sie ja immer auf den Weg schicken und Befehle erteilen, aber ich habe dazu keine Lust.“ Und wie soll das vor sich gehen? In Anwesenheit eines Aufsehers? „Nein, nein, nein“, sagte sie vehement. „Sie können ganz allein mit ihm sein.“ Das war nun völlig ungewöhnlich. Und das in der Untersuchunghaft? Das konnte gar nicht sein! „Doch, dafür sorgt er dann!“, sagte sie eindringlich. Sein Einfluss auf sie war ja klar, weil sie ihn liebte. Aber dass der Knast mitspielen würde oder die Knastleitung – ich war schon sehr skeptisch.
Ich versprach ihr, mir das Ganze noch mal durch den Kopf gehen zu lassen. Sie wirkte völlig gehetzt. Sie arbeitete eigentlich bei einer Bank, war also eine ganz bürgerliche junge Frau. Aber nach der Verhaftung und den vielen Medienberichten über ihren Mann blieb sie zu Hause.
Irgendwie tat sie mir Leid, und ich wollte sie ablenken. Ich fragte sie deshalb, ob sie nicht mit mir in den Stadtpark kommen wollte – zum FKK-Sonnen. Sie zögerte, kam aber mit. Vielleicht hoffte sie, mich noch bearbeiten zu können. Zufällig traf ich im Bus ein paar Jugendliche, die mich mit großem Hallo begrüßten. Jutta Pinzner zuckte zusammen. Später warf sie mir vor, dass ich sie „verraten“ hätte. Sie fühlte sich von allen verfolgt, und deshalb sollten unsere Treffen ganz konspirativ ablaufen. Sie war offensichtlich mit den Nerven am Ende.
Das FKK-Sonnen war nichts für sie. Sie wollte sich nicht ausziehen. Das erstaunte mich wiederum. Ich hatte sie nicht so prüde eingeschätzt. Lange hielt sie es bei uns sowieso nicht aus. Immer wieder sagte sie: „Ich habe unendlich viel zu tun, unendlich viel zu tun.“ Viel mehr, als sie schaffen würde. An dem Nachmittag erzählte sie mir auch, dass Mucki eine Tochter habe, die damals um die 14 Jahre alt war und mit der sie sich gut verstand.
Bevor sie ging, gab sie mir ihre Telefonnummer, die ich natürlich auch niemandem verraten durfte. Es sollte auch keiner wissen, wo das Mädchen war, denn die Journalisten jagten auch sie. Alle wollten mit diesem Superthema viel Geld verdienen. Und es verdienten ja auch alle gut daran.
Eine große Wut hatte Jutta immer auf die Anwältin ihres Mannes. Denn die durfte immer rein zu ihm. Lange, unbegrenzt, ohne Bewachung. Sah gut aus. (In der Presse wurde sie später, als sie aufflog, immer als die schöne Isolde bezeichnet.) Und das war für Jutta Pinzner schrecklich. Sie war nicht bei ihrem Mucki. Sie konnte immer nur Briefe schreiben. Sie durfte ihn zwar auch besuchen und mit ihm telefonieren, aber natürlich nicht jederzeit.
Irgendwann rief mich die Anwältin auch mal an, um mich ebenfalls zu einem Besuch bei Pinzner zu überreden. Im Laufe des Gesprächs sagte ich ihr, dass ich es unglaublich fände, wie engagiert Jutta sei. Wie wahnsinnig sie ihn lieben musste, um das auf sich zu nehmen. Da hat sie gehohnlacht am Telefon. „Hahaha. Das soll Liebe sein? Das ist doch keine Liebe. Der liebt die doch nicht.“ Ich kannte ja die Hintergründe nicht und war fassungslos. Man spürte aus jedem Wort, wie eifersüchtig sie auf Jutta war. Jutta befürchtete immer eine Affäre.
Jutta sprach öfter von Selbstmord. Oder besser gesagt davon, dass Pinzner sich umbringen wollte. Und dass er das lieber tun würde, als viele Jahre im Gefängnis zu sitzen. Dann würde sie sich auf jeden Fall auch umbringen, sagte sie, und ich glaubte ihr. Sie war wie besessen von diesem Mann. Sie war eine Getriebene, sie jagte durchs Leben. Mich beunruhigte das sehr. Ich hatte dauernd Angst um sie und dachte immer wieder: Lange hält sie nicht mehr durch. Irgendwann hatte Pinzner mein Buch gelesen – und es gefiel ihm gar nicht. Denn ich hatte über einen großen Drogendealer geschrieben, und es war klar, dass ich von dem nichts hielt.
Und dann war die ganze Presse wieder voll von Pinzner. Pinzner hatte am 29. Juli 1986 bei einer Vernehmung den beliebten Staatsanwalt Wolfgang Bistry erschossen, danach Jutta und sich selbst. Bei dieser Vernehmung wollte er eigentlich die restlichen drei Morde gestehen. Auch die schöne Isolde war da, aber die nahm er nicht mit in den Tod. Stattdessen wurde im Laufe der Ermittlungen klar, dass die Anwältin die Waffe für Jutta besorgt hatte. Jutta hatte die Waffe dann ins Vernehmungszimmer geschmuggelt.
