Holger, 28, verkauft an den Colonnaden.
(aus Hinz&Kunzt 256/Juni 2014)
Das mit Holgers „Klebe“ – seinem kräftigen Schuss auf dem Fußballfeld – ist lange vorbei. „Ich kam auf 120 Kilometer pro Stunde, wenn ich richtig durchgezogen habe“, sagt der 28-Jährige. Als Teenager träumte er von einer Kickerkarriere bei einem der großen Vereine. Dann kommen zwei Bänderrisse und machen ihm einen Strich durch die Rechnung. Der große Traum: mit 17 Jahren gibt Holger ihn auf.
Dabei war der Fußball das Verlässlichste, was Holger hatte, seit er ein kleiner Junge war. Seit er vier Jahre alt war, wuchs Holger in Heimen und Pflegefamilien auf. Nach der Schulzeit geht er zum Bund, verdient zum ersten Mal eigenes Geld, das er gerne teilt: „Damals habe ich mal einen Hinz&Kunzt-Verkäufer zum Essen eingeladen oder eine Zeitung für fünf Euro abgekauft.“ Dass er selbst mal das Straßenmagazin verkaufen würde, hätte er damals natürlich nicht gedacht. Seit Februar 2012 ist es aber so. „Das ist schon ein komisches Gefühl.“ Dabei hat der fröhliche Hinz&Künztler nach der Zeit beim Bund meistens irgendeine Arbeit. In Schnellrestaurants, in Küchen. Es sind zwar immer Mini-Jobs oder kurzfristige Anstellungen. Aber seit der Zeit träumt er von einer Karriere in der Küche.
Zunächst will er sich aber einen anderen Wunsch erfüllen. Er überzeugt seinen Vater, dass er zu ihm ziehen darf. Erst vier Jahre zuvor – an Holgers 18. Geburtstag – haben die beiden sich kennengelernt. Holgers Vater lebt mit seiner Frau und Holgers Halbbruder, der zwölf Jahre jünger ist, in Hessen. „Ich habe mir gewünscht, auch einmal ein richtiges Familienleben zu haben“, sagt Holger. Aber das ging schief. Holger und sein Vater telefonieren regelmäßig, auch wenn der Versuch, zusammen zu leben, nicht klappte. „Wir haben uns ständig gezofft.“
Also wieder ein Umzug: diesmal mit seiner damaligen Freundin nach Nordrhein-Westfalen. Aber auch da: nur Ärger. Also kehrt Holger nach Hamburg zurück. Ohne Job, Geld oder Wohnung muss er irgendwo unterkommen, schläft mal hier, mal da, am Ende unter der Kennedybrücke oder am Nobistor. Das setzt ihm noch heftiger zu als so manch anderem, denn er hat eine psychische Krankheit, die sogar zu einer Art epileptischer Anfälle führt. Die beendet letztlich auch seinen Versuch, beruflich endlich Fuß zu fassen: Eine Lehrstelle in der Systemgastronomie, die er kurz zuvor bekommen hat, muss er aufgeben.
Mittlerweile lebt Holger in einer Dreier-WG in Burgwedel. Dort wartet er auf einen Reha-Platz, den er nach einem heftigen Nervenzusammenbruch und schlimmen Depressionen vor einigen Monaten dringend braucht. Ende letzten Jahres starb auch noch sein Großvater. „Mein Opa war sehr wichtig für mich.“ Er und die Oma, sagt Holger, waren die Einzigen in der Familie, die immer da waren.
Heute hat er seine Dartmannschaft hinter sich. „Die Jungs sind für mich wie Therapie. ,Mach’s Maul auf, und wir helfen dir!‘, sagen die immer.“ Seit fünf Jahren sind die Männer vom Team „Volltreffer“ in der dritten Hamburg-Holstein-Liga aktiv. Er hat doch noch so etwas wie eine Sportlerkarriere gemacht. Und: Einen seiner Träume hat Holger auch noch längst nicht aufgegeben: „Ich will unbedingt diese Kochausbildung machen.“
Was hast du in der Hosentasche?
Holger: Ein Handy, einen Schlüssel, Kleingeld und ein Loch, aber das ist auf der anderen Seite.