Ihre Schicksale erschüttern sogar den Chef der Arbeitsagentur: Hunderte Bulgaren brauchen Starthilfe für ihr neues Leben in Wilhelmsburg. Das bekamen Beratungsstellen beim Nachbarschaftstreff mit Jobbörse zu spüren.
Es gibt Leute, die bezahlen 250 Euro, damit ihnen jemand beim Ausfüllen eines Hartz-IV-Antrages hilft. Es gibt dort ausgebildete Fachkräfte, die nach einer Putzstelle fragen. Es gibt Familien, die teilen sich mit mehreren Personen eine Matratze, die mehrere hundert Euro „Miete“ kostet. Das sind keine Einzelschicksale. Wie viele Menschen so oder ähnlich in Hamburg leben, darüber gibt es keine sicheren Zahlen. Vermutlich sind es tausende. Sie brauchen dringend Hilfe, sind bereit sie anzunehmen und sich aus ihrer Not herauszuarbeiten. Das hat der enorme Andrang bei einer ungewöhnlichen Veranstaltung am vergangenen Freitag gezeigt.
Zum „Nachbarschaftstreffen mit Jobbörse“ hatte die Beratungsstelle Arbeit und Leben gemeinsam mit der Agentur für Arbeit Hamburg auf den Wilhelmsburger Stübenplatz eingeladen. 700 bulgarische Besucher kamen. „Wir wollten den Menschen im wahrsten Sinne des Wortes entgegen kommen“, sagt Sönke Fock, Chef der Arbeitsagentur. „Es hat mich berührt, in welcher Zahl sie gekommen sind und ihre Erwartungen und Hoffnungen mitgebracht haben. Wir wussten ja nicht, wie das angenommen wird.“ Am Ende kamen mehrere hundert, genossen den Nachmittag mit Gulaschkanone, musikalischer Einlage und nutzten vor allem die Beratungsangebote. Schuldnerhilfe und orthodoxe Kirchengemeinde, AWo, Diakonie und Polizei sind nur einige der Einrichtungen, die mit bulgarisch sprechenden Mitarbeitern und eigens angeheuerten Dolmetschern für Fragen und Sorgen der in Hamburg lebenden Bulgaren zur Verfügung standen.
Begrüßt wurden sie vom bulgarischen Honorarkonsul Professor Gerd-Winand Imeyer, dem Schirmherrn der Veranstaltung: „Wir wissen, dass die Erwartungen bulgarischer Zuwanderer vielfach enttäuscht werden: bei der Bezahlung der Arbeit, der Betreuung ihrer Kinder, der Unterbringung sowie der medizinischen Versorgung. Deshalb ist es wichtig, dass wir heute eine Informationsveranstaltung und ein Nachbarschaftsfest am Tag der Heiligen Kyrill und Method erleben: Wir sagen den Menschen aus dem EU-Land Bulgarien, dass sie bei uns willkommen sind und von uns nach Kräften beim Einleben und Eingewöhnen gefördert werden.“
Arbeitsagentur-Chef Sönke Fock zeigte sich „erschüttert von den Schicksalen mancher Zuwanderer“, wie manche von ihnen ausgenutzt werden, bei der Unterbringung abgezockt – und dass viele dem hilflos ausgeliefert sind: „Wir müssen dafür sorgen, dass Bulgaren in Würde in Hamburg leben und langfristig sozialversicherungspflichtig arbeiten können, mit legalen Arbeitsverträgen und nicht als Tagelöhner. Und ebenso dafür, dass ihre Kinder gute Lebensperspektiven haben.“ Besonders wichtig sei dafür, das hätten die Gespräche gezeigt, dass Bulgaren deutsch sprechen, schreiben und lesen könnten. Nicht nur, um einen ihrer Qualifikation angemessen Arbeitsplatz zu finden, sondern auch um die Rechte, die sie haben, zu verstehen und einfordern zu können. Fock war beeindruckt von „dem Willkommen, das wir in Wilhelmsburg erfahren haben. Da war keine Skepsis, keine Ablehnung, keine Enttäuschung oder Wut. Stattdessen Geduld und Vertrauen. Und das ist viel wert.“ Für ihn war der Nachmittag ein erfolgreicher, erster Schritt „aufeinander zu“. Wie es weitergehe, müsse man sehen.
„Zahlreiche Menschen sind qualifiziert und kommen engagiert nach Hamburg. Sie kennen aber weder die hiesigen Arbeitsverhältnisse noch ihre Rechte und sprechen kaum Deutsch“, sagte Rüdiger Winter, Projektleiter der Beratungsstelle Arbeitnehmerfreizügigkeit von Arbeit und Leben, der mit seinem Team dauerhaft Zuwanderer unterstützt. „Unsere heutige Initiative hat gezeigt, wie wichtig es war, mit den vielen Beratungsangeboten nach Wilhelmsburg zu gehen. Das wollen wir mit den Netzwerkpartnern auf jeden Fall wiederholen.“
Text: BEB
Fotos: Agentur für Arbeit Hamburg