Nach Juttas Tod wollte ich unbedingt Pinzners Tochter Biggi kennen lernen, ich wollte wissen, wie es ihr geht. Ich erreichte sie unter der Nummer, die Jutta mir gegeben hatte. Biggi wollte auch, dass wir uns so schnell wie möglich treffen. Sie brachte ihre Tante mit, die früher als Prostituierte gearbeitet hatte. Während sie noch auf dem Weg zu mir waren, rief der Chef einer bekannten Fotoagentur bei mir an. Er wollte unbedingt, dass ich ihm sage, wo das Mädchen zu finden sei. Ich sagte natürlich nichts. Er versuchte daraufhin mich zu erpressen. Er drohte mit der Polizei, wenn ich „das unmündige Kind“ in meine Wohnung lassen würde. Ich habe nur laut gelacht.
Biggi, ein aufgewecktes Mädchen, sagte während unseres ersten Treffens ziemlich wenig. Die Tante holte aus einem Koffer Briefe und Fotos und breitete alles auf meiner Couch aus. Pinzner hatte seiner Tochter sehr schöne und liebevolle Biefe aus dem Knast geschrieben. Die Tante erzählte und erzählte. Und erzählte auch, dass Pinzner acht Morde begangen hätte. Das hätte er ihr anvertraut. Und wie wichtig es ihm gewesen sei, dass das Kind nie auf den Strich geht. Überhaupt, dass sein „Prinzesschen“ ein wunderbares Leben haben solle. Es war klar, dass die Tante die Geschichte gerne vermarkten wollte. Ich sagte: „‚Konkret‘ hat aber kein Geld.“ Die Tante sagte: „Egal, Hauptsache, du schreibst es!“
Später habe ich Biggi in der Wohnung besucht, in der Jutta auch gelebt hatte. Penibel aufgeräumt, gemütlich, geschmackvoll, gut zueinander passende, warme Farben. Meistens hatte Biggi den Haushalt geführt. Damals bei meinem Besuch stand für sie fest: Nie würde sie auf den Strich gehen. Niemals. Das habe ihr Vater ihr immer schon eingebläut.
Allerdings hatte Pinzner nichts dagegen, dass sie schon als Elfjährige pornografische Bilder von ihrem Vater und Jutta machte. Aber sie machte auch andere Fotos – und zwar richtig gute. Sie wollte später einmal Fotografin werden, sagte sie. Ich sorgte dafür, dass einige Fotos beim Stern genommen wurden, eines wurde ganzseitig abgedruckt. Ich setzte mich dafür ein, dass ihr Name darunter gesetzt wurde. Ich wollte ihr eine Ausbildung als Fotografin vermitteln. Das Stern-Honorar sollte auf ein Sperrkonto für ihre Ausbildung überwiesen werden. Aber die Tante hat den Kontakt unterbunden. Sie wollte, dass alles über sie lief.
Anruf von der Staatsanwaltschaft, ich solle vorbeikommen. Die wollten durch mich erfahren, was ich mit Jutta erlebt habe und was ich wusste. Sie verglichen alles, was ich erzählte, mit Briefen, die sie vor sich hatten, von Jutta an Pinzner. Und da hab ich erst erfahren, warum sie nie Zeit hatte: Sie schrieb alles, jeden Tag, jeden Schritt, jedes Wort für ihn auf. Auch alles, was wir gemacht haben. Und dass sie glaubte, dass ich damals im Bus irgendwelche Leute auf sie gehetzt hätte. Alles, auch die Geschichte vom FKK-Gelände. Dass sie sich aber natürlich nicht ausgezogen hätte. Es war ganz offensichtlich: Er hatte sie verpflichtet, ihm alles mitzuteilen. Noch vom Knast aus hatte er sie komplett unter Kontrolle. Das hat mich sehr erschüttert. Ich wusste, dass er ihr Anweisungen gab. Aber nicht, dass sie Rechenschaft ablegen musste im Sekundentakt.
Erst beim Prozess gegen die Anwältin sah ich Biggi wieder. Sie hatte sich bei mir nicht mehr gemeldet, und unter ihrer alten Nummer war sie nicht mehr erreichbar. Sie war nur ganz kurz im Saal, um die Aussage zu verweigern. Sie war schwanger. Als sie schnell wieder den Gerichtssaal verließ, stürzte ich hinter ihr her, und wir haben kurz gesprochen. Sie wollte das Kind gern behalten, sagte sie. Aber später erfuhr ich, dass Biggi heroinsüchtig war und auf den Strich ging. Das Baby hatte man ihr weggenommen. Einmal sah ich sie noch in der Langen Reihe. Ich hörte jemanden jubelnd meinen Namen rufen. Ich habe sie erst gar nicht erkannt. Sie sah so verändert aus. Dicker und etwas heruntergekommen. Lief ganz glücklich auf mich zu und fing an zu erzählen. Aber die Fernsehleute, die gerade mit ihr drehten, wurden ganz hysterisch und rissen sie weg. Ich bot ihr schnell an, mich anzurufen. Sie sagte, das würde sie tun.
Aber sie hat es nicht getan. Bis heute nicht. Ich weiß noch nicht mal, ob sie noch lebt. Ich denke oft an sie und frage mich, wie es ihr wohl gehen mag. Und ich denke oft an Jutta. Diese biedere junge Frau, die sich so leidenschaftlich in Pinzner verliebt hatte. Und er sich auch in sie. Denn er wollte mit keiner anderen sterben.
P.S.: Biggi ist tot. Das habe ich jetzt in der Zeitung gelesen. Gestorben im Mai 2003, mit gerade mal 32 Jahren.