Bildhauerin Annette Streyl ist Mitglied im Hinz&Kunzt-Freundeskreis. Dass sie ausgerechnet das Straßenmagazin regelmäßig unterstützt, war für sie eine Bauchentscheidung.
(aus Hinz&Kunzt 256/Juni 2014)
Stein, Schere, Papier. Gehauen, gestrickt, gezeichnet. Was ihre Kunst angeht, ist Annette Streyl keine, die sich festlegen lassen mag. Mit ihren Spenden tut sie das schon: Seit 2005 ist die gelernte Steinmetzin und studierte Bildhauerin Mitglied im Freundeskreis von Hinz&Kunzt. Das Straßenmagazin kennt sie schon, seit sie in Hamburg lebt: fast 20 Jahre. „Ich fand die Zeitung immer gut. Manche Leute geben den Verkäufern Geld und nehmen keine Zeitung mit. Ich lese sie immer.“ Am liebsten die „Momentaufnahme“, in der Verkäufer und ihre Lebensgeschichten vorgestellt werden. Denn trotz aller Offenheit kennt Annette Streyl auch Berührungsängste: „Ich hab mich noch nie getraut, einen Verkäufer direkt nach seinem Schicksal zu fragen.“
Hinz&Kunzt regelmäßig zu unterstützen, war eine „intuitive Entscheidung“. Rational abwägen, ob man für Tiere, Kinder oder Flutopfer – oder Kinderschutz, Flutopferrettung, internationale Organisation oder Selbsthilfegruppe spendet, das ginge gar nicht: „Alle machen gute Arbeit und alle brauchen Geld. Am Ende ist man so ratlos, dass man gar nicht spendet.“
Etwas zu einem kleinen, lokalen Projekt beizutragen, scheint ihr sinnvoll. Und: „Immer wenn ich Menschen sehe, die auf der Straße leben, geht mir das nahe.“ Dass in Hamburg Obdachlose zum Stadtbild gehören, findet sie gut. „In Kleinstädten gibt es sicher auch Obdachlose, nur sieht man die nicht. Dort sind sie viel mehr isoliert.“
Annette Streyls Kunst dreht sich um Themen, die auch Hinz&Kunzt bewegen: Menschen und was mit der Stadt passiert, in der sie leben. Sie schafft Skulpturen von Sozialbauten und berühmten Häusern. Einmal hat sie für alle möglichen Gebäude – von einer McDonald’s-Filiale über den Reichstag bis zum Ikea-Markt in Dortmund – im Maßstab eins zu zehn Strickmuster erstellt und diese aus Wolle fertigen lassen. Zurzeit arbeitet sie an einer Serie fein gezeichneter Augenpaare. Und immer wieder haut sie maskenähnliche Büsten in Stein. Die hängen in ihrem Atelier im Goldbekhaus in Winterhude an jeder Wand. Seit 1999 arbeitet sie hier in einem der bei Hamburger Künstlern so begehrten Räume. Auch wenn der Weg von zu Hause – Annette Streyl lebt in Flottbek – mit dem Fahrrad weit ist: Aufgeben würde sie ihr Atelier nie. „In Hamburg bezahlbaren Atelierraum zu finden ist unmöglich“, sagt sie.
Die Wohnungsnot hat sich zur Raumnot für viele entwickelt: Die einen finden keinen Platz zum Leben, andere keinen zum Arbeiten. Annette Streyl versteht, dass manche den fehlenden Platz für Künstler als „Luxusproblem“ bezeichnen. Der sei aber auch wichtig: „Es gibt gute, wertvolle Kunst, von der man leider nicht leben kann.“ Im Goldbekhaus dürfen die Mieter deswegen nicht zu viel verdienen. Und es gibt einen Fonds, aus dem im Notfall die Miete Einzelner beglichen werden kann. Da zahlen manche mehr und manche weniger ein – je nachdem, was sie sich leisten können. Man muss sich eben helfen, wo man kann.
Text: Beatrice Blank
Foto: Mauricio Bustamante